Im Nitka wird russische Teekultur gelebt

An jeder Ecke ein Kaffeehaus, doch eine russische Teestube ist eher eine Seltenheit in Moskau. Andrej Kolbasinow machte aus der Not eine Tugend und eröffnete das Teehaus Nitka. Mit Erfolg, denn heute bekommt man dort selbst unter der Woche kaum einen Platz. Und nebenbei kreiert er gerade auch noch einen Tee für das Rugby-Team von ZSKA.

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Das Nitka: russische Teekultur mit Samowar und einem guten Buch. (Foto: Nitka)

„Einen Tee?“, fragt Andrej Kolbasinow und empfiehlt uns die „Neujahrsmischung“ – eine Kombination aus russischem und georgischem Tee, Fichtennadeln und ätherischen Zitrusölen. Nach ein paar Minuten bringt uns die Kellnerin zwei Gläser „Neujahrstee“, das perfekte Getränk für den kalten und verschneiten Moskauer Winter.

Das Teehaus Nitka liegt im Zentrum der Stadt, an der Uliza Bolschaja Ordynka im Samosworetschnyje-Viertel. Man findet es in einem kleinen Raum des Andrej-Wosnesenskij-Zentrums, das wiederum in einem Herrenhaus aus dem Jahr 1815 untergebracht ist. Die Teestube ist eigentlich ein gemütliches Wohnzimmer, das mit Vintage-Möbeln aus verschiedenen Epochen eingerichtet ist. Es gibt Regale mit Geschichtsbüchern, Gedicht- und Kunstbänden, in denen man bei einer Tasse starkem Tee lesen und blättern kann. An den Wochenenden legt Andrej Kolbasinow Platten auf, die sein Vater immer hörte.

Eine Tradition aus der Zarenzeit

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Am Wochenende spielt Andrej Kolbasinow gerne alte Platten. (Foto: Nitka)

Die Idee, ein Teehaus zu eröffnen, hatte Andrej vor drei Jahren. Zuvor hatte er ein Kaffeehaus betrieben und eine eigene Kaffeehauskette in Tula, aber hier wollte er plötzlich Tee. „Es hat mich als Unternehmer geschmerzt, dass es in Russland keine Teehäuser gibt. Schließlich war dies einmal eine Institution. Man kann hier die Kultur und die Traditionen fühlen und sogar zu sich selbst finden“, sagt Andrej. Er bezieht sich dabei auf die Form der Teehäuser, die es in Russland vor der Revolution gab.

Ein Teehaus war ein Ort der Begegnung, des freundschaftlichen Beisammenseins und der Familientreffen. Tee wurde in Tassen gegossen oder es wurde ein riesiger Samowar hereingetragen, begleitet von traditionellen russischen Leckereien – Suschki, ein Kringelgebäck, oder Pastila, eine Süßigkeit aus getrocknetem Fruchtpüree. Auch Bauern gingen in die Teehäuser, und sie dienten auch als Büros für kleine Beamte. Man konnte hier immer einen Notar oder einen Schreiber finden, der helfen konnte, einen Brief zu lesen oder zu beantworten oder ein Dokument zu verfassen – eine Möglichkeit für Analphabeten. Nach der Revolution verschwanden die Teestuben, da sie von den neuen Behörden als Treffpunkte konterrevolutionärer Verschwörer gefürchtet waren.

Tee von kleinen Bauernhöfen

Das Nitka dagegen ist kein Treffpunkt für Verschwörer, eher für Instagrammer. Ein sehr hübscher und preiswerter Ort. Andrej ist sich sicher, dass der russische Tee aus dem Samowar dem italienischen Espresso ähnelt – in der Hinsicht, dass es das Getränk ist, das jeder sofort mit dem Land assoziiert. Der Name des Ortes hat übrigens auch etwas mit der Geschichte zu tun: Früher bezeichnete „Nitka“ eine Karawane, die Tee von China nach Russland lieferte. Heute ist die Logistik deutlich einfacher, doch es ist immer noch schwierig, guten Tee zu finden. Das Nitka-Sortiment umfasst Sorten aus Russland, Georgien und ein wenig aus China und Nepal.

Andrej konzentriert sich hauptsächlich auf die Unterstützung einheimischer Erzeuger und Landwirte aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Tee im Nitka kommt von kleinen Bauernhöfen, die ebenfalls Traditionen wiederbeleben. „Die sowjetische Planwirtschaft hat den Tee verdorben. Er wurde weder richtig angebaut noch geerntet“, erklärt Andrej.

Teekreation für ein Rugby-Team

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Das Nitka befindet sich in einem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert. (Foto: Nitka)

Der Unternehmer achtet darauf, dass die Teesorten nur in Moskau und nur mit Moskauer Wasser probiert werden. „Wenn man irgendwo auf den Plantagen, im Vorgebirge, Tee probiert, besteht die Gefahr, dass man sich täuscht. Die Romantik der umgebenden Natur ist eine gefährliche Sache“, lacht der Besitzer des Teeladens. Das Nitka ist für die Mischung der Rohstoffe selbst zuständig, und außerdem werden hier einige Tees geräuchert. Der russische Karawanentee zum Beispiel, den Andrej allen „Einsteigern“ empfiehlt, wird in Moskau wie in alten Zeiten auf Sa­xaul geräuchert. Das ist ein Strauch, der in den Steppen Zentralasiens zuhause ist.

Mittlerweile ist Andrej Kolbasinow so tief in der Moskauer Gastronomie verwurzelt, dass er Teemenüs für andere Moskauer Restaurants entwickelt und ständig neue Tees kreiert. „Wir wollen jetzt eine charakteristische Mischung für den Rugby-Club ZSKA schaffen. Es wird ein schwarzer, mit Limetten geräucherter Tee mit dem Titel „Obolenskij“ sein, zu Ehren des berühmten Spielers Alexander Obolenskij.

Die Teemischungen kann man auch für Zuhause mitnehmen oder im Online-Shop kaufen. Doch am besten schmeckt es doch vor Ort im Nitka. Dort wird jeder Tee aus dem Sortiment in einer speziellen Kanne aufgebrüht, man kann ein Glas oder eine ganze Kanne bestellen. Und zu besonderen Anlässen darf man sich auch einen antiken Samowar in den Innenhof mitnehmen und dort mit seinen Freunden zusammensitzen wie an einer Tafel zu Zarenzeiten. Ist das nicht gelebte russische Teekultur wie aus dem Bilderbuch?

Ljubawa Winokurowa

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