Vor kurzem veröffentlichte der russische Rapper Oxxxymiron* das offizielle Video zu seiner Single „1.Kla$“. Gedreht wurde es in Berlin vom ukrainischstämmigen Regisseur Daniel Zlotin. Aggressiv dreinblickende Statisten mit Migrationshintergrund, Szenen aus einem Untergrund-Fightclub und ein schwarzer, kantiger Mercedes-Geländewagen, wie er in keinem Rapvideo fehlen darf. Der übliche Szene-Symbolismus eben.
Doch neben solchen Attributen beeindruckt der Clip auch mit seiner Fülle an Cameoauftritten von zahlreichen Größen des Deutschrap. Mit dabei ist neben PA Sports, Fard und dem Rap-Urgestein Eko Fresh auch kein Geringerer als der „King of Rap“ Kool Savas. Die Liste liest sich wie ein Line-Up zum Splash!- Festival. Aber was machen die ganzen Deutschrapper im Video eines Rappers aus Russland?
Erst heiter, dann brutal
Wie der Deutschrap hat auch der russische Rap seine Ursprünge in den 1990er Jahren. Anfangs war der Sound eher poppig, à la „Die Fantastischen Vier“ auf deutscher Seite oder „Maltschischnik“ auf russischer. Rap zeichnete sich durch seine Heiterkeit aus, untermalt von einem ironischen Unterton.
Nicht, dass diese Art zu rappen mit dem Beginn des neuen Jahrtausends völlig von der Bildfläche verschwunden wäre, doch es vollzog sich ein Schwenk auf brutale Jungs (und vereinzelt auch Mädchen) von der Straße. In beiden Ländern wurde die Szene fortan von Sprösslingen der Unterschicht dominiert, die soziale Ungerechtigkeit, Gewalt, Drogen und das Leben in sozialen Brennpunkten zu ihren Hauptthemen machten, selbstverständlich im jeweiligen Lokalkolorit.
Einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Rapper der Nullerjahre war Sido. Der gebürtige Ostberliner, kurz vor der Wende im Alter von neun Jahren mit seiner Familie in den Westen gezogen, stand zunächst vor allem für vulgäre Texte. Doch beim Prollrap blieb es nicht und so entstand im Jahr 2007 „Ein Teil von mir“ über die schwierige Beziehung zu seinem Sohn. Ein Song, der in emotionaler Hinsicht bei weitem das übersteigt, was man sonst von dem Rapper gewohnt war.
Der Typ von „Disco Malaria“
Kurze Zeit später erschien eine Fortsetzung unter dem Namen „Ein Teil von mir Remix“. Auf ihm waren B-Tight, ein Rapkollege und guter Freund von Sido, sowie der russische Rapper Seryoga vertreten. Die erste namhafte Zusammenarbeit zwischen einem deutschen und russischen Rapper. Seryoga war damals bereits ein Star in Russland. Mit seinem Hit „Disco Malaria“ hatte er sich an die Spitze der russischen Musikcharts katapultiert. Ein weiterer Song von ihm heißt „Tschjorny Bumer“ (übersetzt: schwarzer BMW) und genießt bis heute Kultstatus im größten Land der Erde.
Seryogas gute Deutschkenntnisse erleichterten ihm die Kooperation mit deutschsprachigen Rappern und so folgte etwas später ein gemeinsamer Song mit Azad, welcher sogar kurzzeitig in den deutschen Charts kursierte. Azad ist ein deutsch-kurdischer Rapper, der ausgerechnet Sido gegenüber äußerst feindlich gesinnt war. Die Feindschaft artete in einem Moment gar in eine gewaltsame Auseinandersetzung aus. Solche Fehden zwischen Rappern werden im Jargon als Beef bezeichnet.
Spätaussiedler treffen den Ton
Eines des beliebtesten Subgenres des Rap ist sogenannter Battlerap. Dabei geht es darum, einen Gegner auf originelle Weise zu diffamieren. Die Gründe, warum man sich „beeft“, können dabei vollkommen unterschiedlich sein. Bei sogenannten Battleturnieren bekommt man oft einen Gegner vorgesetzt, um dessen Schwachstellen möglichst gekonnt bloßzustellen. Das Prinzip ähnelt einem Boxkampf, bei dem man sein Gegenüber empfindlich zu treffen versucht, sich nach der Entscheidung der Punktrichter jedoch wohlwollend die Hand reicht.
Es gibt aber auch persönliche Beefs, in denen sich, wie es oft der Fall ist, ehemalige Freunde gegenüberstehen und einander mit erheblich tieferem Gegnerbezug beleidigen. Doch auch grundlose Beleidigungen können im Rapgeschäft durchaus vorkommen und was von Außenstehenden als niveaulos angesehen wird, ist aus der Kultur mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Im weiteren Sinne umfasst Battlerap also alles, was mit Beef zu tun hat.
An dieser Stelle kommen die Spätaussiedler ins Spiel. Im Deutschrap war „Realness“, also die Idee, ausschließlich darüber zu rappen, was man wirklich gesehen und erlebt hat, zwar auch immer ein essentielles Motiv. Doch im Gegensatz zum Rap in Russland enthielt der deutsche Rap wesentlich mehr Elemente des Battlerap. Die in Deutschland lebenden bilingualen Spätaussiedler absorbierten folglich diesen Bestandteil der deutschen Rapkultur und übertrugen ihn ins Russische.
Die ersten Vertreter dieser gemischten Raprichtung waren Czar (Iwan Machalow) und 1.Kla$ (Artjom Frank). Zugegebenermaßen waren ihre Reime, deren Struktur und der Inhalt ihrer Songs prollig und bis zu einem bestimmten Grad primitiv. Doch für die russischen Rapfans war diese dreiste Art zu rappen und die Fülle an Disses (Beleidigungen) gegen praktisch alles, was atmet, absolutes Neuland.
Oxford-Absolvent betritt die Bühne
Schnell gewannen die beiden an Popularität und gründeten daraufhin das Label „Rap Wojska“ (Rap-Heer). 2007 bekamen sie Zuwachs vom ebenfalls russisch-deutschen Rapper Schokk, mit bürgerlichem Namen Dimitri Hinter. Nun dissten sie sich zu dritt in die Playlists der russischen Rapfans. Doch parallel dazu machte sich bereits ein anderer Rapper einen Namen.
Oxxxymiron* (Miron Fjodorow) ist ein wahres Unikat. Er spricht drei Sprachen fließend, hat in Oxford studiert und ist einer der Protagonisten des wohl bekanntesten Beefs in der Geschichte des russischen Rap. Doch der Reihe nach. Schokk verließ 2009 „Rap Wojska“ im Streit und baute zusammen mit Oxxxymiron* ein neues Label namens „Vagabund“ auf. Die beiden setzten im Prinzip das fort, was 1.Kla$ und Czar angefangen hatten. Jedoch auf eine deutlich intellektuellere und komplexere Art und Weise.
Intellektueller Rap und ein Kniefall
Die Hörer wurden plötzlich mit Kreuz- und Binnenreimen, Doppelreimen und Doubletime – schnell gerappten Passagen – sowie einem viel reicheren Wortschatz konfrontiert. Allen voran Oxxxymiron*, welcher in vielerlei Hinsicht vom bereits erwähnten Kool Savas beeinflusst wurde, galt als Pionier des sogenannten intellektuellen Rap.
Man stürzte sich also auf die russische Rapszene und verunglimpfte alles, was Rang und Namen hat. Selbst vor Beleidigungen von Familienangehörigen wurde nicht haltgemacht, was sich rächen sollte. Denn nach einem Konzert in Moskau 2011 wurde die Wohnung, in der sich Schokk und Oxxxymiron* befanden, vom russischen Rapper Roma Schigan und einer Bande Bewaffneter gestürmt, die eine Entschuldigung auf Knien erzwangen.
Mit dieser unschönen Geschichte endete auch die Erfolgsstory von „Vagabund“. Schokk blieb in Deutschland und setzte seine Rapkarriere fort. Mittlerweile veröffentlicht er neben Rap auch Musik aus anderen Genres und ist unter anderem auch als Maler tätig. Oxxxymiron* hingegen zog nach Russland, wo er zu einer wahren Ikone des russischen Rap avancierte. Lange Zeit vermied er vulgären Rap, widmete sich Rapbattles und wurde politisch aktiv. Doch im September veröffentlichte er seinen bereits erwähnten Track „1.Kla$“. Und widmete ihn dem Rapper, ohne den seine Karriere vermutlich ganz anders verlaufen wäre.
* Oxxxymiron wurde im Herbst 2022 vom russischen Justizministerium zum „ausländischen Agenten“ erklärt. Eine entsprechende Kennzeichnung ist bei allen Veröffentlichungen in Russland gesetzlich vorgeschrieben.