Gehen oder bleiben?

Die Geschehnisse in der Ukraine haben auch die deutsche Community in Moskau schockiert. Viele fragen sich, wie sie mit der Situation umgehen und ob sie die Stadt, die sie liebgewonnen haben, jetzt verlassen sollen.

Viele Deutsche haben ihre Koffer bereits gepackt, andere stehen kurz davor. (Foto: Sergej Wedjaschkin/ AGN Moskwa)

Die Nachricht kam unerwartet und gleichzeitig doch irgendwie nicht. „Hey, hör zu, mir wird das zu heiß. Ich hab mich entschieden, morgen nach Deutschland zu fliegen. Mal abwarten, wie sich die Lage dann entwickelt“, ringt sich ein deutscher Bekannter mit fast brüchiger Stimme dazu durch, ganz schnell seine Sachen zu packen und Moskau den Rücken zu kehren. Nicht einmal für einen kurzen persönlichen Abschied hat die Zeit gereicht. Doch wer weiß, wie lange man Russland noch verlassen kann. Der Bekannte hat es geschafft und landet am nächsten Tag sicher in Deutschland.

Bei vielen Deutschen in Moskau hat während der ersten Woche der sogenannten „Sonderoperation“ das Telefon kaum stillgestanden. Ständig kamen Fragen, wie es einem in Moskau geht und ob man nicht doch schnell ins sichere Deutschland kommen wolle. Das wollten durchaus viele. Wie viele genau, ist nicht bekannt. Eine Anfrage der MDZ bei der deutschen Botschaft bleibt erfolglos. Aufgrund der Krisensituation sei man derzeit nicht in der Lage, so kurzfristig auf Anfragen zu reagieren, heißt es aus der Presseabteilung. In einer Mail rät das Auswärtige Amt jedoch jedem zu prüfen, ob die „Anwesenheit zwingend erforderlich“ ist. Wenn nicht solle man die Ausreise „erwägen“.

Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer entschuldigt sich. Man bekomme gerade zu viele Anfragen. Doch der Newsletter vom 3. März lässt nichts Gutes erahnen. „Noch nie haben uns so viele Anrufe und E-Mails erreicht wie in den vergangenen Tagen“, schreibt der Vorstandsvorsitzende Matthias Schepp. Viele Mitglieds­unternehmen befinden sich in einer Existenzkrise, heißt es weiter.

Beim deutschen Stammtisch treffen sich einige von denen, die noch in Moskau geblieben sind. Es wird die größte Runde seit Langem. Wer weiß, wann man sich wiedersieht. Nach außen scheint die Stimmung gut zu sein. Doch das trügt. Alle sind schockiert, niemand hat das erwartet, sagt Dietrich. Die Bevölkerung sei zwar Ausländern gegenüber noch freundlich eingestellt. Aber man sollte sich auf jeden Fall eine Backup-Möglichkeit, einen Ausstiegsplan, offenhalten. Viele seiner Bekannten haben schon die Koffer gepackt.

Chris Helmbrecht, der sich vor allem als DJ einen Namen in Moskau gemacht hat, sieht am Horizont die 1990er aufziehen. Er hat Angst, dass diese für Russen so dunkle Zeit zurückkehren wird. „Die meisten sind weg“, sagt er. Selbst die Deutschen, die sich über viele Jahre hier etwas aufgebaut haben und sogar ein Haus oder ähnliches haben. Ob sie zurückkommen, wenn all das vorbei ist? Nein, meint Helmbrecht. Denn sie glauben nicht, dass sich was ändern wird. Seine Tochter und deren Mutter schickt er jetzt nach Deutschland. Er selbst will aber bleiben, schließlich liebt er Russland und hat seine Freunde hier. Zu gehen, das würde ihm nach gut 20 Jahren in Moskau unglaublich schwerfallen.

Auch Johannes* würde gerne bleiben. Aber bestimmte Bewegungen sprechen dagegen. Seit gut acht Jahren ist er in Moskau und hängt sehr an der Stadt. Sich emotional auf einen Abschied einzustellen, fällt ihm nicht leicht. Auch wenn er seiner Arbeit noch nachgehen kann, hat er keine Wahl und sucht bereits nach Ausreisemöglichkeiten. Ein bisschen Hoffnung schöpft er aber doch. Die Russen seien eher bereit, sich für ein besseres Leben einzusetzen und sich dabei nicht unbedingt um die eigene Zukunft zu kümmern.

Uwe* kann erst einmal nicht an die Zukunft denken, sondern muss das Hier und Heute verwalten. Die neuen Regeln, wie etwa der Zwangsumtausch von Währungen, schockieren die Kunden seines Arbeitgebers. Jetzt muss man viel sprechen und sich eventuell mit den Kunden gemeinsame Alternativen überlegen. Aber gehen will Uwe nicht. In Moskau hat er seinen Arbeitsplatz und mache doch was Gutes, ist er überzeugt. Jetzt hinzuwerfen wäre viel zu früh. In zwei bis drei Monaten könne man noch mal über die Situation sprechen, meint Uwe.

Und wie kommt man bis dahin mit der Situation, dem Schock klar? Aktiv sein, meint Dietrich. Er versuche, jeden Tag sportlich aktiv zu sein. Banja, Laufen, Spazieren. Einfach irgendwas, um den Kopf freizukriegen.

Daniel Säwert

*Namen geändert

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