Die Sowjetarmee hat Deutschland zwischen 1991 und 1994 verlassen, doch bis heute finden sich zahlreiche Spuren. Halb verfallene Gebäude auf einstigen Truppenübungsplätzen zeugen ebenso von diesem Kapitel deutsch-sowjetischer Geschichte wie Ehrenmäler oder Museen. Engagierte, historisch interessierte Menschen in Berlin und Brandenburg setzen sich dafür ein, die Erinnerung hieran wach zu halten. Die MDZ hat mit dreien gesprochen, die dabei ganz unterschiedliche Wege gehen.
Der Museumsmacher
Als ehemaliger NVA-Leutnant hatte Maik Lamolla schon länger einen Draht zur Sowjetarmee. Als er im Jahr 2010 nach Wünsdorf südlich von Berlin zog, schloss er sich bald dem Förderverein des dortigen Garnisonsmuseums an. Seit 2014 ist er dessen Vorsitzender.
„Der Verein wurde gegründet, um die Erinnerung an den vielleicht wichtigsten Militärstandort in der DDR aufrechtzuerhalten“, erklärt er. Im Jahr 1910 siedelte sich hier die preußische Kavallerie an. Im Zweiten Weltkrieg bezog das Oberkommando des Heeres (OKH) hier eine riesige Bunkeranlage. Zu DDR-Zeiten übernahmen sowjetische Truppen hier die Luftüberwachung der DDR und machten Wünsdorf zum Sitz des Oberkommandierenden inklusive Generalstab.
Schon 1992 wurde der Verein gegründet, seit 2010 befindet sich das Museum in zwei ehemaligen preußischen Pferdeställen. Einer davon beherbergt die Ausstellung „Russischer Soldatenalltag“. Sie zeigt das Leben der sowjetischen Soldaten, Offiziere und deren Familienangehörigen von 1945 bis zu ihrem Abzug 1994. Das Museum wird rege besucht, wie Maik Lamolla berichtet, vor allem von Besuchern aus Berlin sowie auch von ausländischen Touristen, „leider weniger von der hiesigen Bevölkerung“, bemerkt Maik Lamolla.
Ein weiteres Anliegen des Vereins ist es, Studenten bei ihren Arbeiten zu militärhistorischen Themen zu unterstützen.
Der Spurensucher
Von den Hinterlassenschaften der Sowjetarmee ist auch Johannes Watzke fasziniert. Der hauptberufliche Lokführer ist im Berlin der Nachwendezeit aufgewachsen. Er erinnert sich an eine Begegnung mit einem sowjetischen Militär-Lkw. „Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Der kam mit ohrenbetäubendem Lärm über die Kreuzung gefahren. Ich fragte meine Mutter, was das für ein Laster sei“, blickt er zurück. Sowjetische Militärfahrzeuge gab es bald keine mehr auf Berlins Straßen. Aber die Kasernengelände waren noch da mit ihren verlassenen Fahrzeugen, Wandbildern, kyrillischen Inschriften, roten Sternen an den Eingangstoren.
Heute lebt Johannes Watzke in Heiligengrabe in Brandenburg, dort ist es vor allem der ehemalige Truppenübungsplatz in der Ruppiner Heide, der seine Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Auf Instagram begann er, Fotos von den verlassenen Orten zu veröffentlichen. „Bruchstücke der Roten Armee“ heißt das Projekt, historisch nicht ganz korrekt, „doch es klingt besser“, wie Johannes Watzke mit einem Augenzwinkern bemerkt. Daneben entstand eine Website mit ausführlicheren Berichten, Videos und Fotostrecken. Zahlreiche Mitstreiter steuern Material bei. Er wolle einen Beitrag dazu leisten, einen kleinen Teil der Geschichte Deutschlands in virtueller Form zu verewigen und dabei auch jüngere Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.
Der Tour-Guide
Das ist auch die Mission von Holger Raschke. Der gebürtige Potsdamer bietet unter dem Namen „Berlins Taiga“ geführte Touren zu Orten des sowjetischen Erbes in Berlin und Brandenburg an. Auch er erinnert sich an die Sowjets aus seiner Kindheit. Doch welche historische Dimension das gerade in Berlin und Umgebung hat, wurde ihm erst später klar, wie er sagt. „Nach Kriegsende wurde hier die Potsdamer Konferenz abgehalten. Mit der Anwesenheit aller vier Hauptalliierten in Berlin und dem Sonderstatus wurde die Hauptstadt einer der Hotspots im Kalten Krieg. Um Berlin herum war die höchste Konzentration sowjetischer Truppen von der gesamten DDR. Das alles sind natürlich auch touristische Alleinstellungsmerkmale.“
Das touristische Potenzial dieser Hinterlassenschaften erforschte Holger Raschke bereits in seinem Studium des Nachhaltigen Tourismusmanagements in Eberswalde. „Dabei wurde deutlich, wie vielfältig die sowjetischen Spuren tatsächlich sind.
Von Friedhöfen und Ehrenmälern über architektonische Einflüsse, Gedenkstätten und Museen bis hin zu verlassenen Kasernen“, berichtet er. Zunächst entstand ein virtueller Reiseführer, dann gründete er das kleine Touristikunternehmen. Es sind vor allem Gruppen, die er auf individuell zusammengestellte Touren mitnimmt.
Unterwegs ist man dabei stilecht in der „Buchanka“, dem russischen Bulli UAZ 452 aus Uljanowsk. Limonade nach sowjetischem Rezept gibt’s obendrauf.
Die junge Generation zeigt Interesse
Was ihn besonders fasziniert, das sind verschiedene Friedhöfe und Ehrenmäler. „Die haben eine ganz besondere Atmosphäre und sind extrem authentische historische Orte, weil sie in ihrer Gestaltung unverändert bleiben und somit auch Zeitkapseln in einer hochdynamischen Umgebung sind.“
Wie Johannes Watzke bemerkt auch Holger Raschke bei der jüngeren Generation ein steigendes Interesse am Erbe der Sowjetarmee. Einen Grund dafür sieht er in der gegenwärtigen Begeisterung für „Lost Places“. Zum anderen wachse auch die zeitliche Distanz. Es sei ein Vierteljahrhundert vergangen, junge Leute sähen heute vieles weniger ideologisch und seien emotional weniger berührt, vermutet er.
Jiří Hönes