Nichts als die Wahrheit

Die Rhetorik im russischen Fernsehen kann derzeit verwundern: Hat man das dort wirklich gesagt? Das neue Narrativ in Zitaten.

Der Vorsitzende des Verteidigungskomitees in der Duma Andrej Kartapolow (Foto: AGN Moskau)

Die letzten Entwicklungen im Kampfgebiet und vor allem die Mobilmachung beeinflussen die Narrative sehr, welche der Fernseher dem russischen Publikum lanciert. Man spricht sogar von einer Wende. Sogar die härtesten Kämpfer an der Informationsfront beginnen plötzlich, sich kritisch gegen die Organisation der Einberufung und die Verwaltung des Heeres zu äußern. Der Grundtenor: Die russischen Beamten sollten diese neue Realität ernst nehmen.

Da rief etwa die RT-Chefin Margarita Simonjan in einem Video auf: „Wir müssen aufhören, auf allen Ebenen zu lügen, überhaupt überall in unserem Land, in Banken, Ministerien, Wehrdienststellen, Fabriken, Schulen, Universitäten, Medien. Wir müssen aufhören zu lügen.“ Der Aufruf bezieht sich in erster Linie auf die zahlreichen Fehler bei der Durchführung der Mobilmachung, die diese Maßnahme in den Augen der Gesellschaft kompromittieren.

„Lüge auf allen Ebenen muss strengstmöglich bestraft werden. Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen“, meinte Simonjans Kollege Wladimir Solowjow. Doch es geht nicht nur um die Methoden der Rekrutierung, sondern auch um die Kampfhandlungen. „Wir müssen aufhören, über die Lage an der Front zu lügen“, sagte Generaloberst Andrej Kartapolow in der Sendung Solowjows. Der General, der bis Oktober 2021 den Posten des Stellvertreters des Verteidigungsministers bekleidete, übte Kritik am Ministerium. Die Berichte aus dem Kampfgebiet verschwiegen die tatsächliche Lage. Und das sei eine falsche Strategie: „Das Volk weiß es. Unser Volk ist nicht dumm.“

Auch weitere TV-Moderatoren sprachen sich für eine Darstellung der Situation aus, die der aktuellen Lage gerecht wird. Diejenigen, die jahre-, wenn nicht jahrzehntelang eine Informationsblase geschaffen haben, plädieren nun für eine korrekte Berichterstattung.

An Kommentaren von der liberalen Opposition mangelt es nicht. Aber Kritik kommt ebenso von der rechten Flanke. Der Blogger und Feldkommandeur von 2014 im Donbass Igor Strelkow schrieb zu Simonjans Aufruf: „Wenn es ihr gelingt [nicht mehr zu lügen], was macht sie dann? Von ihren Ersparnissen leben? Sie kann doch nichts anderes als lügen.“

Igor Beresin

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: