Der Ort war mit Bedacht gewählt. Am 26. Juni lud die Leiterin der russischen Tourismusbehörde Rosturism Sarina Dogusowa Pressevertreter an den malerischen Strand des Ostsee-Örtchens Jantarnyj. Im romantischen Licht des Sonnenuntergangs verkündete Dogusowa den Beginn der Feriensaison in Russland am 1. Juli. Für die Russen ist es eine gute Nachricht. Nachdem sie monatelang wegen des Coronavirus in ihre Wohnungen eingesperrt waren, sehnen sich viele nach Abwechslung und Entspannung. Kurz, nach all dem, was ein Urlaub verspricht.
Dennoch wird der Eine oder der Andere sicher mit einem weinenden Auge am Strand von Sotschi oder Anapa sitzen. Denn viel lieber wären sie in der Türkei. Für viele Jahre war das Land, in diesem Sommer wegen der geschlossenen Grenzen noch unerreichbar, der Urlaubs-Hotspot der Russen. Denn dort gab es vieles, wovon man in Russland nur zu träumen wagte: freundliches Personal, angenehme Preise und das alles in einem All-Inclusive-Paket, bei dem man sich um fast nichts mehr kümmern muss.
Etwas intensiver haben auch russische Tourismusplaner in den vergangenen Jahren in die Türkei geschaut. Insbesondere, als man dort 2018 diskutierte, das All-Inclusive-Angebot zurückzufahren. Ein großer Freund einer russischen All-Inclusive-Offensive war der damalige Rosturism-Leiter Oleg Safonow, der sich jahrelang dafür einsetzte, dass russische Hoteliers vermehrt das Rundum-sorglos-Paket anbieten. Ein breites All-Inclusive-Angebot würde helfen, russischen und ausländischen Gästen einen qualitativ guten und zugleich günstigen Urlaub anzubieten, sagte Safonow 2018 der Nachrichtenagentur „RIA Nowosti“.
Russland bleibt hinter türkischen Vorbild zurück
Er zeigte sich überzeugt, dass russische Urlauber das Angebot gut annehmen würden und die Urlaubsorte sich über steigende Besucherzahlen freuen können. Damals scheiterte die Hoffnung indes an der russischen Realität. Denn den Hoteliers musste erst einmal beigebracht werden, wie ein All-Inclusive-Angebot aussehen sollte. Weil Gäste sich fortlaufend über die schlechte Qualität des Essens beschwerten, musste die Regierung des Gebiets Krasnodar mit einer Anweisung durchgreifen.
Ein Armutszeichen für die Hotels in der beliebtesten russischen Urlaubsregion. Sie mussten sich von Beamten zeigen lassen, wie ein ansehnliches und schmackhaftes Büfett angerichtet wird und welche Speisen zu welcher Tageszeit passen. Mittlerweile liegt diese Demütigung für den Schwarzmeer-Tourismus ein paar Jahre zurück und Rosturism hat einen Entwicklungsplan bis zum Jahr 2025 vorgelegt, der die Entwicklung in vielen Bereichen vorantreiben soll. Nicht erwähnt ist darin ein Ausbau des All-Inclusive-Angebots.
Momentan scheinen die Anbieter zeigen zu wollen, dass Rosturism damit falsch liegt. Denn Hotels entlang des Schwarzen Meeres führen in diesen Tagen vermehrt All-Inclusive-Angebote ein, um die Türkei-Urlauber aufzufangen. Man spüre die erhöhte Nachfrage, erklärte ein Vertreter von TUI Russland gegenüber der Wirtschaftszeitung „Forbes“. 22 Prozent aller Sonnenhungrigen würden sich in diesem Jahr für das Rundum-sorglos-Paket entscheiden, 2019 waren es noch 16 Prozent.
Nur mäßige Aussichten trotz All-Inclusive-Angeboten
Auch Inturist meldet ähnliche Zahlen. 29 Hotels im Gebiet Krasnodar sind mittlerweile auf All-Inclusive umgestiegen. Auf der Halbinsel Krim sind es 21. Inturist berichtet, dass darunter auch mehrere große Anlagen seien. Die erhöhte Nachfrage erklärt Wladimir Rubzow, kaufmännischer Direktor bei TUI Russland, mit der neuen Preisempfindlichkeit. Schließlich könne man so frühzeitig seine Ausgaben für den Urlaub einplanen.
Ob die Russen jedoch viel Freude am einheimischen All-Inclusive-Angebot haben werden, ist fraglich. Denn auch 2020 kann kaum jemand Erfahrung vorweisen. Man solle sich darauf einstellen, dass dort, wo All-Inclusive draufsteht, eher ein sowjetisches Sanatorium drin ist, meint Rubzow. Das liege auch daran, dass All-Inclusive hierzulande ein sehr dehnbarer Begriff sei. Also besser vorher die Beschreibung ganz genau durchlesen.
Eine große Zukunft für den All-Inclusive-Urlaub sehen Experten in Russland nicht. „Russische Hotels haben bisher kein reibungsloses System für die Anlieferung und Entsorgung von Lebensmitteln, und die Preise für Alkohol, Kaffee und anderes sind höher“, heißt es bei Inturist. Und diese höheren Preise sind die Russen nicht bereit zu zahlen. Zudem machen kaum Ausländer an der russischen Schwarzmeerküste Urlaub und die Russen wissen, wo sie auch außerhalb der Hotelanlagen Essen und trinken bekommen, sagt Rubzow. Schließlich scheinen die Büfetts bis heute nicht besser geworden zu sein. Da hilft vielen nur, auf das nächste Jahr zu hoffen und diesen Sommer vielleicht doch auf der Datscha zu verbringen.
Daniel Säwert