Offroad durch die Weltgeschichte

66 Tage, 21.375 Kilometer: Auch wenn Hubert Gehling (64) in seinem Leben schon viel herumgekommen ist, war die Teilnahme an einer Offroad-Gruppentour durch Zentralasien und Russland für ihn Neuland. Mit Geländewagen ging es durch wilde Natur und zu welthistorisch bedeutenden Stätten. Der MDZ hat der Innenarchitekt aus Nordrhein-Westfalen von seinen Erkenntnissen erzählt.

Rast auf einem Hubschrauberlandeplatz vor spektakulärer Bergkulisse am Iskanderkul, einem See in Tadschikistan (Foto: Hubert Gehling)

Nicht für jedermann

So, wie diese Abenteuertour abgelaufen ist (hier der Veranstalter), das war entschleunigtes Reisen. Dafür muss man sich Zeit nehmen, schließlich waren wir mehr als zwei Monate unterwegs. Mit einem normalen Beruf ist das schlecht zu vereinbaren. Aber ich habe meinen Handwerksbetrieb 2019 verkauft, bin heute Privatier. Auch die anderen waren meist in einem Alter, wo man sich so etwas leisten kann.

Intensive Vorbereitung

Ich habe mich ein halbes Jahr auf die Reise vorbereitet, was sich am Ende absolut ausgezahlt hat. Vor allem musst du mit deinem Auto verwachsen sein, denn letztlich sitzt du nicht nur täglich viele Stunden am Steuer, du schläfst und kochst auch in dem Wagen. Da ist unterwegs dann jeder für sich selbst verantwortlich. Wenn das Auto liegenbleibt, wird zwar alles versucht, um den Schaden vor Ort zu reparieren, aber schlimmstenfalls muss man das Fahrzeug zurücklassen und ohne weiterreisen.

Meinen Toyota Land Cruiser 70 habe ich mir vor einem Jahr zugelegt. Er ist eine Sonderanfertigung mit Wohnkabine, in der man sogar stehen kann, sehr komfortabel. Probehalber habe ich an einer Offroad-Tour in Polen teilgenommen, um den Geländewagen besser kennenzulernen.

Auch habe ich Fitnesstraining gemacht und dabei zehn Kilo abgenommen. Und ich habe Russisch gelernt, war sogar eigens in Armenien, um die Sprache auch mal anwenden zu können.

Nützliches Russisch

Der Russischunterricht – online mit einer Lehrerin aus Moskau – war mühselig. Aber ich hatte ja ein Ziel vor Augen, deshalb bin ich tapfer drangeblieben. Nicht dass ich große Gespräche führen könnte, aber für Smalltalk reicht es. Lesen und Verstehen fällt leichter. Und die Mühe hat sich absolut gelohnt. Angefangen von Georgien bis zu den Hirten in zentralasiatischen Ländern oder den Einheimischen in Hinterhofwerkstätten bis hin zu den großen und modernen Toyota-Zentren, die alles übertrafen, was ich aus Europa kannte: Mit Englisch wäre ich oft nicht weitergekommen. Russisch dagegen hat mir bei der Verständigung immer wieder gute Dienste erwiesen.

Faszinierende Strecke

Ich bin zu meinen Studentenzeiten mal ein Semester in den USA gewesen und später als Messebauer mit der deutschen Industrie um die halbe Welt gereist. In Asien war ich schon oft, aber in Zentralasien und Russland vor dieser Tour noch nie. Dabei hat mich alles, was unter dem Oberbegriff Seidenstraße läuft, seit Jahrzehnten fasziniert. Ich habe alle möglichen Dokus dazu angeschaut. Und ich war nun von dieser Reise so begeistert, dass ich 2025 vielleicht eine ganz ähnliche mache, nur auf einer Route, die auch den Iran und die Mongolei mit einschließt.

Alles Individualisten

In unserer Gruppe ging alles sehr harmonisch zu. Wenn irgendwelche Entscheidungen getroffen werden mussten, waren wir uns meistens einig. Aber der Zusammenhalt beschränkte sich auf diese Reise, da sind jetzt keine großen Freundschaften entstanden, die unbedingt weiter gepflegt werden müssen. Scheinbar sprechen solche Touren vor allem Individualisten an.

Hubert Gehling (rechts vorn) und die Reisegruppe in Chiwa, Usbekistan (Foto: Hubert Gehling)

Erträgliche Wartezeiten

An den Grenzübergängen haben wir schon mal vier oder sechs Stunden gestanden. Das hat aber niemand als unerträgliche Zumutung empfunden. Wir hatten mit viel mehr gerechnet. Als wir Mitte Juli in Deutschland losfuhren, hieß es, dass die Wartezeit an der russisch-lettischen Grenze teilweise bis zu einer Woche beträgt. Wir mussten uns zum Glück nicht in die tatsächlich endlosen Lkw-Kolonnen einreihen. Und wir hatten unsere spezielle Taktik: Wir waren früh bei Schichtbeginn der Grenzer die Ersten an der Schranke. Das hat die Wartezeit zumindest deutlich verkürzt, zumal wir als Gruppe wahrgenommen und durchaus privilegiert behandelt wurden. Man hatte nirgendwo das Gefühl, dass man uns schikanieren wollte. Das Personal war im Großen und Ganzen nett.

Enormer Straßenbau

Beeindruckend war, was für supermoderne Straßen man zum Beispiel in Russland vorfindet, mit höchsten Sicherheitsstandards und nächtlicher Beleuchtung. Überhaupt sind wir Zeugen eines gigantischen Straßenbaus geworden, allen voran in Kirgistan und Russland. Die Seidenstraße selbst wird mit chinesischen Geldern ausgebaut. Das alles bringt auch etwas Wehmut mit sich. Die Welt wird immer lückenloser erschlossen. Solche Abenteuer, wie wir sie erlebt haben, sind in zehn Jahren vielleicht gar nicht mehr möglich.

Keine Politik

Ich habe während der gesamten Fahrt ein Logbuch geführt, damit Freunde, Verwandte und Bekannte zu Hause mitverfolgen können, wie es mir gerade so ergeht. Die Texte sind bewusst sachlich gehalten. Denn ich hatte im Freundeskreis durchaus schon sehr unangenehme Gespräche führen müssen, gerade in Bezug auf Russland. In unserer Reisegruppe haben wir uns gleich darauf verständigt, jegliche politischen Diskussionen zu unterlassen. Das war auch vom Veranstalter so gewollt.

Lieber zu zweit

Bedauert habe ich, die Reise ohne Partnerin angetreten zu haben. Zu zweit hat man mehr davon, denn man fährt schon die meiste Zeit im Auto und ist deshalb viel mit sich allein. Aber das ist auch eine Erfahrung, die man erst einmal machen muss, um seine Schlüsse daraus zu ziehen.

Wertvolle Begegnungen

Für mich sind die zwischenmenschlichen Beziehungen zu den Einheimischen von jeher das Beste am Reisen. Da blühe ich richtig auf, das genieße ich. Auch auf dieser Tour gab es viele solcher Begegnungen. Seien es die Bewohner der tadschikischen Dörfer an der Grenze zu Afghanistan, die weder Strom noch fließendes Wasser haben, aber doch so freundlich zu uns waren. Seien es die Besitzer eines Fischrestaurants an der türkischen Schwarzmeerküste, die ich überreden konnte, uns ein köstliches Abendessen zu servieren, obwohl das Restaurant eigentlich geschlossen war. Sei es der Hinterhofklempner, der unser Auto auch am späten Abend wieder flottgemacht hat. Oder der Parkplatzwächter, der mir ohne Worte einen Platz freigehalten hat. Oder der Angler, der uns einfach so einen Hecht geschenkt hat.

Hier erklimmen Hubert Gehling und sein Toyota den Chuschang-Pass im Pamirgebirge als höchsten Punkt der Tour. (Foto: Hubert Gehling)

Die Menschen haben überall positiv auf uns reagiert und waren unglaublich hilfsbereit. In Frankreich oder Holland hat man als Deutscher durchaus mal Ärger. Auf unserer jetzigen Reise hätte ich es verstanden, wenn unsere deutschen Kennzeichen gerade bei älteren Russen vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs Ablehnung hervorrufen. Aber nichts dergleichen ist uns je widerfahren.

Die Highlights

Wir haben uralte Städte wie Samarkand besucht, endlose Steppen durchquert, bei Jurten Halt gemacht, grandiose Berglandschaften gesehen und den Pamir auf 4650 Metern Höhe passiert. Mein persönliches Top-Highlight war aber Moskau mit seiner wunderbaren Innenstadt, der Metro und der AHK, wo wir zu Gast sein durften. In Moskau war ich auf jeden Fall nicht zum letzten Mal.

Aufgeschrieben von Tino Künzel

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