MDZ
Mitte Februar beschäftigte sich die MDZ in einem Beitrag unter der Überschrift „Nicht deutsch genug?“ mit Schicksalen von Russlanddeutschen, deren Anträge auf Anerkennung als Spätaussiedler von den deutschen Behörden abgelehnt worden waren. Begründet wurde das damit, dass ihre Nationalität in den Dokumenten nicht durchgängig mit „deutsch“ angegeben war, sondern mitunter auch als „russisch“. Darin erkannte das Bundesverwaltungsamt ein sogenanntes „Gegenbekenntnis“.
CDU/CSU
Im Frühjahr richtete die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion im Rahmen einer Kleinen Anfrage zur Situation der Deutschen in der Ukraine und in Russland 44 Fragen an die Bundesregierung. Eine davon lautete: „Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass urkundliche Eintragungen ohne Bekenntnisinhalt – etwa bei willkürlichen Eintragungen sowjetischer Behörden, die als Teil der repressiven Politik gegenüber der deutschen Minderheit in der ehemaligen Sowjetunion bekannt waren (vgl. mdz-moskau.eu/spaetaussiedler-verfahren-nicht-deutsch-genug) – im Aufnahmeverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz nicht zur Begründung von Ablehnungsbescheiden führen?“
Bundesregierung
Die Antwort der Bundesregierung liest sich wie folgt: „Die Praxis der Nationalitätseintragungen in Urkunden und Registern der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten war Mitte der 90er Jahre Gegenstand verschiedener gerichtlicher Auseinandersetzungen und ist durch Sachverständigengutachten wissenschaftlich untersucht und gut dokumentiert. Die Eintragungen in die sowjetischen Urkunden erfolgten stets auf eigenen Antrag der Betroffenen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es bei der Eintragung der Volkszugehörigkeit in die Dokumente regelmäßig oder systematisch zu Fehleintragungen gekommen sein könnte.
Darüber hinaus bestimmt das BVFG, dass ein Bekenntnis, das unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, unterstellt wird (§ 6 Absatz 2 Satz 3 BVFG).
Durch die Anwendung dieser Vorschrift und die Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellenden zu den Vorgängen um die Eintragung der Nationalität im Verwaltungsverfahren ist sichergestellt, dass willkürliche Eintragungen nicht zu Ablehnungsbescheiden führen.“
MDZ
Der Satz, dass Eintragungen in die sowjetischen Urkunden „stets auf eigenen Antrag der Betroffenen“ erfolgten, ist so nicht zutreffend. Als 1932 erstmals Pässe mit Angabe der Nationalität ausgestellt wurden, geschah das tatsächlich nach den Worten der Passinhaber. Doch schon 1938 verfügte das sowjetische NKWD in einem Rundschreiben, die Nationalität „entsprechend der faktischen nationalen Abstammung der Eltern“ zu erfassen.
„Verschiedene Instanzen wurden mit Hunderten Briefen überschwemmt“, schreibt der Passforscher Albert Bajburin. Die Leute hätten wissen wollen: „Wer bin ich? Helfen Sie mir bei der Klärung!“ Die meisten Briefe, so Bajburin, stammten von Sowjetbürgern, denen man ihrer Meinung nach eine „falsche“ Nationalität zugeschrieben hatte. Die Passämter hätten getan, was sie selbst für richtig hielten, das sei eine „verbreitete Praxis“ gewesen. Der Professor der Europäischen Universität legt detailliert dar, wie diese Art der Bestimmung der Nationalität Ende der 1930er und in den 1940er Jahren zu einem „schlagkräftigen Instrument“ ethnisch basierter Deportationen geworden sei.
1953 trat eine neue Passverordnung in Kraft. Von nun war für Kinder aus Mischehen die Nationalität des Vaters ausschlaggebend. Eine Wahl hatten die Betroffenen nicht. Und schließlich wurde am 28. August 1974 die letzte Passverordnung zu Sowjetzeiten beschlossen. Darin heißt es: „Die Nationalität wird im Pass gemäß der Nationalität der Eltern erfasst. Gehören die Eltern verschiedenen Nationalitäten an, so wie bei der Ausstellung des ersten Passes die Nationalität des Vaters oder der Mutter eingetragen, je nach Wunsch des Antragstellers. Im Weiteren sind Änderungen des Eintrags nicht vorgesehen.“
Auch Fehler kamen immer wieder vor, im MDZ-Artikel werden einige Beispiele angeführt. Zudem war es in den 1950er Jahren gefährlich, sich als Deutscher auszugeben, sodass Menschen versuchen konnten, sich eine andere Nationalität zuzulegen, soweit das möglich war. Später, in den 1970er Jahren, meinten es Mitarbeiter der Standesämter manchmal einfach gut und drängten zur Annahme der Nationalität des Elternteils, der der Titularnation angehörte. Begründung: „Warum sollten Sie sich Probleme einhandeln?“
Olga Silantjewa