Ivan Choultsé: Leben ist Licht, Licht ist Leben

Schlagschatten in gleißender Mittagssonne in Südfrankreich, wild schäumendes Meer in Spitzbergen, ein kleiner See in der Abendsonne oder Gewitterstimmung in Russland: Der Maler Iwan Fedorowitsch Schultze (weltweit als Ivan Choultsé bekannt) nimmt den Betrachter in einer kleinen, aber feinen Ausstellung im Kunstzentrum in der Wolchonka 15 mit auf die Reise.

Ivan Choultsé. Die Faraglioni-Felsen
Ivan Choultsé. Die Faraglioni-Felsen (Wikipedia)

Schon der Name des Künstlers lässt darauf schließen, dass er kein Russe, sondern Deutscher war. Seine Vorfahren stammen aus Jelgava, was bis 1919 Mitava oder deutsch Mitau hieß und in Lettland liegt. Demnach gehörte er zu den Baltendeutschen, die damals zahlreich in Petersburg lebten.

Ein Verwandter des Zuckerkönigs

Sein Vater Friedrich-Karl Schultze (der Name stammt aus dem Archiv der lutherischen Kirche St. Katharina in St. Petersburg) heiratete die Nichte eines der reichsten Männer des Russischen Reiches, Leopold König (1821 – 1903). Die Hochzeit von Charlotte Elisabeth-Katharina Schultze (Schmidt, 1846 – 1875) mit Friedrich-Karl fand am 4. November 1872 in der lutherischen Kirche St. Katharina auf der Wassiljewski-Insel statt. Aber bereits sechs Monate nach der Geburt des Erstlings Iwan am 21. Oktober 1874 verstarb plötzlich seine Mutter. Der Vater arbeitete weiter in der Zuckerproduktion der Familie König in Charkow, so dass Iwan seine Kindheit im Dorf Trojanez verbrachte. Die dortige Natur – malerische Wiesen, Seen und Mischwälder – finden wir in den frühen Werken des Meisters wieder.

Die Familie war wohlhabend und besaß Häuser in St. Petersburg, wo sich berühmte Künstler eingemietet hatten. So lebten dort der Schriftsteller Saltykow-Schtschedrin und die Maler Repin und Schischkin. In der Wohnung Schischkins fanden auch die Treffen der Künstlervereinigung Peredwischniki statt.

Der Vater des russischen Luminismus

Zurück in St. Petersburg, wurde Iwan zum Ingenieur ausgebildet. Sein Interesse galt der Elektrotechnik. Aber nicht nur, denn die gut betuchte Herkunft und die künstlerische Umgebung bewirkten eine Hinwendung zur Kunst. Er zeichnete auch und zeigte erstmals, als er schon über dreißig war, seine Studien dem Landschaftsmaler Kryschizki. Der lud ihn zum Studium an der Kunstakademie ein. Neben Kryschizki beeinflussten Kuindschi und der Schweizer Maler Calame sein Schaffen. Zusammen mit Kryschizki reiste er 1910 in den hohen Norden, nach Spitzbergen, wo einige seiner beeindruckenden Werke entstanden.

In der Kunstgeschichte wird das Erbe von Kryschizki, Kuindschi und Schultze als „russische Schule des Luminismus“ bezeichnet. Das Leitmotiv des Luminismus ist das Licht. Zu den charakteristischen Merkmalen gehören die Lichtverhältnisse, offene Horizonte, die Darstellung eines zeitlosen Moments, die Mysteriösität und Träumerei der künstlerischen Erzählung. Kunstkritiker stellen ihre Werke in eine Reihe.

Hofmaler

Mit über 40 Jahren begann Iwan Schultze bekannt zu werden. Sogar Mitglieder der Zarenfamilie kauften seine Werke, was ihm später in Amerika den Ruf eines Hofmalers des Zaren einbringen wird. Man schrieb es groß auf die Ankündigung seiner Ausstellung in New York. Auch Carl Fabergé erwarb einige seiner Arbeiten. Zu seiner Popularität trug aber auch die Entwicklung von Postkarten mit seinen Bildern bei, die überall im Land zu finden waren.

Nach den Wirren der Revolution von 1917 suchte er zuerst Zuflucht  am Ort seiner Kindheit in Trojanez. Danach unternahm er lange Reisen durch Europa und malte in der Schweiz, in Italien und Frankreich. Zu Beginn der 1920er Jahre ließ er sich in Paris nieder. Die Bekanntschaft mit dem französischen Galeristen Leon Gerard entwickelte sich zu einer erfolgreichen Partnerschaft. Ungeachtet der schwierigen Lage auf dem französischen Kunstmarkt erntete die Ausstellung Schultzes mit fünfzig seiner Arbeiten großen Beifall beim Publikum. Bereits nach wenigen Jahren erlangte er auch außerhalb Frankreichs Berühmtheit und wurde nach London in die renommierte Galerie Arthur Tooth & Sons eingeladen.

Ende der 1920er Jahre zeigte er seine Werke auf Ausstellungen in der Neuen Welt. Die Galerie des bekannten Kunstmaklers Édouard Jonas eröffnete im Dezember 1928 eine Vernissage mit seinen Werken in New York. Angelockt vom Slogan, er sei der Hofmaler des Zaren, war das amerikanische Publikum begeistert von den Lichteffekten in Schultzes Bildern. Eine Ausstellung des Meisters eröffnete der Großfürst Alexander Michailowitsch, ein Cousin des letzten Zaren. Einer seiner amerikanischen Bewunderer war der Kunstsammler und Millionär Jules Semon Bache, in dessen Sammlung sich neben den Bildern Schultzes auch Werke aus der Renaissance und dem Barock von Hans Memling, Giovanni Bellini, Filippo Lippi, Anthony van Dyke und Rembrandt befanden. Schultzes Werke wurden in Amerika gern gekauft, sowohl in Norden als auch auch im Süden des Kontinents.

Die Schönheiten Spitzbergens von Ivan Choultsé (Miftakhova/Wikipedia)

Das ruhige Leben

Zurück aus der Neuen Welt, ließ sich der Maler im landschaftlich schönen Südfrankreich, in Nizza, nieder. Dort wurde es sehr still um ihn. Die letzte nachweisliche Spur war ein Treffen mit Alexander Gefter, einem Marineoffizier, Schriftsteller und prominenten Freimaurer, das 1936 stattfand. Während dieser Begegnung zeichnete Gefter ein Porträt des Meisters, das in der Pariser Zeitung „Russland“ veröffentlicht wurde.

Was von Iwan Schultze bleibt, sind seine Bilder mit der meisterhaften Gestaltung des Lichts. Er bildete die Natur in allen möglichen Facetten ab. Während in Amerika noch mehrere Ausstellungen seiner Werke nach seinem Tode stattfanden und es auch in den US-amerikanischen und kanadischen Museen sowie in privaten Sammlungen zahlreiche Bilder von ihm gibt, sind sie in Russland eher spärlich vertreten. Man kann sie im Russischen Staatlichen Arktis- und Antarktismuseum in St. Petersburg und in Dagestan im Museum der Schönen Künste antreffen.

Ein schnörkelloser und sehr bescheidener Grabstein in Nizza erinnert an Iwan Schultze oder Ivan Choultsé, den großen Meister des Lichts, auf dem russischen Friedhof de Caucade.

Martina Wiedemann

Über die Ausstellung, die bis zum 1. Juni 2025 läuft

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