Massive Formen, Funktionalität und ganz viel grauer Stahlbeton: Nach dem Tod von Josef Stalin hielt die architektonische Moderne auch in der Sowjetunion Einzug. Kommunistische Städtebauer studierten eifrig Fachzeitschriften aus dem Westen, korrespondierten mit Kollegen aus Polen, Ungarn und der DDR und entdeckten die Schriften von Architekturpionier Le Corbusier wieder, welcher schon Ende der 1920er Jahre das Land besucht hatte.
Als Geburtsstunde des sowjetischen Modernismus gilt der 4. November 1955. Damals verabschiedete das Zentralkomitee der kommunistischen Partei den „Beschluss über die Bekämpfung von Extravaganzen in Projektplanung und Bau“. Der pompöse und teure Prunkstil der Stalinzeit sollte ab sofort der Vergangenheit angehören. Statt Dekor und imperialem Kitsch musste möglichst schnell und preisgünstig Wohnraum geschaffen werden, um endlich die seit Jahrzehnten schwelende Wohnungsfrage zu lösen.
Überall schossen Fabriken und Kombinate für Fertigbetonbauteile aus dem Boden. Der Häuserbau wurde zunehmend industrialisiert und typisiert, die sowjetischen Städte nahmen ein einheitliches Aussehen an, individuelle architektonische Lösungen wurden immer seltener.
Doch wenn die Parteibosse sich nicht einmischten und ihren Architekten freie Hand ließen, gelangen auch immer wieder visionäre Entwürfe und architektonische Perlen.
Bis heute findet man diese inzwischen ziemlich in die Jahre gekommenen Zeugen der Moderne in den verschiedenen postsowjetischen Nachfolgestaaten.
Birger Schütz