
Nach meiner Reise nach Deutschland im Jahr 2019 fasste ich die Möglichkeit einer zweiten Staatsbürgerschaft, der deutschen, ins Auge. Ich habe deutsche Wurzeln. Mein Großvater übersiedelte 1993 nach Deutschland (er ist inzwischen verstorben). Bei meinem Vater steht in der Geburtsurkunde, dass er Deutscher ist. Ich nehme regen Anteil am gesellschaftlichen Leben der Russlanddeutschen.
Schritt 1. Standesämter
Freunde berieten mich, womit ich bei der Vorbereitung des Antrags beginnen sollte. In meiner Geburtsurkunde steht mein Vater als Russe. Da er leider schon verstorben ist, ging ich selbst in Baschkortostan in meinem Geburtsort auf das Standesamt, um meines Vaters Nationalität in meiner Geburtsurkunde ändern zu lassen. Ich nahm seine Geburtsurkunde mit sowie die Scheidungsurkunde, wo er ebenfalls als Deutscher eingetragen war. Mir wurde wegen „fehlender Gründe für eine Eintragsänderung in einem Dokument des Amtes für Personenstandswesen“ eine Absage erteilt.
Daraufhin reichte ich den Antrag in einem Moskauer Standesamt ein, weil ich dachte, dass man hier die Frage der Nationalität loyaler betrachtet als in der Republik Baschkortostan. Nach einem Monat erhielt ich eine Absage. Mit der gleichen Begründung. Es gibt keinen Grund, weil mein Vater nicht mehr bestätigen kann, dass er Deutscher ist. Auf dem Standesamt riet man mir, vor Gericht zu gehen. Sie machten sogar gleich die Unterlagen fertig.
Schritt 2. Stadtbezirksgericht
Ich wandte mich an ein Stadtbezirksgericht in Moskau. Einer meiner Freunde, auch ein Russlanddeutscher, ist Jurist. Er hat mir bei jedem Schritt sehr geholfen. Auf die Gerichtsverhandlung habe ich mich sehr gut vorbereitet, sammelte verschiedene Dokumente zusammen, bis hin zur Bestätigung meiner aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Deutschen, den Bescheinigungen über die Rehabilitierung meiner Familie als Deutsche und Auszügen aus Kirchenbüchern, die bestätigten, dass meine Vorfahren Wolgadeutsche waren. Ich brachte sogar eine Freundin mit, die aussagte, dass in meiner Familie deutsche Feiertage begangen werden und dass ich mich an Projekten der Russlanddeutschen beteilige.
Man riet mir, nicht anzugeben, dass ich die Nationalität wechseln möchte, um eine andere Staatsbürgerschaft zu erlangen. Denn wenn in den Unterlagen davon die Rede ist, dass ich die Nationalität per Gerichtsbeschluss ändern möchte, erhalte ich wahrscheinlich eine Ablehnung aus dem Bundesverwaltungsamt. Aus diesem Grunde gab ich an, dass ich als Deutsche gelten möchte, um diese Information an meine künftigen Kinder weitergeben zu können.
Die Verhandlung zog sich lange hin. Ich habe mein Bestes gegeben. Mir schien, dass die Richterin mich verstanden hatte. Ich war sicher, dass das Urteil zu meinen Gunsten ausfallen wird. Nach der Pause kehrte die Richterin zurück und verkündete die Vertagung der Verhandlung. Es gab insgesamt drei Verhandlungen. Aber am Ende erhielt ich eine Absage. Der Wunsch, einfach so mal die Nationalität zu wechseln, sei kein hinreichender Grund, die Eintragung zu ändern, beschied mir das Gericht. Der Verweis auf die Verfassung der Russischen Föderation, die mir dieses Recht einräumt, hat nicht geholfen.
Schritt 3. Stadtgericht
Die nächste Etappe war das Moskauer Stadtgericht. Dort reichte eine Verhandlung, um die Entscheidung zu fällen: keine hinreichenden Gründe für den Wechsel der Nationalität. Ich war verzweifelt.
Daraufhin ging ich aufs Standesamt, um in die Sterbeurkunde meines Vaters seine deutsche Nationalität eintragen zu lassen. Ich fand die Abteilung, die früher solche Eintragungen vorgenommen hat. Man nahm meine Unterlagen entgegen und sagte aber gleich, dass man nichts versprechen könne. Nach einigen Wochen kam wieder eine Ablehnung.
Ich fragte die Mitarbeiter des Standesamtes, warum so entschieden wurde. Früher wurde das doch gemacht, und die Gesetze im Land haben sich in den letzten Jahren nicht geändert. Ich bekam zur Antwort, dass sich die Gesetze formell nicht geändert hätten, jetzt aber andere Entscheidungen getroffen würden.
Schritt 4. Revisionsgericht
Ich ging vor das Revisionsgericht. Mein Freund meinte, dass ich die Erste sei, die mit einer solchen Frage so weit gegangen war. Ich hatte erwartet, dass dieses Gericht das Problem klärt. Man sprach hier mit mir in trockener Juristensprache, und nach 10 Minuten fällten sie das Urteil: Ablehnung. Der einzige lebendige Satz, den ich vom Richter am Ende hörte, klang folgendermaßen: „Mit der Nationalität, die jetzt in Ihren Dokumenten steht – Russin –, können Sie in diesem Land alles machen und Sie brauchen nichts zu befürchten. Warum wollen Sie das ändern? Wägen Sie das genau ab. Am besten hundertmal.“
Insgesamt war ich 2021 bei fünf Gerichten. Mein Freund und ich haben entschieden, das Oberste Gericht nicht einzuschalten. Wenn ich auch dort eine Absage erhielte, könnte niemand mehr in unserem Land seine Nationalität in einer ähnlichen Situation wechseln. In einigen Regionen geht das nämlich noch.
Meine Geschichte hat aber auch ein Happy End. Im vergangenen Jahr habe ich geheiratet und in der Eheurkunde stehe ich als Deutsche.
Aufgeschrieben von Olga Silantjewa