Im Jahr 1938 erließ das Politbüro des ZK der KPdSU eine Verordnung unter dem Titel „Über die Datschen leitender Arbeitskräfte“. Damit wurde die Obergrenze für die Anzahl der Zimmer in Landhäusern von Behördenvertretern auf acht festgelegt. Schon damals war Datscha nicht gleich Datscha. Wer zu den führenden Kreisen von Partei, Militär, Wissenschaft oder Kultur gehörte, bekam ein durchaus größeres Stück vom Kuchen ab als der einfache Angestellte.
Anders als zu Sowjetzeiten sind diese Immobilien für gehobene Ansprüche heute auch ein ständiges Thema in den Medien. Hochglanzmagazine berichten über die Sommerresidenzen von Stars im Moskauer Umland, zahllose Fernsehsendungen widmen sich dem Interieur und dem Landschaftsdesign, Enthüllungsreportagen nehmen die Villen von Politikern aufs Korn. All das zieht die Öffentlichkeit zuverlässig in seinen Bann. Keine Summe auf dem Konto von verdächtig schnell zu Geld gekommenen Beamten garantiert so viel Aufmerksamkeit wie eine stattliche Datscha. Denn die kann der gemeine Bürger zu sich selbst und seiner Datscha in Beziehung setzen.
Geerbt oder gekauft, das ist hier die Frage
Doch ob nun bescheiden oder glamourös – wie kommt man eigentlich zu so einem Wochenendhaus? Meine deutschen Kollegen fragen mich das schon lange. Stimmt es, dass die Russen bereits als Datschenbesitzer geboren werden, wollen sie wissen. Häufig lautet die Antwort Ja. Schwer zu sagen, wie groß der Anteil derjenigen ist, die ihre Datscha geerbt und nicht gekauft haben. Klein ist er jedenfalls nicht.
Auf einem anderen Blatt steht, was da nun eigentlich genau vererbt wurde. In der Sowjetunion war es gängige Praxis, dass Betriebe unter ihren Mitarbeitern Grundstücke und Datschen verteilten. Eine soziale Differenzierung gab es allerdings schon damals. Namen wie Barwicha, Peredelkino, Nikolina Gora oder Walentinowka stehen für berühmte Datschensiedlungen. Sie sind teuer und gefragt, von ihnen geht eine magische Anziehungskraft aus. Doch das sagt man mitunter auch vergleichsweise namenlosen Datschenkooperativen nach, wo die Häuser alles andere als riesig und die Zäune niedrig oder gar nicht erst vorhanden sind. So wie in der Siedlung der Mitarbeiter des Literaturwesens 30 Kilometer außerhalb von Moskau. Hier haben Übersetzer, Redakteure und Kritiker ihre Datschen. Der Standort ist nicht eben prestigeträchtig, dafür hat man angenehme Nachbarn. Das ist viel wert.
Ein Schatz, der auch Bürde sein kann
Kein Wunder, dass solche Datschen über Generationen in Familienbesitz bleiben. Sie sind ein Erbe, das man zu schätzen weiß. Es ist ein Jammer, wenn jemand die Familientradition nicht fortsetzen kann oder will. Das kommt oft genug vor. Da ist den Kindern die Datscha zum Beispiel nicht präsentabel genug, um dort Besuch zu empfangen, der sich auch aufs Land nur in Designergarderobe begibt. Da möchte man eigentlich auch den Winter auf der Datscha verbringen, doch dafür müsste sie umgerüstet werden, was kein billiges Vergnügen ist. Und schließlich mein Fall: Unsere Eltern mit ihren 48 Tagen Lehrerurlaub konnten sich praktisch für den gesamten Sommer auf die Datscha verabschieden. Da spielte es keine Rolle, dass sie 400 Kilometer von Moskau entfernt ist. Für uns ist das am Wochenende ein viel größeres Problem. Aber will man solche Klagen hören? Der „Verräter“ kann sich sicher sein, dass er die Missbilligung der gesamten Familie zu spüren bekommt.
Igor Beresin