
Der 80. Jahrestag des Sieges wurde in diesem Jahr ausgiebig gefeiert: Kulturzentren, Bibliotheken, Archive, Parks, Schulen und sogar Ministerien wurden zu Ausstellungsorten. Die Museen, die in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle in der staatlichen Kulturpolitik gespielt haben, bildeten keine Ausnahme.
Fast 90 Ausstellungen
Im ersten und zweiten Quartal 2025 wurden in Moskau anlässlich des Jubiläums fast 90 neue Ausstellungen eröffnet. Zu den wichtigsten Museen auf föderaler Ebene gehören das Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges auf dem Poklonnaja-Hügel, das Staatliche Zentralmuseum für moderne Geschichte Russlands, das Staatliche Historische Museum, die Tretjakow-Galerie und das Puschkin-Museum für Bildende Künste. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ausstellungen „1418“ in der Tretjakow-Galerie, „Ohne das Recht auf Vergessen“ im Historischen Museum und „Der Weg zum Sieg“ im Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges.
Die Ausstellung „1418“ präsentiert kaum historische Dokumente, aber viele wertvolle Kunstwerke. Sie versucht, den Betrachter durch Design, Licht und Architektur „in die Atmosphäre der Kriegsjahre und die Erinnerungen an die schwierigen Herausforderungen der Jahre 1941–1945“ zu versetzen. Zu den eindrucksvollen Bildern gehören das berühmte Plakat „Das Vaterland ruft!“, Werke der Karikaturisten-Gruppe Kukryniky, Kopien von Wutschetitschs Skulpturen und eine Aufnahme der Stimme des Radiosprechers Juri Lewitan.
Die Vorreiter
Die vom Staat finanzierte Ausstellung „Ohne das Recht auf Vergessen“ im Historischen Museum übertrifft das Museumsprojekt „1418“ an Exponaten. Dank der Fülle an Multimedia, Audiobegleitung, historischen Dokumenten und der allgemeinen Gestaltung versucht die Ausstellung, „die Wahrheit über den Krieg, über die große Leistung des multinationalen sowjetischen Volkes“ zu erzählen und die Besucher in den Kontext der Kriegszeit zu versetzen. Zu den Exponaten gehören die üblichen Trophäen wie Waffen und persönliche Gegenstände der Soldaten, aber auch seltenere Stücke wie das Schwert des britischen Königs Georg VI. oder das Parfüm der in den 1940ern populären Sängerin Klawdija Schulschenko.
„Der Weg zum Sieg“ im Museum des Sieges ist ein absoluter Vorreiter. Die Ausstellung schildert Schritt für Schritt den Verlauf des Krieges: den deutschen Angriff auf die Sowjetunion, die Verteidigung Moskaus, die Schlachten von Stalingrad und Kursk, die Belagerung von Leningrad, die Schlacht am Dnepr und die Erstürmung Berlins. Der absolute Hit ist Multimedia: Die Ausstellung besteht aus sechs Dioramen, die eher wie Kinos aussehen. In der Ausstellung gibt es keine üblichen Museumsschilder. Alle Beschreibungen der Objekte werden auf interaktiven Bildschirmen gegeben, die neben den Objekten aufgestellt sind und mit denen man interagieren kann. Die künstlerische Gestaltung der Ausstellung im militärischen Stil, die in Uniformen der 1940er Jahre gekleideten Museumswärter und die akustische Begleitung lassen die Besucher noch mehr in diese Zeit eintauchen.
Die Ausstellungen wurden nicht nur von den staatlichen Museen organisiert. Auch das Moskauer Kulturministerium zog zur Feier des 80. Jahrestages des Sieges mit. Der Rekordbrecher waren die ihm unterstellten Moskauer Ausstellungshallen, die im April und Mai 26 Expositionen an 20 Veranstaltungsorten eröffneten.
Das Heroische und das umstrittene Gedächtnis
Der Akzent auf das Heroische wird deutlich, wenn man den semantischen Inhalt der Online-Beschreibungen aller 90 Ausstellungen analysiert: Die häufigsten Wörter in den Texten sind „Sieg“ (über 170 Nennungen im gesamten Korpus), „großartig“ (über 140) und „Erinnerung“ (über 50). Die grusame Dimension des Krieges in Worten wie „Trauma“, „Katastrophe“, „Tragödie“, „Opfer“, „Mord“, „Tod“ und deren Ableitungen sind in geringerem Maße vertreten.
Aufgrund der heroischen Berichterstattung gibt es Schwierigkeiten bei den tragischen oder umstrittenen Themen. Zu ihnen gehört die Deportation der Völker des Kaukasus und der Russlanddeutschen, die verbrecherischen Aktionen des NKWD an der Front und im Hinterland, die ideologische und notgedrungene Kollaboration, die Fahnenflucht, das Leih- und Pachtgesetz, die Folgen der Befreiung Osteuropas und die Außenpolitik der Sowjetunion in der Vorkriegszeit. Das letzte Thema ist besonders heikel: Um die Interpretation dieser Geschichte zu kontrollieren, wurde bereits im April 2022 der Artikel 13.48 in das Gesetzbuch für Ordnungswidrigkeiten aufgenommen, der es verbietet, „die Ziele, Entscheidungen und Handlungen der Führung der UdSSR mit den Entscheidungen und Handlungen der Führung von Nazideutschland gleichzusetzen“. All dies führt dazu, dass die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges außerhalb des gesamteuropäischen Kontextes des Zweiten Weltkrieges dargestellt wird – als ein unabhängiges und außergewöhnliches Ereignis, das nichts mit den Aktionen der Alliierten zu tun hat.
Die Besonderheiten der Zeit
Einige Themen spiegeln die aktuelle politische Agenda wider. So enthält die Ausstellung im Historischen Museum einen Abschnitt über „die Verbrechen der ukrainischen und baltischen Nationalisten – Komplizen der Nazi-Invasoren“. Die Organisatoren der Ausstellung ziehen Parallelen zu aktuellen Ereignissen. All dies macht die genannten Ausstellungen nicht schlecht. Aus Sicht der modernen Museumstechnik sind sie auf hohem Niveau und geben die Atmosphäre der Kriegszeit wieder. Trotzdem erlaubt die selektive Darstellung der Kriegsgeschichte dem Besucher nicht, sie vollständig zu erfassen.
Das ist die Besonderheit von Militärausstellungen: Sie visualisieren etablierte Narrative im Detail, ignorieren aber das, was zweideutig wahrgenommen wird. Es gibt noch eine weitere Besonderheit. Der Endpunkt einer jeden Erzählung ist der Sieg. Schon das Wort „Sieg“ im Titel des Jahrestages und der Ausstellung gibt die Hauptrichtung vor: den heroischen Weg vom Beginn des Krieges bis zu seinem kulminierenden Ende am 9. Mai zu zeigen. Dies definiert die Erinnerungskultur in Russland.
Alexander Schaposchnikow und Maria Iwanowa


