Herr Jerofejew, Sie haben den Fachbereich für neueste Strömungen in der Kunst von 2002 bis 2008 selbst geleitet. Nun trägt ein von Ihnen initiierter Brief bereits 230 Unterschriften: von Malern, Designern, Sammlern, Regisseuren, Kunst- und Kulturwissenschaftlern und anderen mehr. Glaubten Sie, damit die Museumsleitung noch umstimmen zu können?
Nein, das ist kein Bitt-, sondern ein Protestbrief. Er zeigt, dass viele mit der Entscheidung nicht einverstanden sind und das auch offen kundtun. Es ist wichtig, das für die Zukunft festzuhalten. Der Fachbereich wurde in den 1930er Jahren schon einmal geschlossen und jetzt zum zweiten Mal. Und wieder wird man Reue demonstrieren und ihn wiedereröffnen müssen.
Gehen Sie davon aus, dass es sich um eine politische Entscheidung handelt?
Es ist Kulturpolitik. Mir ist nicht bekannt, ob eine Vorgabe von Seiten des Kulturministeriums existiert, die moderne Kunst zu bekämpfen. Ich weiß nicht, ob es etwas Schriftliches dazu gibt, ob jemand ein solches Programm erstellt hat. Dazu kann ich nichts sagen. Doch das Ganze ist kein Zufall, drücken wir es so aus. Es ist Teil einer Kampagne gegen die moderne Kunst. Das Fehlen eines solchen Fachbereichs ist angesichts dessen, dass es bei uns kein Museum für moderne Kunst gibt, ein Schlag gegen eine ganze Schicht von Malern, Kunstliebhabern und Sammlern.
In einem Interview mit der „Rossijskaja Gaseta“ spricht Tatjana Karpowa, stellvertretende Direktorin für wissenschaftliche Arbeit an der Tretjakow-Galerie, von einer Reorganisation: der Zusammenlegung dreier Fachbereiche, deren Zuständigkeiten sich überschnitten hätten. Was sagen Sie dazu?
Es wird nichts zusammengelegt. Man hat einen Fachbereich eingerichtet, in dem der Bereich, den ich früher verantwortet habe, als Sektor fungiert. Damit erhält er kein Geld mehr. Er hat seine Eigenständigkeit und die Möglichkeit, eigene Ausstellungen zu veranstalten und Ankäufe zu tätigen, komplett eingebüßt. Die Entscheidungen trifft künftig die Leiterin des Fachbereichs für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ist – wie die Mehrheit in diesem Bereich – auf den Sozialistischen Realismus spezialisiert. Diese Leute können moderne Kunst nicht ausstehen – radikale und nicht radikale. Wir wissen, wie sie sich dazu verhalten. Deshalb bedeutet Verschmelzung nur eines: die vollständige Liquidierung dieser Richtung im Museum.
Nach den Worten von Tatjana Karpowa wird die moderne Kunst auch als Sektor ihre Eigenständigkeit behalten.
Wie kann man etwas behalten, wenn man es doch verliert? Es ist blamabel, was Tatjana Karpowa da behauptet. Anstatt den wissenschaftlichen Fachbereich zu schützen, bemäntelt sie das Verbrechen gegen ihn auch noch, als ob damit kein Schaden angerichtet würde. Die Aufgabe wird nun sein, den Bereich neu zu schaffen, wenn das in Russland wieder möglich ist.
Von Eigenständigkeit in irgendeiner Form kann also keine Rede sein?
Nein, und es ist unverschämt, auch noch so zu tun, als sei das alles zum Besten. Ich kann mich über die Gewissenlosigkeit dieser Leute nur wundern, nicht nur in menschlicher, sondern auch in professioneller Hinsicht.
Wird die Tretjakow-Galerie vor diesem Hintergrund Mitarbeiter verlieren?
Sie verliert sie bereits. Wer will schon diese Zerschlagung mitansehen? Es bleiben die, die ihr Geld nicht auf andere Weise verdienen können, aber nicht die aktiven wissenschaftlichen Kader. Keine Ausstellungen, keine Forschungsarbeit, keine Ankäufe, keine Zugänge – stattdessen werden Kunstwissenschaftler zu Lagerarbeitern gemacht, die sich noch nicht einmal um die Aufbewahrung von Exponaten aus dem Museumsfonds für die zeitweilige Lagerung kümmern sollen, sondern deren Herausgabe. Das heißt, sie müssen Erben suchen oder den jeweiligen Maler selbst, müssen Gespräche mit Rechtsanwälten führen, um Exponate zurückzugeben, die der Museumsleitung nicht passen und die sie loswerden will, ohne dass dafür irgendeine Notwendigkeit bestünde. Wir reden hier über eine ideologische Ablehnung bestimmter Werke der modernen Kunst. Nicht-Experten haben das Territorium eines fremden Fachbereichs besetzt und zu bestimmen begonnen, was gebraucht wird und was nicht.
Wäre es für Sie denkbar, dass die Entwicklung einen alternativen Standort für die moderne Kunst hervorbringt, in einem nichtstaatlichen Museum?
Ich sehe diese Alternative nicht. Es gibt die „Garage“ als unabhängige und private Institution. Aber dort hat es schon Hausdurchsuchungen gegeben, wie auch im „Winsawod“. Russland ist nicht China. Dort verhält es sich so: Offizielle, staatliche Museen unterstützen die moderne Kunst nicht, private dagegen sind offen für das, was sich in der ganzen Welt in dieser Beziehung tut. Bei uns ist alles zentralisiert und die Politik überall gleich, ob das nun staatliche Museen betrifft oder nichtstaatliche.
Das Interview führte Anastassija Archipowa.