
Russischen Journalisten, die über das Treffen zwischen Putin und Trump in Alaska berichteten, wurde im Flugzeug auf dem Weg dorthin ein Kotelett nach Kiewer Art angeboten. Das Menü wurde von Margarita Simonjan, Chefredakteurin des Fernsehsenders RT, auf ihrem Telegram-Kanal bekannt gegeben.
Diese Nachricht verbreiteten viele russische Medien. Aus irgendeinem Grund kamen einige von ihnen zu dem Schluss, dass das Menü von Amerikanern zusammengestellt worden sei, obwohl es sich um ein russisches Flugzeug handelte. Der Politologe Sergej Markow, der eine Woche später zum ausländischen Agenten erklärt wurde (aber sicher nicht wegen des Koteletts), schrieb auf seinem Telegram-Kanal: „Das ist wohl ein Hinweis darauf, dass die russische Armee aus den ukrainischen Streitkräften Schnitzel nach Kiewer Art macht. Putin und Trump müssen aus Selenskyj ein Schnitzel nach Kiewer Art machen.“
Deutsche Journalisten haben entschieden, dass es eine Provokation ist, auf dem Weg zum Ukraine-Gipfel ein Kotelett nach Kiewer Art zu essen. „Ein Kotelett, das man sonst nur in Kiew isst, das nach Kiew benannt ist“, sagte ein Journalist von der „Welt“ und zählte die Provokationen und Symboliken auf, die von russischer Seite da kamen.
Margarita Simonjan kommentierte die Worte dieses deutschen Journalisten wie folgt: „Eigentlich meinte ich, dass wir keine Nazis sind (im Gegensatz zu …) und keine Koteletts umbenennen. Aber die deutschen Medien wissen es besser.“
Zur Geschichte des Gerichts
Ein Kiewer Kotelett ist ein paniertes Hähnchenfilet mit einem Stück Butter darin. Die Zubereitung ist etwas aufwendig – gewöhnliche Schnitzel aus Hackfleisch sind viel einfacher zuzubereiten. Oft wird beim Zerlegen des Filets der Knochen belassen, der beim Servieren mit einer Papillote bedeckt wird. Auf der Webseite russianfood.com sind mehr als 40 Rezepte für die Zubereitung dieses Gerichts aufgeführt.
St. Petersburg und Kiew „streiten“ sich um das Recht, als Heimatstadt der Koteletts zu gelten. Die Geschichte der Entstehung dieses Gerichts ist jedoch sehr verworren.
Der größte Kenner der russischen Küche, William Pochljobkin, schrieb 1997, dass diese Art von Koteletts 1912 in einem Restaurant des Kaufmannsclubs in der Nähe des Michailow-Palasts in St. Petersburg erfunden wurde. Deshalb wurden sie „Neu-Michailow-Koteletts“ genannt.
Über diese „Neu-Michailow-Koteletts“ schrieb bereits 1909 die Kochbuchautorin Pelageja Alexandrowa-Ignatjewa. In ihrer Version wurden sie so genannt, weil sie „zum ersten Mal in St. Petersburg im Club der Landwirte in der Michailowskaja-Straße zubereitet wurden“. Sie hinterließ ein Schritt-für-Schritt-Rezept. Daraus geht hervor, dass diese Koteletts den Kiewer Koteletts ähneln. Aber dennoch sind es nicht dieselben. Denn in diesem Rezept geht es um gehacktes Fleisch.
Interessanterweise gibt es in Alexandrowa-Ignatjewas Buch ein Rezept für Koteletts à la Volaille, aus Hühnerfleisch und mit Butter. Und dieses Rezept ähnelt sehr dem heutigen. Die Koteletts à la Volaille wiederum verweisen auf französische Rezepte. Und die Franzosen wiederum auf Poscharski-Koteletts, also aus gehacktem Fleisch. Genau diese berühmten Koteletts aß der Dichter Alexander Puschkin in Torschok bei Twer!
Der sowjetische Klassiker
Aber kommen wir zurück zu Poсhljobkin. Er schrieb, dass der Name „Kiewer Kotelett“ erstmals 1947 in einem Kiewer Restaurant auftauchte, in dem eine aus Paris zurückgekehrte sowjetische Delegation zu Mittag aß. Aufmerksame Forscher der Kochkunst fanden jedoch Hinweise darauf, dass ein Gericht mit diesem Namen in einem Emigrantenrestaurant in New York in den 1930er Jahren serviert wurde. Jemand hat das Rezept für „Kiewer Kotelett aus Huhn oder Kalbfleisch“ in der „Kochsammlung“ von 1915 gefunden. Darin waren Rezepte aus dem Moskauer „Magazin für Hausfrauen“ zusammengestellt.
Was sicher ist: Das Rezept für Kiewer Schnitzel wurde 1955 unter der Nummer 1145 im kanonischen Buch der sowjetischen Küche „Kulinarija“ veröffentlicht. Und erst danach wurde dieses Gericht in Restaurants und Kantinen im ganzen Land angeboten.
Rebranding abgesagt
Heutzutage ist die Frage, wem die Kiewer Schnitzel gehören – den Ukrainern oder den Russen – nicht mehr so brisant wie die gleiche Frage in Bezug auf Borschtsch. Und erst recht nicht in Bezug auf die Krim. Aber allein die Tatsache, dass diese Frage gestellt wird, zeigt, dass die beiden Völker früher eine gemeinsame Geschichte hatten. Heute ist diese Geschichte geteilt.
So berichtete das Portal „Vedomosti. Ural“ Ende 2024, dass in Russland eine Tendenz zur Umbenennung von Kiewer Koteletts zu beobachten sei. Die Hersteller begannen, diesen Namen massenhaft durch „Kotelett mit Butter und Kräutern“ zu ersetzen. „Diese Änderung hängt mit Veränderungen in der politischen Lage und der öffentlichen Meinung zusammen, die zu einer Überarbeitung traditioneller Produktbezeichnungen geführt haben“, schrieb das Nachrichtenportal.
In Wolgograd gelten Kiewer Koteletts seit den 1990er Jahren fast schon als Fast Food und gastronomische Spezialität. Man kann sie am Kiosk kaufen (etwa für 90 Rubel, ca. 1 Euro) oder in einem Nobelrestaurant probieren. In der Stadt gibt es Rankings, wo die leckersten Kiewer Koteletts zubereitet werden. Ende 2021 wurde hier sogar ein Kotelett-Restaurant namens „Gastronom“ eröffnet. Was es dort nicht alles für „Kiewer Koteletts“ auf der Speisekarte gab! Mit Mozzarella und Erdbeeren, mit Rindfleisch und Kirschsauce, mit Krabben. 2022 wurde das Restaurant geschlossen.

Die Diskussionen darüber, dass es angebracht wäre, die Kiewer Koteletts als Wolgograder Koteletts zu bezeichnen, begannen bereits vor Februar 2022. Danach folgten den Worten Taten. Die Webseite „Bloknot Wolgograd“ berichtete, dass lokale Hersteller versuchen, den Namen der ukrainischen Hauptstadt zu vermeiden und dieses Gericht lieber als „Koteletts mit Butter“ bezeichnen. Später legte sich die Aufregung um die Umbenennung jedoch wieder.
Was kostet ein Kotlett?
In Moskau gibt es heute viele Orte, an denen man ein Kiewer Kotelett bestellen kann. In der Restaurantkette „Kortschma Taras Bulba“ wird das legendäre Schnitzel mit leicht gesalzenen Gurken und frischem Krautsalat serviert. Eine Portion kostet 570 Rubel (ca. 6 Euro). Im Restaurant „Metropol“ in St. Petersburg kostet eine Portion Kiewer Kotelett mit Kartoffelpüree und Preiselbeersauce 1350 Rubel (ca. 14,50 Euro).
Olga Silantjewa
Lebensmittel nach ukrainischer Art
In russischen Geschäften gibt es Lebensmittel, deren Namen auf die Ukraine verweisen. Zum Beispiel die berühmte Kiewer Torte mit Baiser, Buttercreme und Nüssen. Hier ist alles klar: Die Torte wurde erstmals 1956 in Kiew in der Karl-Marx-Fabrik hergestellt. Später wurde das Rezept patentiert. Außerdem gibt es in den Regalen ukrainische Hauswurst, die aromatisch und sättigend ist. Es ist keine Rede davon, sie umzubenennen.



