Viele Russen bleiben diesen Sommer zu Hause. Nicht, weil sie sich den Urlaub nicht leisten können, sondern weil im Juni gleich mehrere Reiseveranstalter pleite gegangen sind.
Den Anfang machten die beiden Reiseveranstalter „Polar Tour“ und „Matrjoschka Tour“. Ende Juni ging die Firma „Natali Tours“ an die Öffentlichkeit und sprach von finanziellen Schwierigkeiten. Man suche nach Investoren, hieß es damals. Geholfen hat diese Strategie nicht. Rund 8000 Menschen sind vom Bankrott betroffen, die Pauschalreisen bis Oktober gebucht hatten. Insgesamt 949 Millionen Rubel (rund 13 Millionen Euro) schuldet der Veranstalter den Touristen. Dass jährlich Reiseunternehmen vom Markt verschwinden ist kein Einzelfall, doch bei „Natali Tours“ handelt es sich um einen der ältesten und größten Veranstalter des Landes, der seit 1992 Russen in die Ferien befördert.
Anfang Juli folgte „DSBW Tours“, ein weiterer großer Spieler auf dem Reisemarkt, der seit 1991 seine Dienste anbietet – doch anders als „Natali Tours“ legte Geschäftsführer Karen Gontscharow gleich am Anfang die Karten auf den Tisch und verkündete auf Facebook seine Insolvenz.
Auslandsreisen nehmen ab
Was steckt hinter den Bankrott-Erklärungen? Die hohe Schwankung des Rubels und die gestiegenen Kerosinpreise machten es den Reiseveranstaltern nicht leicht, schwarze Zahlen zu schreiben, so Dmitrij Gorin, Sprecher des russischen Tourismusamts „Rosturism“.
Die Zahl der Auslandsreisen hat sich seit 2014 kontinuierlich verringert, von 42,9 Millionen auf 31,7 Millionen im Jahr 2016. 2017 hatte sich die Reisebranche stabilisiert. 39,6 Millionen Fahrten wurden im letzten Jahr verzeichnet.
Viele Veranstalter zeigten sich angesichts dieser Zahlen optimistisch. Vielleicht zu optimistisch, meinen Experten. Viele hofften, dass der Trend anhält und 2018 mehr Russen ins Ausland reisen als im Vorjahr. Vorzeichen soll es immerhin gegeben haben. „Pauschalreise-Angebote fanden reißenden Absatz während der Frühbucherrabatte im März“, erklärt Gorin. Aus diesem Grund buchten Reiseveranstalter wie „Natali Tours“ mehr Charter-Flüge und Zimmer bei Hoteliers als üblich. Der Ansturm blieb allerdings aus. Neben „Rosturism“ erwarten auch andere Veranstalter ein ähnliches Ergebnis wie 2017.
Derzeit sind Pauschalreisen häufig günstiger als sie im Frühbucherrabatt waren. Der Grund: Weil sich die gute Prognose nicht bewahrheitet hat, bieten viele Reiseveranstalter jene Angebote zu Dumping-Preisen an. Doch diese Politik kann zur Verschlechterung der russischen Urlaubsindustrie führen, befürchten Branchen-Experten.
Reiseindustrie droht Vertrauensverlust
Auch die Fußballweltmeisterschaft hatte einen Einfluss auf die Lage. Viele Russen blieben im Land, um das Ereignis zu verfolgen, meint Sergej Agafonow, Leiter des Last-Minute-Spezialisten „Set Magasinow Gorjatschich Putjowok“. Solch eine Planung gehöre eben zum Geschäftsrisiko dazu. Manche hätten vorsichtiger sein sollen. „Ich denke, dass Reiseveranstalter aus den Erfahrungen dieses Jahres lernen werden und bei der Planung nächstes Jahr vorsichtiger handeln werden“, so Agafonow.
Dass viele Reisevernastalter vom Markt gehen, könne zu einem erneuten Vertrauensverlust führen, sagt Irina Tjurina, Sprecherin des Verbands der Reiseindustrie zu „Kommersant“. Das hätte es bereits im Krisenjahr 2014 gegeben, als 20 Reiseveranstalter pleite gegangen sind und die Nachfrage nach Pauschalreisen gesunken war.
Von einer Systemkrise der Tourismusindustrie könne dennoch nicht gesprochen werden, versichert der Verband „Turpomoschtsch“, eine Vereinigung von Reiseveranstaltern, die russischen Touristen im Ausland Unterstützung leistet, wenn ein Veranstalter bankrottgegangen ist. Es seien Einzelfälle, eine Kettenreaktion werde es nicht geben.
Einen Gewinner gibt es in diesem Jahr dann doch. Im Juli sei die Nachfrage nach Pauschalreisen im Inland höher gewesen als im Vorjahr, gibt „TourDom.ru“ bekannt. Die Halbinsel Krim liegt mit Abstand vor anderen Destinationen an der russischen Schwarzmeerküste.
Katharina Lindt