Fassungslos, aber nicht sprachlos: Deutsche Schule macht online weiter

Seit fünf Jahren betreibt Markus Peuser eine private Sprachschule in Kiew. Jetzt muss der Deutsche selbst lernen, worauf ihn niemand vorbereitet hat: Er ist auf der Flucht.

Von Kiew aufs Land: Markus Peuser hat sich provisorisch in einem ukrainischen Dorf eingerichtet. (Foto: Privat)

Vielleicht ist es ja norddeutsche Gelassenheit, die Markus Peuser die Ruhe bewahren lässt, auch wenn seine Welt komplett aus den Fugen geraten ist. Dem in Kiel geborenen Deutschen ist am Telefon jedenfalls nicht anzumerken, was da in den letzten Tagen über ihn und seine Sprachschule Startdeutsch in Kiew hereingebrochen ist. Bis zuletzt wollte er sich nicht verrückt machen lassen, doch einen Tag nach Beginn der russischen „Sonderoperation“ setzte er sich mit Kolleginnen ins Auto und verließ Kiew, wie so viele andere. „In der Nacht davor hatten wir nicht geschlafen, sind bei jeder Explosion hochgeschreckt“, erzählt der 40-Jährige. Nun sollte es möglichst weit weggehen, nach Tschernowzy in der Nähe der rumänischen Grenze. Doch dann erinnerte man sich, dass eine der 25 Mitarbeiterinnen der Schule doch ein Bauernhaus in der Zen­tralukraine ihr Eigen nannte. Nach 13 Stunden Fahrt waren die 300 Kilometer geschafft.

Mehrmals täglich Luftalarm

Er fühle sich in Sicherheit, sagt Peuser. Selbst die nächste Stadt ist von dem Dorf, in dem er sich jetzt aufhält, 30 Kilometer entfernt. Nur heult die Sirene mehrmals am Tag auf, das mache schon nervös. „Man kannte so etwas ja nur aus Filmen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal erlebe.“

Viel zu tun gibt es ansonsten nicht. Peuser übt sich in Landleben. Er ist für das Heizen des Ofens zuständig („Ich bin der einzige Mann im Haus“). Man isst viel, denn das lenkt ab. Angehörige und Freunde wollen über soziale Netzwerke auf dem Laufenden gehalten werden. Außerdem berichtet Peuser in einem Tagebuch für die „Lübecker Nachrichten“ aus seinem Exil und klingt auf den Videos wenn nicht entspannt, so doch sehr gefasst.

Wenn man in größerer Runde zusammensitze, dann werde aber schon deutlich, wie aufgewühlt die Menschen seien. „Die Leute leben sich auseinander, das spürt man deutlich“, sagt der Schuldirektor. Die Ukrainer fragten, warum die Russen das zugelassen haben, so Peuser, der zwischenzeitlich sogar einen internen Chat schließen musste, weil eine Mitarbeiterin angegriffen worden war. In der Vergangenheit hatte es bereits Kurs­teilnehmer gegeben, die es ablehnten, von einer Lehrerin aus dem russischen Smolensk unterrichtet zu werden.

In diesem Spannungsfeld versuchte Peuser immer, ausgleichend zu wirken. Das ist zuletzt nicht leichter geworden. Er hofft jedoch, dass mit der Zeit eine Versöhnung möglich wird, so wie er sie zwischen Ukrainern und Deutschen festgestellt hat. „Wir Deutschen haben das Land im Zweiten Weltkrieg überfallen. Heute sind wir hier hoch angesehen.“

Anfängerkurs für Flüchtlinge

Wie es mit Startdeutsch in der Ukraine weitergeht, ist ungewiss. Vorerst sind die Kurse ausgesetzt, obwohl während der Pandemie beste Voraussetzungen geschaffen wurden, neben dem Präsenz- auch Onlineunterricht anzubieten. Doch unter den gegenwärtigen Verhältnissen steht niemandem der Sinn nach deutscher Rechtschreibung und Grammatik. Stattdessen bietet die Schule ab dieser Woche einen kostenlosen Anfängerkurs auf Zoom für nach Deutschland geflüchtete Ukrainer an.

Markus Peuser wird von seinem vorläufigen Landsitz aus wohl eher Richtung Westen weiterreisen als nach Kiew zurückkehren. Dabei liebt er die Stadt, sie ist sein Berlin. „Ich habe mich dort immer sehr wohlgefühlt, vor allem wegen der Menschen“, sagt er. In der Ukraine gehe es noch deutlich familiärer zu als aus Deutschland gewohnt. Es gebe mehr Zusammenhalt und weniger Ellenbogenmentalität. Man verbringe auch oft die Freizeit miteinander. Bevor sich die Ereignisse überschlugen, sagte Peuser der MDZ, er könne sich vorstellen, noch lange in Kiew zu bleiben. Nun ist es anders gekommen.

Tino Künzel

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