Allee der Kosmonautinnen

Am 16. Juni jährte sich zum 60. Mal die Weltraumfahrt der ersten Frau im All. Aber die Errungenschaften der fünf anderen russischen Kosmonautinnen dürfen auch nicht unterschätzt werden.

Kosmonautin Tereschkowa
Walentina Tereschkowa mit den Kosmonauten Juri Gagarin und Popowitsch sowie Parteichef Nikita Chruschtschow, 1963 (Foto: Malyshev/Commons: RIA Novosti)

Botschafterin der UdSSR

„Unsere liebe ‚Tschaika‘ …“ So begann der russische Präsident seine Anrede an Walentina Tereschkowa. „Tschaika“, auf Deutsch „Möwe“, war der Funkrufname der ersten Kosmonautin, die vor 60 Jahren 48 Mal die Erde umkreiste. Wladimir Putin hat der 86-jährigen Parlamentsabgeordneten den vor Kurzem ins Leben gerufenen Juri-Gagarin-Orden verliehen. Tereschkowa hat wohl mehr Auszeichnungen als alle anderen Weltraumforscher.

1963 war sie weltberühmt geworden, praktisch in Superstar. Und sie hat es verdient. Schließlich war sie die erste Frau im Weltall und hat dadurch viele Menschen auf der Erde zu Forschung und wissenschaftlicher Arbeit inspiriert. Ihr ist es gelungen, obwohl sie anfangs nicht die bevorzugte Kandidatin für den Flug der „Wostok-6“ war. Auch vier andere Frauen hätten „Möwe“ werden können, alle hatten in medizinischen und fachlichen Tests bessere Resultate als Tereschkowa erzielt. Aber bei der Wahl der ersten Kosmonautin wurden auch politische Momente berücksichtigt: Sie sollte die Sowjetunion in der ganzen Welt repräsentieren. In diesem Punkt war die Komsomolsekretärin aus dem Jaroslawler Textilwerk „Krasnyj Perekop“, die im Aeroklub 90 Fallschirmsprünge absolvierte, zumindest konkurrenzfähig. Mit der Rolle der Botschafterin der UdSSR in der ganzen Welt kam Tereschkowa perfekt zurecht.

Bereits nach ihrer triumphalen Raumfahrt absolvierte sie die Schukowski-Militärakademie für Ingenieure der Luftstreitkräfte, veröffentlichte mehr als 50 wissenschaftliche Artikel und blieb bis 1997 im russischen Kosmonautenkorps. Auch politisch war sie all diese Jahre aktiv: Seit 1966 war sie Abgeordnete des Obersten Sowjets der UdSSR. Auch nach der politischen Wende bleibt Tereschkowa im Parlament, das nun Staatsduma heißt. 2020 initiierte sie eine Verfassungsänderung, die die Zählung der bisherigen Amtszeiten von Wladimir Putin annullierte und es ihm erlaubte, den Posten des Präsidenten weiterhin zu bekleiden.

Profis an Bord

19 Jahre nach Tereschkowa flog die zweite sowjetische Kosmonautin ins All. Anfang der 1980er Jahre war der Kosmos eines der wichtigsten Themen in den Medien: Live-Übertragungen von Raumschiffskopplungen schauten Millionen sowjetische Menschen. In den Vordergrund traten Ingenieure und technische Experten. Swetlana Sawizkaja hatte hunderte Fallschirmsprünge, unter anderem drei Rekord-Stratosphärensprünge und 18 Weltrekorde mit Jetflugzeugen vorzuweisen. Sie absolvierte das Moskauer Staatliche Luftfahrtinstitut und arbeitete als Testpilotin beim Flugzeughersteller Jakowlew.

kosmonautin Sawizkaja
Das Team des „Sojus Т-7“-Raumschiffs: Leonid Popow, Swetlana Sawizkaja und Alexander Serebrow, 1982 (Foto Alexander Moklezow / RIA Novosti)

Sawizkaja ist die einzige Frau, die zweimal den höchsten Ehrentitel der UdSSR, „Held der Sowjetunion“, erhielt und die erste, die zwei Raumfahrten und einen Weltraumausstieg absolvierte. Mit ihr begann eine neue Ära: Frauen an Bord der Raumschiffe waren gelernte Profis, der Kosmos war ihr Fachgebiet.

Das gilt völlig zu Recht auch für Jelena Kondakowa. Nach dem Studium an der Moskauer technischen Baumann-Hochschule arbeitete sie als Ingenieurin im Raumfahrtkonzern Energija. In der operativen Führungsgruppe beschäftigte sie sich mit der Raumfahrt-Planung sowie der Vorbereitung der Kosmonauten auf Weltallexpeditionen. Selber startete Bordingenieurin Kondakowa im Oktober 1994 zusammen mit dem Kommandanten Alexander Wiktorenko und dem deutschen Wissenschaftskosmonauten Ulf Merbold an Bord der „Sojus TM-2“ zur Raumstation „Mir“. Und wieder ein Rekord: Sie war die erste Frau, die an einer Langzeitmission teilnahm.

Jelena Kondakowa
Jelena Kondakowa mit Alexander Wiktorenko und Ulf Merbold, 1996 (Foto: Ria Novosti)

Ihre zweite Expedition ins All fand 1997 auch in einem internationalen Team statt, diesmal in der amerikanischen Raumfähre „Atlantis“. Später offenbarte Kondakowa in einem Interview, dass sie vor diesem Start Angst hatte, und zwar weil die Erinnerung an das Challenger-Unglück auch zehn Jahre nach der Tragödie nicht verblasst war. Aber sie hatte es trotzdem geschafft, ein Profi.

Jelena Serowa gehört auch zu den ausgebildeten Weltraumforschern. Sie absolvierte das Moskauer Staatliche Luftfahrtinstitut, wie Sawizkaja. Sie arbeitete im Konzern Energija, wie Kondakowa. Serowa wurde nicht von ungefähr in die Kosmonauten-Gruppe aufgenommen. Ihre Sternstunde: Start im September 2014 im Raumschiff „Sojus TMA-14M“ und eine 167-tägige Expedition als Bordingenieurin auf der Internationalen Raumfahrtstation (ISS).

Jelena Serowa
Kosmonautin Jelena Serowa auf der ISS, 2014 (Foto: Wikipedia)

Allerdings schließt eine erfolgreiche Karriere in der Weltraumforschung ein Engagement in der Politik nicht aus. Seit 1975 ist Swetlana Sawizkaja Mitglied der Kommunistischen Partei, sie ist Staatsduma-Abgeordnete. Ihre Kollegin im russischen Parlament, Jelena Serowa, teilte in ihrer Rede in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 2019 mit, sie habe von der ISS mit bloßem Auge gesehen, wie 2014 ukrainische Bomben im Donbass explodierten. Jelena Kondakowa war auch Abgeordnete der Duma.

Andere Zeiten, neue Heldinnen

Julia Peressild ist keine Kosmonautin. Mit ihrem Kollegen, dem Regisseur Klim Schipenko, flog die bekannte russische Schauspielerin zur ISS, um da einige Szenen für den Spielfilm „Wysow“ (Herausforderung) zu drehen. Im Oktober 2021 verbrachten die Filmemacher zwölf Tage im Weltall. Die Idee, zwei Personen, die keinen Bezug zum russischen Weltraumforschungsprogramm haben, zur ISS zu schicken, wurde stark
kritisiert. Der Leitung von Roskosmos wurde vorgeworfen, sie habe dadurch den professionellen Kosmonauten die Möglichkeit entzogen, einen Platz im Raumschiff einzunehmen.

Außerdem sei es Missbrauch von Geldmitteln aus dem Haushalt, und selbst die Benutzung der Raumfahrtstation für nicht wissenschaftliche Zwecke sei gesetzwidrig. Selbstverständlich waren viele Profis dagegen, als der russische Schauspielerverband vorgeschlagen hatte, Julia Peressild mit dem Titel „Held Russlands“ auszuzeichnen. Jelena Serowa meinte, es würde die „Heldentaten der echten Kosmonauten wertlos machen“. Nichtsdestotrotz wird Peressild nicht nur als talentierte Schauspielerin in die Geschichte eingehen, sondern auch als fünfte russische Frau im Weltall.

Anna Kikina
Anna Kikina an Bord der ISS, 2022 (Foto: NASA/Public domain)

Am 5. Oktober 2022 startete das internationale Team SpaceX Crew-5 mit dem amerikanischen Raumschiff Crew Dragon zur ISS. An Bord war auch eine Russin. Anna Kikina ist im Gegensatz zu Julia Peressild eine echte Kosmonautin, aber eine besondere. Sie hat nicht am Moskauer Luftfahrtinstitut oder an anderen technischen Hochschulen der Hauptstadt, die traditionell Fachkräfte für die Branche ausbilden, studiert. Kikina absolvierte die Staatliche Akademie für Wassertransport in ihrer Heimatstadt Nowosibirsk. Sie hatte auch nach einem Kurs beim Katastrophenschutzministerium ein Zertifikat als Rettungsschwimmerin erhalten. Kikina arbeitete dann als Schwimmlehrerin und Bergführerin im Altaigebirge und sogar als Radiomoderatorin. Es stellt sich die Frage: Warum Weltraumforschung? Die Antwort lautet: Weil sie es wollte.

Allerdings war der Weg zum Ziel bei Weitem nicht leicht. Zum einen musste die diplomierte Wasserbauingenieurin viele professionelle Anforderungen erfüllen, zum anderen war 2022 die politische Lage bereits angespannt. Die Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen US-amerikanischen und russischen Forschern schlossen viele praktisch sofort aus. Aber Kikina hat sich durchgesetzt. Nicht von ungefähr wurde sie zum Modell für eine besondere Barbie-Puppe, die Mädchen motivieren soll, Berufe zu wählen, die jenseits von Rollenbildern und gesellschaftlichen Stereotypen liegen. „You Can Be Whoever You Want“: Das Motto der Puppenserie passt gut zu Anna Kikina selbst. Und zu anderen russischen Frauen, die Bronzebüsten in der Allee der Kosmonauten vor dem Kosmonautenmuseum in Moskau bestimmt verdient haben.

Igor Beresin

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