Russlanddeutsche: Jetzt kommt die 4. Generation

Es fühlte sich an wie ein Familientreffen: Russlanddeutsche aus ganz Russland kamen in Barnaul zusammen, um über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sprechen. Einige der jüngsten Teilnehmer, zwischen 12 und 22 Jahre alt, haben der MDZ erzählt, welche Rolle die deutsche Kultur in ihrem Leben spielt.

Alle Teilnehmer des Galakonzerts in Barnaul
Alle Teilnehmer des Galakonzerts in Barnaul (Foto: Viktor Prokopitschew)

Vera Belenina (15)

Vera lebt in Samara und geht in die 9. Klasse. Sie absolvierte eine Musikschule mit Gesangsklasse und singt jetzt, „weil sie es liebt“. Vera nimmt aktiv am kulturellen Leben der Russlanddeutschen in ihrer Heimatstadt teil. Seit ihrer frühen Kindheit besucht sie die Sonntagsschule im Zentrum der deutschen Kultur „Hoffnung“ in Samara. Seit 2020 nimmt Vera regelmäßig am überregionalen Edwin-Fritzler-Kunstwettbewerb teil. In diesem Jahr fand er zum 5. Mal in der Stadt Engels, Verwaltungsgebiet Saratow, statt. Vera Belenina wurde Preisträgerin der 2. Stufe. Als eine der Gewinnerinnen dieses Wettbewerbs nahm sie am Festival der Russlanddeutschen in Barnaul teil.

Vera Belenina (Foto: Viktor Prokopitschew)

Vera gehört zur vierten Generation der Familie Belenin, die sich in der russlanddeutschen Bewegung engagiert. Ihr Vater und ihr Onkel, Andrej und Daniil Belenin, gründeten Ende der 1990er die deutsche Jugendorganisation in Samara. Heute sind sie jedoch nicht mehr sehr aktiv in der Bewegung – sie haben alle einen Beruf, eine Familie und ihre eigenen Hobbys. Veras Großmutter, Irma Belenina, leitet jedoch seit über 30 Jahren das Zentrum der deutschen Kultur in Samara. Seit den 2010er Jahren ist sie in leitender Position im Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVDK) tätig. Dies ist der größte und älteste Dachverband in Russland, der die Interessen der Russlanddeutschen vertritt. Und Veras Urgroßvater, Viktor Koch, ein Trudarmist (so heißen die Russlanddeutschen, die im Zweiten Weltkrieg zur Arbeitsarmee in NKWD-Lager eingezogen wurden), war in den 1990er und 2000er Jahren ein aktives Mitglied der Organisation in Samara. Viele Veteranen der Bewegung erinnern sich noch heute gerne an ihn.

„Die Kultur der Gegenwart fördern“

Vor zehn Jahren initiierte Irma Belenina den Edwin-Fritzler-Wettbewerb im Wolgagebiet. „Das Verwaltungsgebiet Kemerowo hatte bereits einen nach Michail Werner benannten Wettbewerb organisiert, an dem Jugendliche aus ganz Sibirien teilnahmen“, erklärt Irma Belenina. „Ich wollte einen solchen Wettbewerb für junge Menschen aus dem Wolgagebiet veranstalten“. Irma Belenina wuchs in einer deutschen Familie und mit deutschen Traditionen auf und gibt ihre Liebe zu diesen Traditionen nun an ihre Enkelkinder und alle, die an den von ihr initiierten Projekten teilnehmen, weiter.

Und wie es aussieht, ist sie dabei ziemlich erfolgreich. „Die Teilnahme an dieser Art von Veranstaltungen bedeutet für mich Weiterentwicklung, wertvolle Erfahrungen, neue Bekanntschaften, Erweiterung meines Horizonts und notwendige Kenntnisse über die Kultur meines Volkes“, erzählt die junge Vera Belenina über ihre Eindrücke von der Reise nach Barnaul. „Wir müssen uns an unsere Vergangenheit erinnern und die Kultur in der Gegenwart fördern, indem wir an die Zukunft denken.“

So lautete auch das Motto des Forums und des Festivals in Barnaul: „Wir schaffen das Bild der Zukunft, indem wir das Erbe der Vergangenheit bewahren“. Und darüber hinaus der deutschen Gemeinschaft in Russland. Bisher sieht es so aus: ein Minimum an Politik, ein Maximum an Kultur. Und dabei geht es nicht nur um authentische Bräuche und Traditionen, Volkslieder und Tänze. Beim Galakonzert führte Vera das „Käuzlein“ zur Musik von Robert Schumann auf.

Iwan Saprykin (12)

Iwan Saprykin (Foto: Viktor Prokopitschew)

Der 12-Jährige lebt in der Stadt Marx und spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Geige. Im Jahr 2022 gewann Iwan den Grand Prix des Edwin-Fritzler-Wettbewerbs. Auch seine Geschwister nehmen an den Veranstaltungen für Russlanddeutsche im Gebiet Saratow teil. Natalja malt, Ilja spielt im Theaterstudio „Jugendstadt“ und der älteste Bruder Sergej schreibt Lieder. Ein besonderer Stolz der großen und freundlichen Familie Saprykin sind ihre Großeltern: Rosa Steinbach und Anatolij Herter. Sie sind schon seit 56 Jahren zusammen! Und immer noch aktiv im Begegnungszentrum der Stadt Marx. Die Großmutter kocht gerne russlanddeutsche Gerichte, wie zum Beispiel Strudli, ein Gericht mit Fleisch, Kartoffeln, Sauerkraut und Hefeteig. Dies wurde bei dem Galakonzert in Barnaul erwähnt, als die Moderatorin Iwan vorstellte. Der junge Geiger spielte eine Romanze von Igor Frolow.

Für Iwan war der wichtigste Teil des Festivals in Barnaul die Begegnung mit Dajana Hoffmann, der Dirigentin des Orchesters „Nowaja Moskwa“. Dajana war Iwans Konzertmeisterin. „Ich hoffe wirklich, dass ich noch einmal die Chance bekomme, mit ihr zu spielen“, sagt der Junge. Ihm gefiel alles an der Reise, aber „natürlich waren das Konzert und das festliche Buffet am denkwürdigsten“.

Fast alle Programmpunkte des Forums und Festivals in Barnaul berührten auf die eine oder andere Weise das Thema Familie, seien es Vorträge über Genealogie, Expertensitzungen, Theatervorstellungen und Filme, Ausstellungen und das Galakonzert selbst. Und das nicht nur, weil das Jahr 2024 in Russland zum Jahr der Familie erklärt wurde. Die Erhaltung und Entwicklung der Kultur beginnt in der Familie, in der Kindheit – das ist der Schwerpunkt der ethnokulturellen Aktivitäten der russlanddeutschen Organisationen.

Angelina Galkowskaja (21)

Angelina Galkowskaja (Foto: Viktor Prokopitschew)

Die Pianistin wurde in Anshero-Sudshensk (Verwaltungsgebiet Kemerowo) geboren. Sie absolvierte dort die Musikschule, anschließend die Musikhochschule in Nowosibirsk und studiert nun Klavier am Staatlichen Konservatorium Nowosibirsk.

„Ich habe am allerersten Werner-Kunstwettbewerb im Jahr 2011 teilgenommen. Es war noch ein ländlicher Wettbewerb, klein, fast wie zu Hause“, erinnert sich Angelina. „Und das war der Beginn meiner musikalischen Karriere, ich war damals in der zweiten Klasse einer Musikschule. Dann wuchs der Wettbewerb, und ich wuchs mit ihm. Und jetzt habe ich gerade angefangen, am Konservatorium zu studieren – und sofort ein Festival in Barnaul. Ich bin sehr glücklich darüber, hier alte und neue Freunde getroffen zu haben und zu zeigen, wie ich mich beruflich weiterentwickelt habe. Vielen Dank an die Direktoren und Organisatoren, die uns ein Fest geschenkt haben! Es war nicht nur am Tag des Konzerts, sondern die Feierlichkeiten begannen schon lange vorher, mit der Auswahl des Repertoires, der Kostüme und der tagelangen Vorbereitung auf die Aufführung.“

Als Angelina anfing, am Werner-Wettbewerb teilzunehmen, begann sie, sich für ihre Wurzeln zu interessieren. Es stellte sich heraus, dass sie deutsche Vorfahren sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits hat. Bei dem Gala­konzert spielte das Mädchen eine Bach-Suite.

Heute kündigt der IVDK keine neuen Großprojekte an, wie z. B. gesamtrussische Wettbewerbe, die Eröffnung neuer Schulen und neue Tätigkeitsbereiche. Die Zeiten sind nicht günstig. Aber praktisch alle Projekte, die der IVDK früher ins Leben gerufen hat, werden fortgesetzt und weiterentwickelt. Nur ein Beispiel: 2011 unterstützte der Verband den Michael-Werner-Wettbewerb im Dorf Patscha im Verwaltungsgebiet Kemerowo. Jetzt ist er international geworden. Die Gewinner waren Teilnehmer des Festivals in Barnaul. Die derzeitige Führung des IVDK ist der Meinung, dass es wichtig ist, das zu bewahren, was die öffentlichen Organisationen der Russlanddeutschen in mehr als 30 Jahren Arbeit aufgebaut haben.

Alina Makk (22)

Alina Makk (Foto: Viktor Prokopitschew)

Die junge Sängerin wurde in Kemerowo geboren. Sie absolvierte die Staatliche Universität in Nowosibirsk und die Higher School of Economics in Moskau und wurde Journalistin und Stylistin. Alina lebt heute in Nowosibirsk. 2017 gewann sie den Grand Prix in der Kategorie „Akademischer Gesang“ des Michail-Werner-Wettbewerbs. Beim Galakonzert in Barnaul sang Alina das Lied Franz Schuberts „Leise flehen meine Lieder…“.

„Das Festival in Barnaul war wie ein Treffen mit Verwandten, mit meiner großen Familie, wo sich alle verstehen, alle ähnliche Werte haben, es allen um eine Sache geht“, teilt Alina Makk ihre Eindrücke mit. „Ich bin in der deutschen Gemeinde in Kemerowo aufgewachsen, habe immer wieder an Sprach-Camps für Kinder und Jugendliche teilgenommen, 2017 bin ich mit anderen Gewinnern des Werner-Wettbewerbs für zwei Wochen nach Deutschland gereist. Ich habe mich gefreut zu sehen, wie diejenigen, mit denen ich als Kind gemeinsam am Wettbewerb teilgenommen habe, inzwischen professionell gewachsen sind. Und jetzt haben wir uns wieder für ein gemeinsames Ziel zusammengefunden. Und das ist wunderbar!“

Alina ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich die jüngere Generation zunehmend für die kulturellen Aktivitäten der Russlanddeutschen einsetzt. Als Kinder besuchten sie Sonntagsschulen in Begegnungszentren und nahmen an Sprach-Camps teil. Die Kinder- und Jugendarbeit des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur trägt nun Früchte und wird auf jeden Fall fortgesetzt.

Zusammengestellt von Olga Silantjewa

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