Paris 2024: Ex-Weltstars lehnen Olympia-Auflagen ab

Wenig mehr als ein Jahr verbleibt bis zu den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024. Nach wie vor ist unklar, ob auch russische Sportler dort vertreten sein werden. Das IOC hat das zwar befürwortet, aber ein kontroverses Echo geerntet. Empört ist man auch in Russland – wegen der Auflagen, an die eine Zulassung geknüpft wäre. Das sagen ehemalige Weltklasse-Athleten, die heute in der Staatsduma sitzen.

Russische Eishockeylegende: Wjatscheslaw Fetissow (hinten Mitte) am Rande eines Jugend-Fußballturniers in Nordrussland (Foto: Privat)

15 Ex-Spitzensportler gehören dem russischen Parlament, der Staats­duma, an. Es sind Namen darunter, die man auf der ganzen Welt kennt: Irina Rodnina, Anatoli Karpow und Nikolai Walujew zum Beispiel. Olympia­sieger und Weltmeister, wenn auch vergangener Zeiten. Mit ihnen wissen sogar Menschen etwas anzufangen, die am Sport keinen Narren gefressen haben.

Als Abgeordnete sind fast alle dieser Weltstars von einst heute Fraktionsmitglieder bei „Einiges Russland“, der Kremlpartei. Sie werden gern gefragt, wenn eine knackige Meinung zu einem vieldiskutierten Thema gebraucht wird. So ein heißes Eisen ist die Frage, ob Sportler aus Russland an den Olympischen Sommerspielen von Paris in rund einem Jahr teilnehmen sollen.

IOC öffnet Tür für Russen

Im Februar 2022 hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Führung des Deutschen Thomas Bach die Verbände in den einzelnen Sportarten dazu aufgerufen, russische Sportler vor dem Hintergrund von Russlands „Sonderoperation“ in der Ukraine von allen internationalen Wettbewerben auszuschließen. Doch ein gutes Jahr später revidierte sich das IOC. Ende März erging die Empfehlung, Athleten aus Russland unter gewissen Bedingungen die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 zu ermöglichen. Bach begründete das damit, der Sport müsse eine „verbindende Kraft“ sein, keine „politische Waffe“.

Für diesen Vorstoß gab es durchaus Beifall. So sagte etwa die ehemalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Katarina Witt der „Welt am Sonntag“: „Wenn nicht auf ziviler, menschlicher Basis ein Band der Kommunikation geknüpft wird, befürchte ich langfristige neu errichtete Mauern in zu vielen Köpfen. Es ist doch existenziell, dass sich die Menschen ihre Hände reichen, egal auf welcher Ebene.“

Viel Kritik von allen Seiten

Gefühlt musste das IOC aber deutlich mehr Kritik als Lob einstecken. Die Ukraine drohte sogar mit einem Boykott der Spiele, sollten dort auch russische Sportler starten dürfen. In Russland selbst waren die Reaktionen meist ebenso wütend, allerdings aus anderen Gründen. Ein potenzielles Startrecht ist nämlich an eine Einzelfallprüfung und an Auflagen gebunden. Dass die Athleten nicht für ihr Land, sondern „neutral“ nur für sich selbst ins Rennen gehen dürften, ist dabei fast schon gewohnt. Flagge und Hymne sind für Russen bereits seit 2018 tabu, bisher waren Dopingmanipulationen der Grund dafür.

Doch nun kommt hinzu, dass die Sportler keine erklärten Unterstützer von Russlands „Sonderoperation“ sein dürfen. Auch disqualifiziert sie eine strukturelle Verbundenheit zu Armee und Polizei von vornherein. Angehörige der traditionsreichen Sportklubs ZSKA und Dynamo Moskau sind damit außen vor. Auch können sich nur Individualsportler Hoffnungen auf einen Startplatz machen, keine Mannschaften.

Irgendwelche Entscheidungen wurden bisher nicht getroffen. Doch die Entrüstung in Russland ist groß. Und sie kommt auch von den prominenten Duma-Abgeordneten mit Sport-Vergangenheit. Hier einige ausgewählte Stimmen aus den vergangenen Wochen und Monaten.

„Unerträgliche und entwürdigende Bedingungen“

Nikolai Walujew (49)

Ehemaliger Schwergewichtsweltmeister im Profiboxen. Zitat von einer Pressekonferenz Ende Juni.

Russland kann sich diese Schikanen und Demütigungen nicht ewig bieten lassen. Es wird Zeit, dass wir sagen, wie wir uns weiter zu verhalten gedenken. Man drängt uns dazu, die Olympischen Spiele zu boykottieren, stellt unerträgliche und entwürdigende Bedingungen, die praktisch nicht zu erfüllen sind.

„Die falscheste Entscheidung“

Wjatscheslaw Fetissow (65)

Zweifacher Olympiasieger und siebenfacher Weltmeister mit der sowjetischen Eishockeynationalmannschaft, Stanley-Cup-Gewinner 1997 und 1998 mit den De­troit Red Wings. Zitat aus einem Youtube-Interview von Ende Juni.

Mir scheint, dass der Grund für die heutigen Zwischenfälle die schwache Führung im Sport ist. Thomas Bach hat die falscheste Entscheidung getroffen, das ist klar. Ein anderes Wort als Willkür wäre hier fehl am Platz. All diese zusätzlichen Bedingungen, die uns gegenüber erhoben werden, haben nur ein Ziel: Sie sollen unsere Gesellschaft spalten. Deshalb müssen wir aus dieser Situation erst recht geschlossener als bisher hervorgehen.

„Samaranch hätte sich das nie erlaubt“

Anatoli Karpow ( 72)

Schach-Weltmeister von 1975 bis 1985 und 1993 bis 1999. Zitat aus einem Interview mit der Wochenzeitung „Argumenty i Fakty“ im Mai.

Ich persönlich verstehe die Posi­tion des IOC nicht. Meiner Ansicht nach widerspricht sie den Grundlagen der olympischen Bewegung. Juan Antonio Samaranch hätte sich solche Empfehlungen niemals erlaubt. Und auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges fanden Olympische Spiele nicht nur in Los Angeles, sondern auch in Moskau statt.

„Geht um politische Dinge“

Swetlana Schurowa (51)

Ex-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin im Eisschnellauf. Zitat aus einem Interview vom April mit dem Internetportal OSN.

Stellen Sie sich nur mal vor, dass man aus einer Mannschaft den einen Sportler zu den Wettkämpfen zulässt und den anderen nicht. Was heißt das für die Atmosphäre in dieser Mannschaft? Das ist etwas anderes als beim Doping, hier geht es um politische Dinge.

„Total unannehmbar“

Dmitri Pirog (43)

Ehemaliger Boxweltmeister im Mittelgewicht. Zitat von Ende Juni aus der Tageszeitung „Sport-Express“.

Die vom IOC verkündeten Bedingungen sind absolut unbegründet, diskriminierend und für uns total unannehmbar. Offenbar bleibt Russland unter den gegenwärtigen geopolitischen Realitäten nichts anderes übrig, als alternative Spiele zu veranstalten, die auf den wahren Prinzipien der olympischen Bewegung fußen.

Tino Künzel

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