Fußball auf Entzug: Einmal WM und zurück

Wer in dieser Saison russischer Fußballmeister wird, entscheidet sich am letzten Spieltag, der an diesem Wochenende ausgetragen wird. Kandidaten sind Dynamo Moskau, Zenit St. Petersburg und der FC Krasnodar. Doch schon vorher steht fest: Das Zuschauerinteresse an der Premier-Liga ist heute geringer als vor der WM 2018 in Russland.

Spartak-Stürmer Alexander Sobolew beim Torjubel (Foto: Alexej Filippow/RIA Novosti)

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Zuschauer haben in dieser Saison die Spiele der Russischen Premier-Liga (RPL) im Durchschnitt besucht. Das ergibt sich aus den offiziellen Zahlen nach 29 von 30 Spieltagen. Die Saison endet am 25. Mai. In der RPL, Russlands höchster Fußball-Liga, spielen 16 Mannschaften. Allein vier Klubs kommen aus der Hauptstadt Moskau.

Platz 9

würde der amtierende russische Fußballmeister Zenit St. Petersburg in einer Zuschauertabelle der 2. Bundesliga in Deutschland belegen. Zenit ist der mit Abstand bestbesuchte Klub Russlands, hat aber auch nur einen Schnitt von 27.566 Zuschauern aufzuweisen. Es folgen der FC Krasnodar mit 22.879 und Spartak Moskau mit 15.286 Besuchern. Mehr als die Hälfte der Liga kommt auf lediglich vierstellige Zuschauerzahlen. Der Gesamtschnitt für die RPL liegt nur knapp über dem von Deutschlands 3. Liga, wo es mit Stand von Anfang Mai 9527 Zuschauer waren. Die 1. Bundesliga (39.435) und die 2. Bundesliga (28.521) spielen ohnehin in ganz anderen Dimensionen. Über die Breitenwirkung des Fußballs in Russland lässt sich damit zumindest streiten.

864,7 Mio. Euro

beträgt laut dem Branchenportal Transfermarkt der Marktwert aller 16 russischen Erstligisten mit ihren 427 Spielern, davon 172 Ausländer. Allein die aktuelle Mannschaft von Bayern München ist mit 929 Mio. Euro mehr wert. Der Marktwert der 1. Bundesliga beläuft sich auf 4,5 Mrd. Euro.

Seit 3.3.2023

ist eine sogenannte Fan-ID beim Kauf der Eintrittskarte für RPL-Spiele obligatorisch. Dieser Besucherausweis soll, wie es heißt, die Sicherheit und Familienfreundlichkeit erhöhen. Doch die Fanklubs lehnen die Neuerung als weiteres Element staatlicher Kontrolle ab. Da der Antrag ohne Angabe von Gründen abgelehnt und der Pass auf diese Art auch wieder entzogen werden kann, befürchten sie, willkürlichen Entscheidungen ausgeliefert zu sein. Die Forderung, das Gesetz zurückzunehmen, blieb aber unerfüllt. Deshalb boykottieren die allermeisten Fans seitdem die Stadien.

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aktuelle russische Erstligisten kommen aus Millionenstädten. Nur Kaliningrad, Sotschi, Grosny und Orenburg liegen bei unter einer Million Einwohnern. Auch das unterscheidet die RPL von Deutschland, wo viele Klubs aus kleineren Städten oben mitmischen. Bezeichnend: Die Stand­orte aller 18 Bundesligisten haben zusammengenommen weniger Einwohner (11,5 Mio.) als Moskau mit seinen 13,1 Millionen.

Rang 29

belegt Russland derzeit in der UEFA-Fünfjahreswertung. Da die russischen Klubs seit Februar 2022 für alle internationalen Wettbewerbe gesperrt sind, kommen seitdem keine Punkte mehr hinzu. Russland, das noch nach der Saison 21/22 auf Rang 10 zu finden war, fällt also unaufhörlich zurück, allein in dieser Saison zogen Länder wie Ungarn und Aserbaidschan vorbei. Das Interesse am Fußball erhöht das nicht gerade.

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der 16 RPL-Stadien dieser Saison waren bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 im Einsatz und haben 30.600 (Kaliningrad) bis 63.145 Plätze (St. Petersburg). Im Liga-Alltag sind sie meist sehr mäßig gefüllt. Anders als in Deutschland mit seinen oft randvollen Stadien liegt die Auslastung teils bei unter 20 Prozent. Dabei war der Anfang vielversprechend. In der Saison 18/19, der ersten nach der WM, kletterte der Besucherschnitt immerhin auf ein Allzeit-Hoch von 16.818. Doch etwa in Rostow am Don ist er seitdem von 31.034 auf 12.804 eingebrochen, in Samara von 19.182 auf 8666. Der WM-Effekt ist verpufft: Die Zuschauerzahlen sind hinter den Stand von 2018 zurückgefallen.

Tino Künzel

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