Schaukel und Wippe und Lenin

Der Umgang mit der eigenen Geschichte und ihren Insignien sagt viel über die Gesellschaft aus. Ein Beispiel aus der russischen Provinz, wo ein Kinderpark kräftig aufgehübscht wurde – und mit ihm das Inventar, das der Sowjetunion huldigt.

Lenin ist wieder voll da. (Foto: Tino Künzel)

Das musst du dir anschauen, hatten Bekannte gesagt. Der Kinderpark sei gar nicht wiederzuerkennen gegenüber früher. Da war er mit jedem Jahr immer weiter verfallen und verwildert. Aber jetzt, aufwändig saniert und vor knapp zwei Jahren wiedereröffnet – „einer der schönsten Orte von Uchta“.

Was den Vergleich zu früher betrifft, das sollen die Ortsansässigen dieser Stadt 1200 Kilometer nordöstlich von Moskau beurteilen. Aber der Park würde auch deutschen Kindern gefallen. Auf zehn Hektar ist ein Spielplatz schöner als der andere, von klassischen Schaukeln und Wippen bis zum Kletterpark und allerlei neuzeitlichen Spielgeräten unter schattigen Nadelbaumkronen. An Spaziergänger wurde genauso gedacht wie an Radfahrer. Alles wirkt gepflegt und hochwertig.

Zwei Handschriften

Aber neben dieser modernen Handschrift trägt der Park auch eine andere. Der allgemeinen Verschönerung wurde nämlich nicht nur das Gelände unterzogen, sondern auch die darauf befindliche Sowjetsymbolik. Das nur in Teilen erhaltene Lenin-Mosaik ist nun wieder komplett und der Weltführer des Proletariats einmal mehr „immer mit uns“, so die Aufschrift. Ein paar Meter weiter: das Denkmal für Pawel Morosow. Den machte die sowjetische Geschichtsschreibung zum „Pionier Nummer eins“, nachdem er sich Anfang der 1930er Jahre als Zwölfjähriger vor Gericht von seinem Vater losgesagt haben soll, weil der ein „Konterrevolutionär“ und „Kulakenfreund“ war. 1932 wurde er zusammen mit seinem Bruder von, wie es hieß, Feinden der neuen Ordnung ermordet – und zu einer Ikone der Pionierbewegung. Der Park in Uchta war zeitweise nach ihm benannt.

Nun ist sein Denkmal genauso herausgeputzt wie das eine oder andere Wandbild aus Sowjetzeiten. Am runderneuerten ehemaligen Pionierhaus, das jetzt ein Freizeitzentrum ist und wo 1200 Kinder in diversen Zirkeln eingeschrieben sind, prangt das Wappen der sowjetischen Pionierorganisation.

Die meisten Besucher werden sich daran vermutlich nicht einmal stören. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass die Russen ein überwiegend positives Verhältnis zur Sowjetvergangenheit pflegen. Bei einer Umfrage befürworteten neulich 89 Prozent die Schaffung einer neuen Kinderorganisation „nach Art der Pioniere“. Insofern passt es zum Zeitgeist, dass Versatzstücke aus dem Heldenkanon von einst und urbane Räume von heute koexistieren.

Eine Stadt als Kind des Gulag

Zumal es in Uchta auch keine vorsowjetischen Traditionen gibt, an die sich anknüpfen ließe. Die Stadt in der dünn besiedelten Komi-Republik ist wie viele andere hier ein Kind des Gulag. Zur Erschließung der Bodenschätze im europäischen Norden des Landes verlegten Zwangsarbeiter zu Stalin-Zeiten unter großen Opfern eine Eisenbahnlinie in diese Gegend. Sie errichteten auch Uchta, das 1943 gegründet wurde. An den Straßennamen scheint sich seit damals nichts geändert zu haben. Die zentrale Hauptstraße ist nach wie vor der Lenin-Prospekt.

Der Kinderpark wurde 1953 eröffnet. Lange rühmte er sich, einer der besten im Lande zu sein. Doch die letzten größeren Investitionen dort datierten wohl noch aus den 1970er Jahren, bis jetzt erneut Hand an ihn gelegt wurde.

Der Bahnhof von Uchta (Foto: Tino Künzel)

In einer Stadt, in der das Stadion „Der Ölarbeiter“ und eine Straße „Uferstraße der Gasarbeiter“ heißen, sind Öl und Gas wie eh und je das Lebenselixier. Eine Gazprom-Tochter hat einen Fußweg am Flüsschen Tschibiu im Rahmen einer „sozialen Partnerschaft“ zu einer Uferpromenade und damit einem geradezu vorbildlichen öffentlichen Raum ausbauen lassen. Dieselbe Firma sorgte nun auch für die Rekonstruktion des Kinderparks. Lenin inklusive.

Tino Künzel

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