Vor der Wahrheit kann man nicht davonrennen

Kasachstan wählt im Juni einen neuen Präsidenten. Freie und faire Wahlen werden es aber nicht, glauben Viele. Vor allem die Jugend wünscht sich einen wirklichen Wechsel und engagiert sich zunehmend politisch.

Für dieses Plakat wurden zwei Aktivisten zu 15 Tagen Haft verurteilt. / Foto: Tamina Ospanowa

Graue Haare und die Augen stets hinter einer dunklen Brille verborgen: Für viele Kasachstaner steht bereits fest, dass so der nächste Präsident aussehen wird. Qassym-Schomart Toqajew gilt als aussichtsreichster Kandidat bei den am 9. Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen in Kasachstan. Nicht, weil er sich in der Bevölkerung so großer Beliebtheit erfreut, sondern weil ihn sein Vorgänger Nursultan Nasarbajew dazu auserkoren hat.

15 Tage Haft für ein Plakat

„Wir wollen eine echte Demokratie. Wir wollen faire und freie Wahlen“, fordert Dilda Kulmagambetowa. Die 25-Jährige ist seit Tagen auf den Beinen, um dafür zu kämpfen, dass ihre Freunde aus dem Gefängnis entlassen werden. Asja Tulesowa und Beibarys Tolymbekow wurden am 21. April zu je 15 Tagen Haft verurteilt, weil sie während eines Marathons in der Metropole Almaty plakatierten: „Vor der Wahrheit kannst du nicht davonlaufen.“ Darunter der Hashtag: #ichhabedieWahl, der bereits tausendfach benutzt wurde.

Nursultan Nasarbajew war am 19. März nach fast 30 Jahren an der Spitze Kasachstans zurückgetreten. Am nächsten Tag übernahm Toqajew das Amt des Präsidenten. Seine erste Amtshandlung: Die Hauptstadt des Landes von Astana in Nur-Sultan umzubenennen. Seitdem kommt es im ganzen Land immer wieder zu Protesten. Während des Frühlingsfestes Naurys und am 1. Mai demonstrierten hunderte Menschen in mehreren Städten des Landes friedlich. Es folgten gewaltsame Festnahmen seitens der Polizei.

Protest im Internet

Im Internet tauchten Slogans auf wie: „Nur-Sultan ist nicht meine Stadt! Toqajew nicht mein Präsident! Dariga nicht meine Senatssprecherin!“ Dariga Nasarbajewa, die Tochter des Ex-Präsidenten, war für Toqajew an die Stelle des Senatssprechers gerückt – das zweithöchste Amt in Kasachstan. Wer sich in diesen Tagen mit Kasachstanern unterhalten hat, bekam oft zu hören, dass Toqajew nur der Platzhalter für Nasarbajewa sei. Alles ein abgekartetes Spiel. Darauf, dass sie doch eine Wahl haben, wollten die 34-jährige Tulesowa und der 20-jährige Tolymbekow hinweisen. Drei weitere Aktivisten, alle Anfang-Mitte 20, wurden am darauffolgenden Tag zu Geldstrafen verurteilt.

Zu ihnen gehört Suinbike Sulemeinowa. Ihr wird vorgeworfen, die Aktion gefilmt und somit unterstützt zu haben. Etwa 120 Euro soll sie umgerechnet zahlen – aufgrund ihrer Schwangerschaft wurde ihr vom Gericht ein 30-prozentiger Erlass gewährt. Mithilfe sozialer Netzwerke kam innerhalb von anderthalb Stunden die notwendige Summe über Spenden zusammen. „Es ist schön zu sehen, welche Unterstützung wir erhalten“, so die 26-Jährige. Sie bekomme viele Nachrichten, nicht nur zu der Aktion, sondern auch viele allgemeine Fragen zu den Wahlen und zivilgesellschaftlichem Engagement.

Die Jugend wacht auf

„Ich versuche allen zu antworten, damit die Leute sehen, dass ich eine von ihnen bin. Ich sehe die Probleme in unserem Land, die fehlende Unterstützung für Familien mit vielen Kindern, die schlechte Infrastruktur, die ungleiche Ressourcenverteilung, das Fehlen von unabhängigen Informationsquellen. Alles wird von oben entschieden. Bisher haben wir geschwiegen, aber ich will, dass die Jugend aktiv wird“, sagt die junge Frau und kämpft mit den Tränen.

Kasachstans Jugend gilt als politisch wenig interessiert. Für eine 2016 veröffentlichte Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden 1000 Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten mit zunehmendem Alter zwar beginnen, sich mehr für Politik zu interessieren, jedoch mehr als die Hälfte gibt an, sich nur ab und zu über das politische Geschehen zu informieren.

Auch Kulmagambetowa hat sich früher nicht sonderlich für Politik interessiert. „Das größte Problem in Kasachstan ist, dass es keinen Dialog zwischen der Regierung und der Bevölkerung gibt. Aber die Leute wollen gehört werden“, meint die Projektkoordinatorin und spricht von einem „Viruseffekt“. „Wir sehen, dass die Leute anfangen, sich zu versammeln und zivilgesellschaftlich aktiv zu werden.“ Wer zu den Diskussionsveranstaltungen um Umweltverschmutzung, Stadtentwicklung oder Frauenrechte in Almaty geht, trifft vor allem junge Menschen, die etwas verändern wollen. Sie suchen den Dialog mit der Stadtverwaltung und Politikern.

Boykott oder Stimmabgabe?

Von einem Boykott der Wahlen halten weder Kulmagambetowa noch Sulemeinowa etwas. „Wir haben eine Stimme und die sollten wir nutzen“, meinen sie. Andere sehen das skeptisch. Ein 24-Jähriger, der unbekannt bleiben will, weiß noch nicht, ob er überhaupt an die Urne treten wird. „Da die Wahlen nicht fair sind, will ich mich eigentlich nicht daran beteiligen“, sagt er. Die Kandidaten – acht haben sich insgesamt bei der Wahlkommission gemeldet – kennt er nicht. „Vor Wahlen tauchen immer wie aus dem Nichts plötzlich weitere Kandidaten auf, die total unbekannt sind.“ Auch für seinen Kumpel, der ebenfalls anonym bleiben möchte, sind die Wahlen bloß „Theater“. Es gebe einen Hauptkandidaten, der Präsident werden wird. „Alle anderen sind nur Dekoration“, meint er. Zur Wahl wird er trotzdem gehen, und entweder für niemanden stimmen oder sich den Wahlzettel einstecken und mit nach Hause nehmen.

Unis trommeln für offiziellen Kandidaten

Kulmagambetowa will die Wahlen auch als offizielle Wahlbeobachterin begleiten. Die NGO „Jugendinformationsdienst Kasachstan“ sucht derzeit Freiwillige. Dass diese dringend gebraucht werden, zeigen die staatlichen Universitäten. An einigen wurde der Prüfungszeitraum um mehrere Wochen nach hinten verschoben, um sicherzugehen, dass die Studenten am Wahltag auch anwesend sind. Eine Studentin der Pädagogischen Hochschule erzählt, es sei bereits eine Liste rumgereicht worden, auf der sie unterschreiben musste, dass sie Toqajew unterstütze. Wer nicht unterzeichnen wollte, dem sei mit dem Entzug des Stipendiums oder gar dem Verlust des Studienplatzes gedroht worden.

Othmara Glas

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