Sie wolle die Präsidentin der europäischen Integration sein, sagte Maia Sandu bei ihrer Vereidigung. Das Land wolle sie zu neuer Blüte bringen und den ewigen Korruptionssumpf bekämpfen, so das frisch gebackene Staatsoberhaupt der Republik Moldau. Das ist ihre Herzensangelegenheit und damit hat sie wohl auch die Wähler des kleinen Landes für sich gewonnen.
Über drei Monate ist das nun her. Maia Sandu war seither zu Gast in Brüssel und Paris und setzte sich für verbesserte Beziehungen zu den direkten Nachbarn Rumänien und Ukraine ein. Die hatte ihr nach Russland orientierter Amtsvorgänger und Wahlverlierer Igor Dodon schleifen lassen. Mindestens 14 Mal hat er sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen, die beiden Nachbarländer in den vier Jahren Amtszeit dagegen kein einziges Mal offiziell besucht. Das Land, dessen Bevölkerungsmehrheit Rumänisch spricht, ist gespalten in ein pro-westliches und ein pro-russisches Lager.
Parlament verhängt Ausnahmezustand
Im westlichen Ausland kann Maia Sandu, die in Harvard studiert und bei der Weltbank in Washington gearbeitet hat, durchaus punkten. Doch zuhause steckt sie in einer verfahrenen Situation. Das Land hat noch immer eine kommissarische Regierung. Die alte um Premierminister Ion Chicu trat kurz nach Maia Sandus Amtsantritt zurück. Die von ihr vorgeschlagenen Nachfolger wurden vom Parlament abgelehnt, sie findet dort keine Mehrheit. Die einzige Möglichkeit, ihre Agenda durchzusetzen, sah sie von Anfang an in vorgezogenen Neuwahlen für das Parlament. Die Umfragen stünden derzeit gut für ihre Partei „Aktion und Solidarität“ (PAS).
Ob das unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich ist, klärt momentan das Verfassungsgericht. Um einer positiven Entscheidung zuvorzukommen, hat das Parlament kurzerhand beschlossen, wegen der Corona-Pandemie bis Ende Mai den Ausnahmezustand zu verhängen. Wahlen sind damit vorerst tabu.
Corona hat das Land im Griff
Igor Dodon will offenbar Zeit gewinnen und setzt auf die Zermürbung seiner Gegnerin. Moldau steckt momentan in einer schweren Krise. Die Pandemie ist kaum noch zu kontrollieren, die Zahl der Infizierten steigt ständig, Krankenhäuser stehen kurz vor dem Kollaps. Dazu kommt die eingebrochene Wirtschaft. – Als habe das Land mit seinen nicht einmal mehr drei Millionen Einwohnern nicht schon genug Probleme mit dem ungelösten Transnistrien-Konflikt, der tief verwurzelten Korruption und der Abwanderung der jungen Generation.
Die Unzufriedenheit mit der zwar vordergründig europafreundlichen, aber durch und durch korrupten Vorgängerregierung war es auch, die 2016 den Sozialisten Igor Dodon ins Amt gespült hatte. Maia Sandu war damals noch knapp unterlegen. Natalia Stercul von der Denkfabrik „Außenpolitische Vereinigung der Republik Moldau“ (APE), die sich für den EU-Kurs des Landes einsetzt, sagt gegenüber der MDZ: „Die Wahl von Maia Sandu bietet die echte Chance, die politische Agenda neu zu setzen und den Kampf gegen die Korruption ernsthaft anzugehen, soweit es die gegenwärtige Lage ermöglicht.“ Ohne vorgezogene Parlamentswahlen bleibe sie jedoch nur ein Symbol.
Korruptionsbekämpfung um jeden Preis?
Der moldauische Politikexperte Cornel Ciurea ist dagegen der Ansicht, dass sich Maia Sandu zu sehr auf das Thema Korruption versteift hat, wie er gegenüber der MDZ erklärt. „Dabei hat sie andere Probleme, allen voran die Corona-Pandemie vernachlässigt.“ Es stehe außer Frage, dass man die Korruption im Land bekämpfen müsse, doch Maia Sandu mache den Fehler, dies um jedem politischen Preis zu versuchen. „Wir haben gerade schlichtweg dringendere Kämpfe auszustehen“, so Cornel Ciurea.
Das wiederum spielt Igor Dodon in die Hände. Der bezeichnet Maia Sandus Vorstoß zur Auflösung des Parlaments als unverantwortlich und verweist darauf, dass man gerade jetzt eine handlungsfähige Regierung brauche. Jüngst war er offiziell zu Gast in Moskau, um eine Lieferung von 180.000 Dosen des Sputnik-Impfstoffs als humanitäre Hilfe zu organisieren. Ein Drittel davon ist für Transnistrien vorgesehen.
Junge Generation blickt nach Westen
Die das im Land bewertet werde, darüber könne man erst reden, wenn tatsächlich etwas davon ankomme, so Cornel Ciurea. Bislang hat Moldau 70.000 Impfdosen als humanitäre Hilfe aus Rumänien und 14.400 über das WHO-Programm Covax erhalten. Das war Maia Sandus Verdienst. Die Impfkampagne lief überhaupt erst im März an.
Und was denken die Menschen bei diesem Politik-Chaos? Mit ihrem Antikorruptionsprogramm habe Maia Sandu auch bei der russischsprachigen Bevölkerung im Land Sympathien gewonnen, glaubt Natalia Stercul. Die habe früher viel eher für die Sozialisten gestimmt. Die Menschen seien müde. „Sie wollen vor allem Stabilität im Land, Entwicklung ohne ständige politische Spannungen und geopolitisches Gezerre.“ Die Sprache spiele heute keine so große Rolle mehr.
Igor Dodon profitiert von Sowjet-Sehnsucht
Dem pflichtet Jelena bei. Die russischsprachige Moldauerin ist im transnistrischen Tiraspol aufgewachsen, ging jedoch in den 1990ern nach Chișinău zum Studieren. Sie blieb dort und arbeitet heute als Projektmanagerin. „Ich kenne Moldauer, die pro-russische Ansichten vertreten. Das sind meist Menschen, die noch zu Sowjetzeiten geboren wurden“, sagt sie gegenüber der MDZ. „Die nach 1991 geborene Generation unterstützt dagegen meist das pro-europäische Lager, unabhängig von der Sprache“. Ganz anders sei das dagegen in Transnistrien, was Jelena auf „die Gehirnwäsche der russischen Medien“ dort zurückführt. Der Marketing-Direktor Walerij aus Chișinău sagt, für die ältere Generation sei die UdSSR noch immer das Land mit der besten Bildung, Medizin, Wissenschaft und dem besten Militär. „Es ist für sie schwer, sich vom sowjetischen Erbe zu lösen. Igor Dodon wurde Präsident, weil viele sich wünschen, dass wieder alles wird wie in der UdSSR“, sagt er.
Der Ex-Präsident sagte kürzlich, er glaube nicht, dass Maia Sandu ihre Amtszeit überstehen werde. Cornel Ciurea sieht darin vor allem die Ansage, dass seine Partei alle Hebel in Bewegung setzen wird, falls Maia Sandu wirklich vom Verfassungsgericht das Recht erhält, das Parlament aufzulösen. Dann sei auch ein Amtsenthebungsverfahren durch das Parlament denkbar, so der Experte. Jetzt hänge jedoch erst einmal alles von der Gerichtsentscheidung ab. Die ist für Mitte April zu erwarten.
Jiří Hönes