„Putin hat früher schlechter gesprochen“

Wer vor einem Millionenpub­likum im Fernsehen auftritt, der soll sich doch bitteschön an die Regeln der russischen Sprache halten, findet Tatjana Gartman. Die Russischlehrerin aus Nischnij Nowgorod, genervt von den vielen Grammatik- und Betonungsfehlern, liest prominenten Sündern im Internet die Leviten. Die Resonanz ist groß.

Pädagogin Tatjana Gartman wettert auf YouTube gegen fehlerhaftes Russisch im Fernsehen. © Privat

Frau Gartman, Sie ertragen es nicht, wenn Leute Fehler im Russischen machen?

Nur, wenn es Fernsehmenschen sind, also Moderatoren, Talkshow-Hosts und so weiter, die von Berufs wegen mit Sprache arbeiten und die im ganzen Land ausgestrahlt werden. Ich laufe nicht auf der Straße herum und verbessere alle und jeden.

Seit dem Herbst betreiben Sie Ihren eigenen YouTube-Kanal „Utschilka vs TV“ und nehmen Szenen aus dem Fernsehen aufs Korn. Damit sind Sie landesweit bekannt geworden. Wie kam es dazu?

Die Idee hatte ich schon vor einer ganzen Weile. Ich gebe spezielle Sprach- und Journalistikkurse für Erwachsene und Kinder. Dort zeige ich die Besonderheiten und Schwierigkeiten der russischen Sprache auf, unter anderem anhand von Fehlern aus dem Fernsehen. Daraus entstand irgendwann der Kanal.

Im ersten von inzwischen zehn Videos sagen Sie, schlechtes Russisch im TV mache Sie verrückt. Dann erklären Sie „allen doofen Fernsehleuten“ den Krieg. Wie können Sie sich Ihrer Sache im Russischen so sicher sein?

Ich bin ausgebildete Russischlehrerin und Pädagogin für ergänzende Bildung. Ich liebe die Sprache, solange ich denken kann, und ich habe mir selbstständig so viel angelesen, wie ich nur konnte. Einst wollte ich in diesem Fachgebiet sogar promovieren und habe ein paar Artikel geschrieben. Aus der Promotion wurde letztlich nichts,  aber das Wissen ist mir geblieben.

Die Videos leben auch von den kleinen Einspielfilmen, die Sie dann kommentieren. Sie aufzubereiten, braucht Zeit. Das machen Sie alles nach Feierabend?

Um den technischen Teil kümmert sich eine ehemalige Schülerin von mir, eine gelernte Fernsehpublizistin. Sie filmt mich mit ihrer Kamera, übernimmt Montage, Licht, Sound. Die Videos drehen wir in meiner Küche.

Kein bisschen aufgeregt?

Doch, jedes Mal. Aber ich habe durch die langen Jahre des Unterrichtens gelernt, vor Publikum zu sprechen. Zwar stand ich früher nicht vor der Kamera, sehe da aber keinen großen Unterschied. Wie man sich vor der Kamera positioniert, gehört unter anderem zu den Themen, die ich selbst in meinen Kursen unterrichte.

Ihr Kanal hat inzwischen über 21.000 Abonnenten. Sieht so aus, als hätten Sie einen Nerv getroffen.

Irgendwie haben sich die Leute sofort dafür interessiert. Es scheint, als hätte ich viele Gleichgesinnte da draußen.

Eines Ihrer Videos ist Wladimir Putin gewidmet. Wie steht es um sein Russisch?

Er hat früher schlechter gesprochen. Da erlaubte er sich eine große Anzahl von Fehlern. Man merkt, dass er sich damit beschäftigt und mit Sprachspezialisten gearbeitet hat. In den letzten zwei, drei Jahren hat er um einiges besser zu sprechen begonnen. Das finde ich sehr löblich. Immerhin ist er ein Staatsmann.

Werden heute generell mehr Fehler gemacht als vor zehn oder 20 Jahren?

Ja, die Schreib-, Sprech- und Lesefähigkeiten haben sich verschlechtert. Das liegt erstens daran, dass die jüngere Generation weniger liest. Wir hatten damals nicht so viele Möglichkeiten zur Ablenkung wie sie, keine Vergnügungszentren und Computerspiele. Wir haben viel gelesen, das war unser Zeitvertreib. Der zweite Grund ist, dass es Mode geworden ist, die Sprache absichtlich zu verschandeln. Vor allem in den sozialen Medien schreiben Leute gerne bewusst falsch, so, wie man etwas ausspricht und nicht so, wie sich etwas schreibt.

Im Fernsehen ist der Ton generell umgangssprachlicher geworden, weniger streng als früher. Das Format und die Anforderungen an die Moderatoren haben sich geändert. Deshalb ist auch das Level der Sprachkenntnisse insgesamt bei der Bevölkerung gesunken.

Und was werden Sie tun, wenn Sie irgendwann alle Fehler im TV ausgemerzt haben?

(Lacht) Dann werde ich es einfach genießen und in Rente gehen.

Das Interview führte Lena-Marie Euba.

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