Telemedizin: Boom in der Krise

Mit seiner Größe und vielen abgelegenen Gebieten ist Russland ein geeigneter Markt für die Telemedizin. Doch bisher hatte es die junge Branche schwer. Durch Covid-19 ändert sich das nun.

Bald auch in Russland möglich: Ferndiagnose per Video (Foto: cloudfront.net)

200 spezialisierte Mediziner, die bis zu 4000 Online-Sprechstunden pro Tag abhalten: In der russischen Hauptstadt hat Anfang April ein Zentrum für Telemedizin eröffnet. Das Besondere: Die Einrichtung der städtischen Gesundheitsbehörde betreut ausschließlich Corona-Kranke. Per Videoschalte können die Ärzte den Zustand der Infizierten kontrollieren, Ratschläge zur Einnahme und Dosierung der notwendigen Medikamente geben oder dringende Fragen beantworten. Das Zentrum steht stellvertretend für den wachsenden Bedarf an telemedizinischen Angeboten seit Beginn der Corona-Krise. Die Zahl der Online-Sprechstunden sei landesweit um ein Vielfaches gestiegen, erklärte Iwan Kartowizkij, Chef der Verwaltung der nationalen Assoziation zur Entwicklung der Telemedizin gegenüber der „Iswestija“. „Nach meinen Berechnungen um das Zehnfache.“ Vor allem private Anbieter verzeichneten enormen Zulauf. So meldeten beispielsweise die Online-Berater Quapsula und BestDoctor 300 Prozent mehr Nachfragen nach telemedizinischen Dienstleistungen gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum.

Schub für jungen Markt


Damit deutete sich eine Belebung des noch jungen Marktes für Telemedizin an, der von Experten bisher nur verhalten optimistisch eingeschätzt wurde. Wegen der geringen Nachfragen hatte sich beispielsweise 2018 der Telekommunikationsanbieter Megafon aus der Branche zurückgezogen. Noch 2019 zog der russische Internetriese Yandex Investitionen wegen fehlenden Profiten zurück. Noch vor zwei Jahren beschränkte sich die Telemedizin in Russland fast ausschließlich auf den Fachaustausch unter Ärzten. Patienten wurden nur sehr selten per Video oder App betreut. Dann verabschiedete die Duma 2018 das Telemedizin-Gesetz. Dieses wird von Experten als bedeutender Schritt auf dem Weg zur Regulierung der jungen Branche gesehen. Das Gesetz legalisierte überhaupt erst den Einsatz von Apps, Webcams und IT-Technik bei der Fernbehandlung von Patienten. Möglich waren vor allem Prävention, das Einreichen von Beschwerden sowie die Detailabstimmung von Behandlungen. Eine Ferndiagnose erlaubte der Gesetzgeber allerdings ausdrücklich nicht. Bis jetzt. Denn unter dem Eindruck der Corona-Krise berät die Duma seit März über eine Reihe von Gesetzesänderungen. Darunter auch ein Vorschlag, der Ärzten auch die Ferndiagnose per Video erlauben soll. Bedingung dafür sind entweder eine nationale Notlage oder die Gefahr der Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit. Experten erwarten nun eine Belebung des Marktes.

Birger Schütz

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