Kant: Plötzlich fremd in der eigenen Stadt

In Russland wurde in den letzten Wochen über „Ehrennamen“ für 47 Flughäfen abgestimmt. In Kaliningrad, dem früheren Königsberg, führte lange Immanuel Kant. Doch dann wurde gegen den deutschen Philosophen plötzlich Stimmung gemacht. Der Flughafen heißt nun nach Zarin Elisabeth.

Immanuel Kant hat sein gesamtes Leben in Königsberg verbracht und sich nie weiter als 150 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt. 2024 wird der 300. Geburtstag des weltberühmten Denkers gefeiert, auch und vor allem dort, wo er einst geboren wurde. Schließlich ist er der größte Sohn der Stadt, oder etwa nicht?

Für Igor Muchametschin, Vizeadmiral der Baltischen Flotte, ist das heute eine andere Stadt und Kant ein „Fremdling“. Das sagte er unlängst vor Marinesoldaten. „Dieser Kant“ habe „unverständliche Bücher geschrieben“, die „keiner der hier Anwesenden gelesen hat noch je lesen wird“. Auch als „Verräter“ titulierte er Kant noch.

Grund für die Tirade: Bei einer Umfrage nach geeigneten „Ehrennamen“ für russische Flughäfen kam in Kaliningrad, wie Königsberg seit dem Zweiten Weltkrieg heißt, Immanuel Kant neben drei anderen Personen in die Endauswahl und lag teilweise mit großem Vorsprung vorn. Muchametschin forderte seine Untergebenen auf,  stattdessen für Alexander Wassiljewskij zu stimmen, der 1945 den Sturm auf Königsberg befehligt hatte.

Das Grab von Immanuel Kant in Kaliningrad. © Wikipedia

Zuvor hatte bereits der Duma-Abgeordnete Marat Barijew aus Tatarstan Alarm geschlagen. Kriegsveteranen seien entsetzt über die Nominierung von Kant, sagte er in einem Interview, sie fänden das „falsch, unpatriotisch, einen Skandal“, und er sähe das ganz genauso. Barijew weiter: „Wir sollten wissen, wer die großen Persönlichkeiten für Kaliningrad sind.“ Die Zivilgesellschaft in der Stadt müsse „Maßnahmen ergreifen“.

Eine Woche später flogen in Kaliningrad Farbbeutel und Flaschen auf das Grab, ein Denkmal und eine Gedenkplakette von Kant. In Flugblättern wurden die Studenten der Kant-Universität aufgefordert, sich des „Drecksnamens“ zu entledigen.

In der Umfrage siegte letztlich Zarin Elisabeth. In ihrer Amtszeit war Königsberg fünf Jahre lang russisch gewesen. Auch Immanuel Kant erlebte diese Zeit mit.

Kaliningrad kann ein Lied von kurzsichtigen Namensgebungen singen. Benannt ist es nach Michail Kalinin, einem Gefolgsmann von Stalin, den nichts mit der Stadt verband, aber der 1946 just starb, als ein neuer Name für das eroberte Königsberg gesucht wurde. Der Volksmund nennt Kaliningrad bis heute „Kenig“.

Tino Künzel

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