Sammelsurium der Sowjetunion

Das Museum für Industriekultur war für viele Jahre ein Ort, an dem man sowjetische Alltagsgeschichte erleben konnte. Jetzt muss das Museum sein Gelände verlassen. Moskau verliert damit einen besonderen Ort.

Die Hallen sind voller Gegenstände, die einst sowjetische Haushalte schmückten. (Foto: Klaus Pichler)

Moskau ist reich an Museen, sehr reich sogar. Und es fällt schwer zu sagen, welches denn das interessanteste ist. Das ungewöhnlichste war aber sicher das Museum für Industriekultur im Südosten der Stadt. Und es war gar nicht mal so einfach zu finden. Wer aber den Eingang irgendwo zwischen den Parks Kusminki und Ljublino entdeckt hatte, betrat ein Sammelsurium der sowjetischen Alltagsgeschichte.  

Groß war das Gelände nicht. Eine Lagerhalle, ein paar Schuppen und dazu der Hof. Um die Gebäude reihten sich sowjetische Telefonzellen, Limonadenautomaten, alte Autos (darunter auch ein ZiL des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu), Motorräder und Busse. Drinnen ging es weiter: Spielzeug, Geschirr, Nähmaschinen, Kosmetik, Instrumente, Fahrräder, Fernseher, Radios, Statuen, verschiedene Bilder und Plakate.

Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Denn in gut 20 Jahren hatte das Museum zehntausende Ausstellungsstücke zusammengetragen. Wie viele es genau waren, weiß wahrscheinlich niemand. Bei 20 000 hörte man auf, zu zählen. Und das ist schon einige Jahre her.  

Niemand weiß, wie viele Ausstellungsstücke es sind

Zu verdanken hatte Moskau diesen besonderen Ort Lew Schelesnjakow. Als Ingenieur ist Schelesnjakow schon über 50 Jahre im Ausstellungsgeschäft unterwegs. Nachdem das Museum einer Oldtimer-Zeitschrift geschlossen wurde, übernahm er den Ort und machte ihn zu seinem. Alles, was sich im Museum befand, hat er selbst zusammengetragen, mit der Hilfe von ein paar Freiwilligen. Vieles stammte aus den Nachlässen von Freunden des Museums. Manchmal brachten Besucher auch selbst Gegenstände mit. 

Ein altes Polizeifahrzeug auf dem Museumshof (Foto: Klaus Pichler)

Sortiert hatte Schelesnjakow sein Museum nach Themenbereichen. Technik, Fahrräder, Haushaltsgegenstände, Propagandamaterial – alles hatte seine Ecke. Aber auch ganze Räume wurden nachgebaut – eine Wohnung aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert etwa oder eine Küche aus der frühen Sowjetunion. Hier könne man ohne viel Aufwand einen Film drehen, schrieb die „Forbes“. Dazu kam es zwar nicht, aber tatsächlich dienten viele Stücke des Museums bereits als Requisite in russischen Filmen.

Ein Ort wie eine Filmkulisse

Sicher war Schelesnjakow stolz, dass sein Inventar seine Rolle auf der Leinwand bekam. Aber eigentlich ging es ihm immer um etwas anderes. Das Museum sollte ein Ort von Menschen für Menschen sein. Deshalb musste auch niemand Eintritt zahlen. Absperrbänder und „Nicht Anfassen“-Schilder suchte man vergebens. Besonders angetan war Schelesnjakow, wenn ganze Familien zu ihm kamen und die Eltern ihren Kindern erzählen und auch zeigen konnten, wie sie damals gelebt haben. Und wenn Besucher etwas zur Ausstellung beitragen wollten, wurde auch schon mal ein neuer Themenbereich eröffnet – wie zum Beispiel alte Tauchanzüge. 

Das Konzept kam bei den Besuchern gut an. Und nicht nur Moskauer zog es auf das Gelände zwischen den Parks. In den vergangenen Jahren kamen auch immer mehr Ausländer. Und so manch einer pries das Museum für Industriekultur als den besten Ort, den er in Moskau gesehen habe. 

Vor einem Jahr jedoch begann das Unheil in Form eines Briefes. Darin erklärte die Parkverwaltung, Besitzerin des Geländes, dass man das Gebäude abreißen wolle. Schnell organisierten Unterstützer eine Online-Petition, die immerhin 2000 Menschen unterzeichneten. Doch genützt hat es nichts. Vor Kurzem erhielt Schelesnjakow erneut einen Brief mit der Aufforderung, das Gelände bis zum 15. April zu räumen.

Da es in Moskau keinen Platz mehr für sein Sammelsurium gibt, wird das Inventar im Gebiet Tula eingelagert. Dort hat das Museum 1,5 Hektar Land erworben, auf dem ein kleiner Freizeitpark entsteht. Aktuell ist Schelesnjakow auf der Suche nach Spenden. Denn alleine kann er den Transport nicht finanzieren. 

Wenn Moskau Anfang Mai hoffentlich aus seiner Quarantäne erwacht und sich des Frühlings erfreut, gibt es auch einen Grund, traurig zu sein. Denn die Stadt ist dann um einen einzigartigen Ort ärmer. 

Daniel Säwert

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