Putin und die wilden Reiter

Das Internet reagierte mit Belustigung und selbst historisch Interessierte staunten: In einer Rede hat Präsident Wladimir Putin die Russen mit einem Verweis auf die Petschenegen und Polowzer zum Durchhalten eingeschworen. Doch wer waren die kaum bekannten Völker?

(Foto: edq.kz)

Wladimir Putin lehnt sich zurück und setzt ein zuversichtliches Lächeln auf. „Liebe Freunde!“, wendet sich der russische Präsident Anfang April an die Fernsehzuschauer. „Unser Staat ist schon oft durch schwere Prüfungen gegangen. Die Petschenegen haben ihn gequält – und auch die Polowzer! Und Russland ist mit allen fertig geworden!“ Auch Corona werde man gemeinsam besiegen, so der Staatschef.

„Worin besteht der Witz?“

Polowzer und Petschenegen? Nicht nur Ausländer rieben sich verwundert die Augen. Selbst historisch interessierte Russen verstanden nicht auf Anhieb, über welche üblen Missetäter ihr Präsident da sprach. Die Recherche zu den Schurken brachten das Internet zum Glühen. „Wer sind Petschenegen und Polowzer und worin besteht der Witz?“, wurde ein populärer Suchtrend beim russischen Google-Pendant Yandex. Schnell wurde klar: Mit dem merkwürdigen Vergleich bezog sich Putin auf zwei fast vergessene Volksstämme aus grauer Vorzeit.

Die beiden Nomadenvölker seien zwischen 8. und 13. Jahrhundert durch die Schwarzmeersteppe und weiter östlich gelegene Gebiete gezogen, erklärte der Historiker Fjodor Uspenskij dem Internetportal Meduza. Den russischen Herrschern hätten die riesigen Reiterhorden seinerzeit viel Kopfzerbrechen bereitet. Wieder und wieder hätten Petschenegen und Polowzer Kriege, Belagerungen und blutige Konflikte angezettelt.Doch es gab nicht nur Feindschaft. So folgten der Gewalt immer wieder auch längere Phasen des Friedens mit Verträgen, Bündnissen und viel Austausch. Russische Fürsten heirateten Frauen aus dem Polowzer Adel. Die Nomadenfürsten gaben ihren Nachfolgern gern russische Vornahmen. Die Beziehungen nur als kriegerisch zu schildern, greift daher zu kurz. Mit dem Mongolensturm im 13. Jahrhundert verliert sich die Spur der wilden Reiter dann endgültig im Staub der Geschichte.

Bedrohliche Vollkorn-Kekse und gefährlicher Reis

Die Internetgemeinde reagierte mit Spott und Belustigung auf das Putin-Zitat: In einer Flut witziger Memes wurden kurzerhand Vollkorn-Kekse und Teller mit dem zentralasiatischen Reisgericht Plow zu den größten Feinden der bedrohten Heimat erklärt. Der Witz für Nicht-Slawisten: Petschenege ähnelt im Russischen dem Wort für Gebäck (Petschenie), und Polowzer erinnern vom Klang her an Plow. Bei Wladimir Putin haben die Krieger jedenfalls einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Denn Polowzer und Petschenegen mussten schon zweimal für Durchhalteparolen herhalten. Erstmals erwähnte sie der Staatschef während der landesweiten Waldbrände von 2010 in einer Ansprache. Drei Jahre später tauchten sie dann in Äußerungen zur staatlichen Filmförderung wieder auf.

Doch auch wenn die Einsatzmöglichkeiten der turksprachigen Nomaden offenbar unbegrenzt scheinen: So ganz waren sich Journalisten nicht sicher, ob das Zitat mehr als ein Witz war. Denn die Ursprünge des Verweises lassen auch eine ironische Lesart zu. Der russische Anwalt Fjodor Plewako (1842-1909) hatte den Bezug erstmals in einem Gerichts­prozess benutzt, als er eine alte Frau verteidigte. Diese hatte einen Teekessel gestohlen. Der Wert des kümmerlichen Diebesgutes: ganze 30 Kopeken. Anwalt Plewako bemühte den ironischen Vergleich demnach ursprünglich, um auf die Absurdität der Anklage zu verweisen.

Birger Schütz

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