Nurejew: Pirouetten vor der Ballett-Premiere

Nach seiner Flucht in den Westen galt der Tänzer Rudolf Nurejew in seiner Heimat als Verräter. Nun sorgte er posthum für einen Skandal am Bolschoi-Theater.

Nurejew

Nurejew gilt als einer der besten Tänzer des 20. Jahrhunderts./Foto: Allan Warren/Wikimedia

Der sowjetische Ballettstar Rudolf Nurejew wagte 1961 den Sprung in die Freiheit. Im Westen startete er eine fulminante Karriere. Aus seiner Homosexualität machte er dabei kein Geheimnis. Sie wurde nicht weniger legendär als seine Kunst. Umso größer war die Spannung, als das Bolschoi-Theater ein Ballett über Nurejew für die Saison 2016/17 ankündigte. In der Ballettgeschichte gibt es kaum Stücke, die das Schicksal eines Tänzers in den Mittelpunkt rücken. Und keines über einen Tänzer, der in seiner Heimat mehr als 25 Jahre lang als Verräter galt.

Zur Uraufführung von „Nurejew“ am 11. Juli hatte man die Crème de la Crème der Moskauer Ballettszene erwartet. Doch drei Tage vorher wurde die Premiere abgesagt. Das hat es am Bolschoi-Theaters noch nie gegeben. Die Gerüchte, die bereits seit Produktionsbeginn in Umlauf waren, erreichten ihren Höhepunkt. Dabei ging es weniger um die Choreografie des Balletts, sondern vielmehr um andere Fragen: War die Absage mit dem Kulturministerium abgesprochen oder sogar die Folge einer Entscheidung des Ministeriums? Wollte man kein Ballett über einen schwulen Tänzer sehen? Hängt die Absage mit der Hausdurchsuchung bei Regisseur Kirill Serebrennikow im Mai dieses Jahres zusammen?

Nicht für die russische Gesellschaft geeignet

Selbst aus Kreisen von Bolschoi-Freunden war plötzlich zu hören, dass Nurejews Lebensgeschichte als Bühnenstück wohl doch nicht für das Bolschoi-Theater und für die russische Gesellschaft geeignet sei. Licht ins Dunkel versuchte der Direktor des Bolschoi-Theaters, Wladimir Urin, zu bringen, der sich bei der Pressekonferenz nach der Absage rund 150 Medienvertretern stellte.

Eine konservative Einstellung bei der Leitung des Theaters kann ihm nicht unterstellt werden. Das zeigte er zuletzt als Direktor des Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheaters in Moskau, wo sein Engagement für Veränderungen im Spielplan und beim Ensemble sorgte. Er steht für eine Mischung zeitgenössischer und klassischer Werke und die hohe Qualität der Produktionen.

Kein einfacher Stoff für ein Ballett

Energisch setzte er seine Arbeit am Bolschoi-Theater fort. Nach der Premiere des Balletts „Held unserer Zeit“ lud er das gleiche Team für eine weitere Produktion ein. Bei der Wahl des Themas wurden dabei keine Grenze gesetzt. Als Choreograph Jurij Posochow den Titel „Nurejew“ nannte, ahnte der erfahrene Urin bereits, dass Nurejews komplizierte Persönlichkeit und sein Schicksal „kein einfacher Stoff für ein Ballettstück wird“. Die Premiere wurde zunächst für die Spielzeit 2018/19 angesetzt.

Doch dann gab es eine Änderung im Spielplan. Die Premiere von Joint Neumeiers Ballett „Anna Karenina“ wurde dessen Wunsch entsprechend auf die Saison 2017/18 verschoben. Dafür sollte „Nurejew“ schneller fertig werden. Im Januar schrieb Kirill Serebrennikow das Libretto. Komponist Ilja Demuzkij passte sich dem neuen Termin ebenfalls an. Das Ballett wurde aber nicht nur als tänzerische Kreation geplant. Auf der Bühne sollte auch ein Chor, Statisten, Sänger und Orchester stehen. Ein paar Monate dauerten die ersten separaten Proben. Ende April absolvierte das Ballett Gastspiele in Japan. Somit blieb für Proben nicht mehr viel Zeit.

„Schlecht, sehr schlecht“

Was Urin bei der Generalprobe am 7. Juli erlebte, kommentierte er mit den Worten: „Wir haben gesehen, dass es schlecht, sehr schlecht war.“ Das Stück sei einfach nicht reif gewesen und die Zeit habe nicht gereicht, um durch weitere Proben die notwendige Qualität zu erlangen. Dass komplexe Stücke mehr Zeit in Anspruch nehmen und mehr Proben erfordern, hätte das Management bei der Planung berücksichtigen müssen. Dass darüber hinaus insgesamt sieben Proben von Posochow abgesagt wurden, wollte Urin nicht kommentieren. Die zweite Generalprobe lief besser. Daraufhin entschied die Direktion, die Premiere von „Nurejew“ auf Mai 2018 zu verschieben.

Einige Ausschnitte aus der zweiten Generalprobe, die im Internet zu sehen sind, vermitteln einen Eindruck von Choreografie, Bühnenbild und Kostümen. Die russische Zeitung „Kommersant“ schwärmte sogar vom besten Gesamtkunstwerk der Ballettgeschichte des Bolschoi-Theaters. Laut Urin sollen die Besetzung und das Bühnenbild unverändert bleiben und kein finanzieller Verlust für das Theater entstehen. Das Ballett bekommt noch einige Proben mit dem Choreografen. Die Aufgabe der Regie sei erfüllt und keine Nachbesserung fällig.

Eine Geschichte, die zu Nurejew passt

Im Internet kann man unterdessen das von Richard Avidon aufgenommene Foto finden, auf dem Rudolf Nurejew nackt zu sehen ist. Es soll in der Aufführung gezeigt werden. Aber spielt es im Stück wirklich so eine wichtige Rolle oder sollte es vor allem provozieren? Inzwischen könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass hinter der verschobenen Premiere eine sehr kreative PR-Strategie steckte, in der alle Rollen so geschickt verteilt waren, dass der Kulturminister lediglich als Souffleur vorkommt. Aber das bleibt Spekulation.

Bis zur Premiere haben Management und Ensemble nun Zeit, ihre Rollen weiter zu proben. Das Publikum kann sich auf das Ballett freuen, das seine Uraufführung in dem Jahr feiern wird, in dem der 1993 in Frankreich verstorbene Tänzer 80 geworden wäre. Schon jetzt steht fest, dass die Geschichte seines Balletts zu seinem Leben passt. Es war erfüllt von Ruhm und Gerüchten, Märchen und Legenden, Geistern von gestern und auch einem Hauch von Hoffnung.

Elena Solominski

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