Am 4. Dezember fand ein absolutes Mammutprojekt der Moskauer Kulturszene endlich seinen Abschluss. In einem früheren Elektrizitätswerk am Bolotnaja Nabereschnaja, direkt zwischen Christ-Erlöser-Kathedrale und Neuer Tretjakow-Galerie, wurde das lange erwartete Kulturhaus GES-2 eröffnet. In der von der Stiftung V-A-C betriebenen Einrichtung werden Ausstellungen, Ateliers, Werkstätten und auch eine Bibliothek ein Zuhause finden. Schon jetzt ist das Interesse enorm: die Tickets für die Eröffnung waren innerhalb kürzester Zeit allesamt vergriffen.
Zusammen werden die Tretjakow-Galerie, das Puschkin-Museum, das Museum Garage und das GES-2 ein neues Viergespann in Nähe der Moskwa bilden. Innerhalb dieses neuen Museumsquartiers gibt es aber auch einige Orte abseits der großen Häuser, die sich zu entdecken lohnt. Manche davon sind in vier Rundgängen zusammengefasst, die unter „www.fourmuseums.moscow“ angeboten werden.
Für die Leser der MDZ schlagen wir zusätzlich unsere ganz eigene Route vor. Mit ihr lassen sich bekannte und unscheinbarere Orte im Herzen Moskaus erleben, an denen man auf besondere Weise in Kunst und Kultur der Hauptstadt eintauchen kann.
Antipas-Kirche
Die Tour beginnt auf der Nordseite der Moskwa, durch kleine Seitenstraßen zum Kolymaschnyj Pereulok 8. Dort steht die Kirche des Heiligen Antipas von Pergamon. Ein besonderes Schmuckstück, denn sie gehört zwar zu den älteren Gotteshäusern Moskaus, hat aber gleichzeitig in ihrer bewegten Geschichte viel mitgemacht. Ursprünglich gebaut wurde sie im 16. Jahrhundert, doch nach dem Stadtbrand von 1737 mussten Teile der Kirche rekonstruiert werden, während andere völlig neu dazukamen. Heraus kam ein Kleinod Moskauer Architekturgeschichte.
Außerdem entstand auf dem Gelände ein hipper Treffpunkt, dessen Geschichte mehr als ungewöhnlich ist: das Café Antipa. Eröffnet wurde es nämlich von Priester Andrej Schtschennikow, der über Umwege zu seiner Berufung kam. Vor seiner Weihe war er Theaterschauspieler. Vielleicht auch deswegen sind Café und Kirche gerade bei jungen Moskauern besonders beliebt. Ob gläubig oder nicht, im Café Antipa ist jeder willkommen.
Futurismus im Puschkin-Museum
Von dort geht es weiter zur Galerie der europäischen und amerikanischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, einem Teil des berühmten Puschkin-Museums in der Ulitsa Wolchonka 14. Zwar ist die Dauerausstellung auf Reisen in Paris, wo sie derzeit in der Foundation Louis Vuitton zu sehen sind. Die Galerie hält aber trotzdem eine Reihe temporärer Ausstellungen bereit, die einen Besuch mehr als wert ist.
Ein absolutes Highlight ist die Ausstellung „Freie Kunst. Italienischer Futurismus aus der Sammlung von Gianni Mattioli“, die noch bis 16. Januar zu sehen ist. Auf eindrucksvolle Weise stellt sie die italienische Avantgarde im Kontext der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts vor. Wer zum Beispiel die beeindruckend intensive Farbgebung in den Gemälden Luigi Russolos in einem Raum mit den legendären Werken Paul Gauguins erleben will, ist hier genau richtig.
Lumiere Hall
Danach geht es über die Moskwa. Linkerhand ist da schon das GES-2 zu sehen, doch zuvor wartet noch ein letzter Höhepunkt: die Lumier Hall an der Adresse Bersenewskij Pereulok 2. Hier lassen sich derzeit der Expressionismus Kandinskys, die monumentalen Meeresgemälde von Iwan Aiwasowski und Graffitis von Banksy in überwältigend moderner Aufarbeitung bestaunen. Alle drei Shows sind im Eintritt mit inbegriffen.
In der Lumiere Hall läuft man nicht einfach von Bild zu Bild. Stattdessen befindet man sich mitten in einer multimedialen Installation. Die Wände in dem stimmungsvoll beleuchteten Raum werden komplett mit den jeweiligen Werken ausgefüllt, während eine Stimme aus dem Off als Audioguide fungiert und die Kulisse mit Musik erweitert wird. Die Gemälde werden zudem nicht einfach statisch projiziert, sondern sind in ständiger Bewegung. Wenn die meterhohen Wellen in Aiwasowskis Gemälden die Wände in fast real wirkendes Wasser tauchen oder Kandinskys Meisterwerke zu „Siegfrieds Tod“ von Richard Wagner erscheinen, fühlt man sich zwangsweise mitgerissen. Mit Banksys Graffitis wird es zum Ende sogar politisch, denn die Lumiere Hall zeigt einige der provokativsten Werke des britischen Künstlers.
Der neue Kulturtempel
Nun sind es nur noch wenige Schritte zum GES-2. Schon von Weitem stechen vor allem die vier blauen Rohre ins Auge, welche der Vergangenheit des Ortes ein Denkmal setzen. Auch sonst erinnert viel an die frühere Funktion, denn im neuen Kulturhaus bleiben die architektonischen Strukturen des ehemaligen Elektrizitätswerkes zu großen Teilen erhalten.
In der ersten Museums-Saison steht das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen im Mittelpunkt. Das Motto „Santa Barbara“, spielt auf eine 1992 mit großem Erfolg aus den USA importierte Seifenoper an. Unter dieser Überschrift will man sich in einer ganzen Reihe von Veranstaltungen der Frage widmen, wie jenseits kultureller Expansion echter Dialog zustande kommen kann. Das GES-2 nimmt sich gleich zu Anfang viel vor, entsprechend gespannt darf das Publikum sein.
Renata Adnabajewa