Reformen, Aufbruch und Stagnation

Vom riesigen Kasachstan bis zum bettelarmen Tadschikistan: Nach langem Stillstand sind die fünf Staaten Zentralasiens in Bewegung gekommen. Ein kurzer Überblick über den tiefgreifenden Umbruch in der strategisch bedeutsamen Region.

Zeitenwende: In Zentralasien geht die Epoche der postsowjetischen Langzeitherrscher zu Ende. /Foto: wikipedia.org

Kasachstan

Der Frühling begann in Zentralasien mit einem politischen Erdbeben: Nach fast 30 Jahren an der Spitze seines Landes trat der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew für viele völlig überraschend von seinem Amt zurück. Als seinen Nachfolger hatte der 79-Jährige seinen Vertrauten Kassym-Schomart Tokajew auserkoren. Doch der geplante Machttransfer, bei dem Nasarbajew weiter im Hintergrund die Fäden zog, stieß auf unerwarteten Widerstand und rief eine bis heute andauernde Protestwelle hervor. Den Auftakt machten Aktivisten im südkasachischen Almaty, die während eines Halbmarathons mit selbstgemachten Transparenten für freie und faire Präsidentschaftswahlen demonstrierten. Das Beispiel war ansteckend: Auch in der Hauptstadt, zuvor zu Ehren Nasarbarjews von Astana in Nur-Sultan umbenannt, sowie den anderen größeren Städten des Landes ging vor allem die Jugend auf die Straße, um gegen das Durchwinken Tokajews zu demonstrieren. Der Staat reagierte mit Festnahmen, Internetblockaden, Verboten und Haft. Zum Schweigen brachte er die aufgebrachten Bürger damit nicht. Trotz der Proteste wurde Tokajew dann Anfang Juni bei den vorzeitigen Neuwahlen als Nachfolger Nasarbajews bestätigt. Die Nachricht brachte hunderte Bürger in Almaty und Nur-Sultan auf die Straße. Bis heute reißen die Proteste der in Bewegung geratenen Zivilgesellschaft nicht ab.

Usbekistan

Jahrtausendealte Prachtbauten, beeindruckende Wüstenlandschaften und die historische Seidenstraße: Seit Kurzem können Deutsche problemlos Reisen nach Usbekistan planen. Denn der bevölkerungsreichste Staat Zentralasiens hat zu Beginn des Jahres die Visapflicht für Touristen aus 45 Ländern abgeschafft. Darüber hinaus wird das rohstoffreiche Land auch für deutsche Unternehmer immer interessanter. Gründe sind der Abbau bürokratischer Hürden, eine neue Offenheit gegenüber Investoren sowie Erleichterungen in Handel- und Währungspolitik. Und mit der Freilassung einer Reihe bekannter Journalisten, Menschenrechtler und Regimekritiker ist sogar die usbekische Innenpolitik in Bewegung gekommen. Die Schritte sind Teil des neuen Kurses von Präsident Schawkat Mirsijojew, welcher nach der Machtübernahme im Jahr 2016 seinem Land vorsichtige Reformen verordnet hat. Zuvor hatte Diktator Islom Karimow Usbekistan fast drei Jahrzehnte mit harter Hand und Repressionen in die wirtschaftliche und politische Isolation geführt. Tiefpunkt seiner Herrschaft war das Massaker in der Stadt Andischan, bei dem er eine Demonstration zusammenschießen ließ. Mindestens 400 Menschen kamen dabei ums Leben. Dass Präsident Mirsijojew mit dem neuen Kurs auf eine politische Liberalisierung zielt, wird von Experten allerdings bezweifelt. Es gehe ihm in erster Linie um eine wirtschaftliche Modernisierung.

Turkmenistan

Die Nachricht entfachte auf Twitter und Co einen regelrechten Tsunami hitziger Diskussionen: Gurbanguly Berdymuchammedow, seit 13 Jahren Präsident von Turkmenistan, ist tot. Dies behauptete zumindest der Moskauer Radiosender „Goworit Moskwa“ Ende Juli. Der 62-jährige Politiker, der das letzte Mal zu Beginn des Monats in der Öffentlichkeit gesehen wurde, sei während seines Sommerurlaubes verstorben. Offizielle Stellen dementierten. Normalerweise sind Gerüchte über den Tod von Politikern nicht besonders langlebig. Doch nicht so in Turkmenistan. Das Land gilt als einer der repressivsten Staaten weltweit, aus dem kaum Informationen nach außen dringen. Internet, Presse und Fernsehen werden zensiert, Messenger-Dienste blockiert, politischer Widerstand unterdrückt. Derzeit wird der Staat, der über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt verfügt, von einer massiven Nahrungsmittelkrise mit langen Schlangen vor den Geschäften heimgesucht. Die Mängel sind Folge der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit. Bei ganzen 290 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt die Hyperinflation, welche die Guthaben der Turkmenen entwertet. Anzeichen für einen politischen Wandel des Systems waren bisher trotzdem nicht zu erkennen. Auch ein Ableben Berdymuchammedows dürfte das System kaum ändern – sein Sohn Serdar gilt als Nachfolger.

Kirgistan

Lange war es ziemlich ruhig um die einzige parlamentarische Demokratie in Zentralasien. Doch zu Beginn des Sommers entbrannte in dem gebirgigen Land eine hitzige Krise, die vorerst mit einem Unentschieden endete. Die Auseinandersetzung begann mit einem Paukenschlag des kirgisischen Parlamentes. Dieses entzog dem früheren Präsidenten Almasbek Atambajew Ende Juni die politische Immunität. Damit drohten dem Ex-Politiker Strafverfolgung und sogar Gefängnis. Der Vorwurf der Abgeordneten: Atambajew habe sich bei der Modernisierung eines Heizkraftwerkes in der Hauptstadt Bischkek bereichert und einen undurchsichtigen Deal zu dessen Belieferung mit Kohle eingefädelt. Außerdem soll er sich unrechtmäßig ein Grundstück angeeignet haben und 2013 einen berüchtigten Mafia-Boss vorzeitig aus der Haft entlassen haben. Atambajew war nach Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2017 von seinem politischen Ziehsohn Sooronbai Dscheenbekow in freien Wahlen abgelöst worden. Doch der neue Präsident emanzipierte sich rasch von seinem einstigen Gönner – und besetzte nach und nach Schlüsselpositionen mit eigenen Leuten. Beobachter werten die Entscheidung des Parlaments daher als Teil des Machtkampfes der beiden Politiker. Atambajew reagierte auf die sich zuspitzende Krise zunächst mit einem Rückzug in sein Heimatdorf Koi-Tash im Norden des Landes, wo er sich zeitweise mit bis zu 400 Anhängern verschanzte und Widerstand bis zum Letzten ankündigte. Ende Juli vermittelte Russland zwischen den Streithähnen – bisher ohne Ergebnis.

Tadschikistan

Vergiftungen, Aufstände, Unruhen: In tadschikischen Gefängnissen sind in den vergangenen Monaten mindestens 66 Menschen ums Leben gekommen. Zuletzt starben im Juli 13 Häftlinge, die verdorbenes Brot bekommen hatten. Doch nicht nur aus den Haftanstalten des Hochgebirgslandes dringen trübe Nachrichten: So ist Tadschikistan nach wie vor das ärmste Land in Zentralasien. Viele Einwohner verdienen keine 100 Euro im Monat. Die meisten Familien sind auf Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland angewiesen. Dazu kommen Zensur, ein allmächtiger Geheimdienst und Repressionen. Und eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Denn während durch manche Nachbarländer ein zaghafter Wind der Veränderung weht, baut Langzeitherrscher Emomali Rahmon Tadschikistan immer mehr zum Überwachungsstaat aus. So ließ er 2015 die einzige Oppositionspartei verbieten, verschärfte unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Islamismus die Verfolgung Oppositioneller und überzog Gläubige mit absurden Verboten. So dürfen Männer beispielsweise nur noch gestutzte Bärte tragen. Eine Liberalisierung des Systems sei vorerst unwahrscheinlich, schätzen Beobachter. Denn nach einer Verfassungsänderung darf der 66-Jährige praktisch bis zu seinem Tod im Amt bleiben. Und auch nach seinem Tod bliebe die Macht vorraussichtlich in der Familie: Rahmons ältester Sohn, seit 2017 Bürgermeister von Duschanbe, gilt als voraussichtlicher Nachfolger.

Birger Schütz

Lesen sie dazu auch, wie die Proteste vor der kasachischen Präsidentschaftswahl begannen http://mdz-moskau.eu/vor-der-wahrheit-kann-man-nicht-davonrennen/

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