
Wenn man die russischsprachigen sozialen Medien liest, könnte man glauben, dass die Tatsache, dass keine offizielle russische Delegation zum Holocaust-Gedenktag nach Polen eingeladen wurde, viel wichtiger ist als der Tag selbst. Das ist jedoch nicht der Fall. Es versteht sich von selbst, dass die Anwesenheit russischer Beamter am Gedenktag in Auschwitz dem Ereignis mehr Resonanz verliehen hätte. Aber das ist derzeit schwer vorstellbar.
Der Staatschef war in St. Petersburg
Am 27. Januar wurde der Holocaust auf der Webseite des russischen Präsidenten kremlin.ru nicht einmal erwähnt. Vielleicht auch deshalb, weil Wladimir Putin selbst diesen Tag in St. Petersburg verbrachte, wo man der Aufhebung der Belagerung der Stadt gedachte. Dabei kann man nicht behaupten, dass es von anderen Nationen unbemerkt geblieben wäre. Auf dem Piskarewskoje-Gedenkfriedhof waren am 27. Januar auch der deutsche Generalkonsul Milan Simandl und zehn Leiter der anderen ausländischen Vertretungen anwesend.
Auch die deutsche Botschaft schrieb über diesen Tag auf Telegramm: „An diesem Tag gedenken wir der Schrecken und unermesslichen Leiden, zu denen die Bewohner der Stadt 872 Tage lang verurteilt waren. Mehr als eine Million Menschen starb an den Folgen der Belagerung.“ Die Akzente sind klar gesetzt: Die Belagerung wird als verbrecherischer Akt bezeichnet, der Beitrag erkennt die historische Verantwortung für die Verbrechen der Wehrmacht in Leningrad an.
Holocaust-Gedenktag im Jüdischen Museum
Wenn es zum „Tribunal der sozialen Medien“ kommt, wird einer der Vorwürfe gegen den kollektiven Westen das Verschweigen der Geschichte sein, und zwar die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff bei einer Veranstaltung in Moskau, die dem Gedenken an die Opfer des Holocaust gewidmet war, seine Rede gerade mit den Worten über Rotarmisten als Befreier des Lagers begann.

Obwohl auf der Webseite kremlin.ru am 27. Januar nichts über den Holocaust zu finden ist, hat der russische Präsident Wladimir Putin dieses Datum nicht vergessen. Er schickte ein Begrüßungsschreiben an die Gäste und Organisatoren der Tagesveranstaltung im Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz. Am 27. Januar waren der russische Oberrabbiner Berel Lazar, die israelische Botschafterin in Russland, Simona Galperin, und die Leiter der diplomatischen Vertretungen Großbritanniens, Deutschlands, Kanadas, Polens und der Vereinigten Staaten anwesend.
Ein anderes Museum widmete sich ebenfalls dem Thema Holocaust – mit dem Schwerpunkt auf der Befreiung des Lagers Auschwitz. Auf dem Poklonnaja-Hügel eröffnete das Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges die Ausstellung „Auschwitz. Die Wahrheit.“
Die Ausstellung zeigt 50 Fundstücken aus den Beständen des Museums und kann kaum als grandios bezeichnet werden. Sie ist allerdings in jedem Fall eine sichtbare Erinnerung an die Tragödie.
Musik und Tragödie
Aber das vielleicht menschlichste Format und den präzisesten Ton, der zu diesem Anlass passt, haben die Organisatoren des Gedenkabends „Musik in Zeiten der Tragödie“ gefunden. Die Botschaften von Israel und Deutschland veranstalteten einen gemeinsamen Musikabend, bei dem der israelische Komponist Amit Weiner auftrat. Er hat mit seinem Projekt schon viele Länder bereist, und nun war Moskau an der Reihe. Amit spielt zusammen mit Musikern aus den Ländern, die er besucht, Musik, die KZ-Häftlingen und Holocaust-Opfern komponierten. Er begleitet die Aufführung der Stücke mit einer Art Vorlesung über ihre Schöpfer, talentierte Menschen, die in den schrecklichsten Momenten ihres Lebens Musik nicht aufgegeben haben. Danach muss man nur wiederholen: nie wieder! Und die Entfremdung der Menschen – auch wenn sie verständlich ist – erscheint im Hinblick auf nicht nur eine abstrakte Tragödie, sondern auf mehrere persönliche Schicksale der Holocaust-Opfer falsch und unangemessen.
Igor Beresin