Helmbrecht: „Wir müssen jetzt zusammenrücken“

Chris Helmbrecht gehört zu den Moskauer Deutschen, die am längsten in der Stadt sind. Jetzt, wo die Aufregung ringsum groß ist, bekommt er viel Besuch. Besser gesagt nicht er, sondern seine Facebook-Seite. Denn er ist gewöhnlich gut informiert.

Weiß oft ein bisschen mehr: Chris Helmbrecht (Foto: Ritz Carlton Moscow)

Wer Chris Helmbrecht kennt, der kennt ihn als DJ und Partymacher. Vielleicht hat man auch sein Buch „Fucking Moskau! Sex, Drugs & Wodka“ oder etwas im „Stern“ von ihm gelesen. Seit ein paar Wochen ist der 48-Jährige nun in neuer Rolle zu erleben – als eine Art „Informationsminister“ für die deutschen Expats in Moskau und andere Ausländer. Die haben in diesen bewegten Zeiten, in denen sich die Nachrichtenlage gern mal stündlich ändert, vieles zuerst aus seinen Posts erfahren. Helmbrechts Facebook-Account wurde zu einer Plattform, wo aktuelle Infos schnell verfügbar waren und man sich dann auch kurzschaltete und austauschte, um zu diskutieren, was sie denn nun praktisch zu bedeuten haben.

Anschläge in New York miterlebt

Bevor er vor über 16 Jahren nach Moskau kam, war der Deutsche in den USA tätig. Er hatte ein Büro in 800 Meter Entfernung vom World Trade Center und war am 11. September 2001 gerade auf dem Weg zur Arbeit, als die Hölle losbrach. Danach, so erzählt er es, sei die internationale Community in New York zusammengerückt. „Und wir sind jetzt hier in Moskau auch in einer Situation, wo wir zusammenrücken müssen. Dazu gehört, dass wir Informationen teilen.“

Ihm gehe es nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen. Er sitze einfach an der Quelle, weil er Kontakte zu Menschen in Top-Positionen habe, sowohl zu Expats als auch zu Einheimischen. „Bei Partys steht man dann mal zusammen an der Bar und redet miteinander. Ich bin nicht so der Smalltalker, ich will schon substanzielle Informationen haben.“ Als die Stadt Moskau nun am 5. März eine „Selbst­isolation“ für einreisende Personen aus Ländern wie Deutschland anordnete, da war die Meldung, die einschlug wie eine Bombe und viele Fragen aufwarf, umgehend bei Helmbrecht zu lesen. Von da ab sei der Informationsaustausch so richtig in Gang gekommen, sagt er. Viele hätten im Gegenzug auch mit ihm Neuigkeiten geteilt.

Das wäre vielleicht nicht sonderlich aufgefallen, wenn die deutsche Botschaft, auf die sich in diesen Tagen besonders viele Augen richten, weniger schleppend und knapp auf den riesigen Informationsbedarf reagiert hätte. „Die kommunizieren generell schlecht“, findet Helmbrecht. Er wisse, dass er sich bei der Botschaft keine Freunde mit seiner Kritik mache, und ihm sei auch bewusst, dass man es dort nicht leicht habe, weil man auf offizielle Quellen angewiesen sei. „Aber andere Botschaften, wie etwa die Amerikaner und die Kanadier, informieren ihre Leute ganz anders.“

Geschäftlich läuft nicht mehr viel

Mehr Zeit für Social Media hat Helmbrecht inzwischen auch. Sein Einkommen sei um 60 Prozent eingebrochen, im Moment gehe einfach so gut wie nichts, im Entertainment sowieso, aber auch in anderen Bereichen, wo er bisher sein Geld verdient hat. Die Lage sei „kritisch“, er komme gerade so über die Runden. „Jetzt darf nichts mehr passieren.“

Bereits das letzte Jahr sei finanziell schlimm gewesen. Nach der Fußball-WM in Russland 2018 habe lange „Flaute“ geherrscht. Erst im vergangenen Herbst sprangen die Geschäfte wieder an, auch der Jahresanfang war vielversprechend. Doch nun sei gänzlich „tote Hose“.

Vor drei Wochen hat sich Helmbrecht selbst in Quarantäne versetzt. Wenn er sein Apartment verlässt, dann mehr oder weniger nur, um mit dem Hund Gassi zu gehen. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, denn er glaubt den vergleichsweise niedrigen offiziellen Zahlen zu den Coronavirus-Infektionen in Russland nicht. Bei einer so großen und internationalen Stadt wie Moskau, die noch vor Kurzem voll von chinesischen Touristen war, „kann das gar nicht sein“, meint er. Deshalb bleibt er zu Hause, beschäftigt sich mit seiner sechsjährigen Tochter Charlotte und trifft jeden Tag für sich eine Lageeinschätzung. „Das habe ich mir in New York angewöhnt, mir jeden Morgen eine Stunde Zeit zu nehmen, die Nachrichten zu studieren und zu überlegen, wie ich damit umgehe.“

Er schließt nicht aus, seine Zelte in Moskau abzubrechen, wenn sich die Situation zuspitzen sollte. Im Augenblick „geht es noch“. Wie es in ein, zwei Wochen aussieht – man wird es auf seiner Facebook-Seite lesen.

Tino Künzel

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