Russische U-Bahn, die nicht existiert

Einwohner großer russischer Städte träumen davon, eine Metro zu haben. Sie träumen so sehr, dass sie selbst Metropläne zeichnen und wahrscheinlich bereit wären, Geld für den Bau zu sammeln, wenn er nicht Milliarden kosten würde. Die MDZ sammelt Geschichten aus Regionen, in denen der Untergrund zu einer urbanen Legende geworden ist.

Eingang zur einzigen gebauten Metrostation in Omsk (Foto: Wikimedia)

Heute gibt es in sechs russischen Städten eine Metro: in Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, Nowosibirsk, Nischni Nowgorod, Samara und Kasan. Die Moskauer Metro ist die älteste und umfangreichste. Die Einwohner anderer Städte scherzen neidisch, dass sie nur darauf warten, dass die Moskauer Metro sie „erreicht“.

Barnaul

Doch die Einwohner von Barnaul hoffen nicht mehr, dass der Moskauer U-Bahn-Verkehr in den Altai verlegt wird. Sie haben im Internet selbst eine U-Bahn „gebaut“ – eine U-Bahn-Karte gezeichnet und eine Webseite mit „aktuellen“ Nachrichten aus dem Leben der Barnauler U-Bahn eingerichtet. Die Idee dazu hatte der Journalist Danil Tschurilow. Gegenüber der Lokalzeitung „altapress“ sagte er: „Wenn man sehr lange im Stau steht, denkt man: ‚Ich wünschte, ich könnte jetzt mit der U-Bahn fahren!‘. Vor etwa sechs Jahren habe ich aus Langeweile einen kleinen Plan der Metro gezeichnet, in dem ich vorschlug, wo die Stationen liegen könnten und wie die Linien verlaufen würden.“ So entstand das Schema, ebenso wie die Idee, eine kleine Webseite als Aprilscherz zu erstellen. Die Geschichte ging viral und wurde von den lokalen Medien aufgegriffen.

Tschurilow hat nicht nur ein Schema mit fünf Linien und 37 Stationen gezeichnet, sondern auch die gesamte Geschichte der Metro mit „historischen“ Fotos und Dokumenten beschrieben. Auf der Webseite der Barnauler Metro findet man zudem Bilder von alten und modernen Wertmarken und Fahrkarten, die von Danil gezeichnet wurden.

Laut der auf der Webseite beschriebenen Legende begann der Bau der Metro in Barnaul im Jahr 1972, nachdem Leonid Breschnew das Altai-Gebiet im Zusammenhang mit einer noch nie dagewesenen Getreideernte besucht hatte. Der Besuch des Generalsekretärs in der Regionalhauptstadt ist eine reale historische Tatsache. Die Folge dieses Besuchs war jedoch nicht der Bau der Metro, sondern die Eröffnung der Staatlichen Universität Altai.

Die sowjetische Regierung plante ursprünglich nicht, eine U-Bahn in Barnaul zu bauen, und auch die heutige Verwaltung hat dies nicht vor. Die Stadt hat weniger als eine Million Einwohner und das Verkehrsaufkommen auf den Straßen ist nicht so hoch, dass eine U-Bahn notwendig wäre.

Aber die Webseite der Barnauler Metro ist so überzeugend, dass Danil Tschurilow den Gästen der Stadt regelmäßig erklären muss, dass es sie gar nicht gibt.

Omsk

Am 11. Mai 2018 gab die Regierung der Region Omsk bekannt, dass der Bau der Metro eingestellt wird. Der Bau hatte 25 Jahre gedauert, doch die Metro wurde nie fertiggestellt. In dieser Zeit war lediglich eine Station betriebsbereit.

Omsk erhielt 1979 den Status einer Millionenstadt und konnte somit Anspruch auf den Bau einer Metro erheben. Die erforderlichen Genehmigungen dauerten zehn Jahre, aber aufgrund des Zusammenbruchs der UdSSR wurde der Baubeginn um mehrere Jahre verschoben und die ersten Feldarbeiten begannen schließlich erst im Jahr 1993.

Bis zum Beginn der 2000er Jahre wurde praktisch nichts gebaut. Im Jahr 2008 sollten vier Stationen eröffnet werden, doch dann kam die Finanzkrise. Erst 2011 wurde der Bau wieder aufgenommen. Die Eröffnungstermine wurden mehrfach verschoben. Schließlich ordnete Ministerpräsident Dmitri Medwedew an, die Metro bis zur Dreihundertjahrfeier von Omsk im Jahr 2016 zu eröffnen. Dazu kam es jedoch nie.

Die Bewohner der Stadt sorgen regelmäßig für Schlagzeilen rund um die Metro: Sie schleichen sich in unfertige Tunnel, um dort Kanu zu fahren. Sie geben Tickets für eine nicht existierende U-Bahn als Souvenirs aus. Auf der Webseite der Barnauler U-Bahn war außerdem zu lesen, dass die Omsker U-Bahn der Barnauler U-Bahn 20 Wagen schenken wird. Die geschenkten Wagen werden über bequeme Sitze, eine Heizung, Radiosender und Steckdosen für elektrische Rasierapparate verfügen.

Krasnojarsk

In Krasnojarsk wurde bereits in den 1960er Jahren erstmals über den Bau einer U-Bahn gesprochen, als das rasche Wachstum der Stadt neue Lösungen für das Verkehrssystem erforderlich machte. Im Jahr 1983 wurde schließlich der Bau einer U-Bahn beschlossen. Der eigentliche Bau begann jedoch erst 1995 und wurde, wie in früheren Fällen, zunächst unterbrochen und dann fortgesetzt. Dabei wurde sogar das für den Bau bestimmte Geld gestohlen. Der für den Bau verantwortliche Beamte Oleg Mitwol wurde 2023 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Einwohner von Krasnojarsk scherzten, dass bei der Durchsuchung seines Hauses eine verschwundene U-Bahn-Linie gefunden worden sei.

Nach dem Besuch von Wladimir Putin in Krasnojarsk kam es zu positiven Veränderungen im Verkehrssystem. Er wies an, Geld für den Weiterbau zu finden. Infolgedessen wurden die Projektunterlagen überarbeitet und statt einer Metro der Bau einer Metrotramway beschlossen – ein leichtes Metrosystem, das keine tiefen Gleise erfordert.

Laut den regionalen Behörden sollen die ersten Stationen im Jahr 2026 in Betrieb genommen werden. Bislang stehen die Chancen gut, dass dies auch tatsächlich der Fall sein wird.

Ljubawa Winokurowa

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