Einer, der auszog, Russland anzuziehen

Nein, Krawatten hat er gar keine, der Burkhard Binder. Nur wenn’s etwas offizieller hergehen soll, möchte ein schlichtes Einstecktüchlein in der Brusttasche des dunkelblauen Sportsakkos schon sein. Damit soll es mit den Insignien eines hergebrachten Managerauftritts einfach genug sein. Blaue Jeans, ein gleichfarbenes Polohemd oder auch mal ein weißes müssen reichen. Da hat er auf andere Art Überzeugendes zu bieten.

Als Mitbegründer, Mitbesitzer und Generaldirektor von Kupishoes. Wie bitte? Nun, dieser Firmenname ist wahrscheinlich nur den amtlichen Firmenregistratoren und der Steuerbehörde wohlbekannt: Denn das ist ein Multimillionen-Unternehmen, aber landes- und unter Leuten eher als Lamoda.ru in aller Munde. So heißt die Website, auf der sich Tag für Tag Russen und Weißrussen, Kasachen und Ukrainer sattsehen – an allem, was aus Kleidern Leute macht.

Mit Schuhen begann die Erfolgsgeschichte

Kupishoes, so viel wie „Kauf Schuhe“, übers Internet, damit ging die Erfolgsgeschichte von Burkhard Binder und seinen damals noch drei Mitstreitern los. Geblieben ist Florian Jansen, mit dem Burkhard Binder noch heute als Partner und CEO den schmucken Arbeitsplatz teilt. Der war in den Anfangsjahren nur ihr Stammtisch im Lokal einer Moskauer Pizzeria-Kette.

Längst ist aus Schuhen ein komplettes Premium-Bekleidungssortiment für beide Geschlechter, alle Gelegenheiten, Jung und Alt geworden. Das reichte bereits 2015 für die Auszeichnung „Entrepreneur des Jahres – Success in Russia“ der weltweit agierenden Beratungsgesellschaft Ernst & Young.

Heute klicken sich tagtäglich eine Million Menschen durch Lamoda und die nahezu unglaubliche Vielfalt von drei Millionen verschiedenen Markenartikeln. Inzwischen sind auf der Hompage fast 2000, darunter viele russische, aber auch renommierte internationale Namen zu finden. 60 bis 70 000 Menschen bestellen tatsächlich ihre Lieblingsstücke und lassen sie sich zur Ansicht und Anprobe aus dem riesigen, voll computergesteuerten Warenlager nahe der Hauptstadt gleich vor die Tür bringen – in Moskau schon am Bestelltag, woanders möglichst am nächsten.

Lamoda ist das Schaufenster zur Modewelt

Wer im russischen Riesenreich nicht gerade in Moskau oder in einer der anderen 14 Millionenstädte wohnt, für den ist Lamoda das Schaufenster zur globalen Modewelt: „Wir machen keine Trends“, sagt Burkhard Binder, „aber wir machen sie hier allen überall zugänglich.“ Nach der Anzahl der Internetnutzer und als territorial größte Nation der Erde ist Russland prädestiniert fürs Online-Geschäft, wie er weiß. Das eingeschworene „LME-Lamoda Express“-Team von über 2000 Mitarbeitern agiert nicht nur über 60 Zwischenlager als Kuriere, sondern sozusagen als mobile Verkäufer in über 600 Städten.

Sie warten bei Kunden 15 Minuten aufs Anprobieren, kassieren oder nehmen die Ware bei Nichtgefallen gleich wieder mit. Hinzu kommen rund 1000 Pick-up Points im ganzen Land. Fast schon kleine Modeläden, in die Russen oft mit der ganzen Familie kommen. Eine ausgefeilte Logistik für bestmögliche Servicegarantie sei der entscheidende Faktor des Erfolgs, betont er.

Meister

Burkhard Binder in der Firmenzentrale von Lamoda © privat

Ein Start-up, das schnell aufgestiegen ist

Knapp 300 Millionen US-Dollar Investitionsgelder aus verschiedenen internationalen Quellen sind seit Beginn des mutigen Start-ups geflossen und haben Lamoda in wenigen Jahren auf seinen vier Märkten zur Nummer eins im Online-Modehandel hochkatapultiert. Für einen wie Burkhard Binder, der aktiv alles Administrative und den gesamten Fashion-Bereich steuert, erst ein Anfang. Längst engagiert er sich finanziell ebenso wie kreativ und strategisch auch in weiteren Geschäftsfeldern wie zum Beispiel dem boomenden Essens-Lieferservice oder dem Online-Handel spezieller Baumaterialien.

Gerade erst Anfang dieses Jahres hat Lamoda eine neue Zentrale bezogen. Von außen ein schwarz-brauner, architektonisch minimalistischer Zweckbau. Innen drei Etagen mehrheitlich in strahlendem Weiß gehalten. Auf stolzen 7060 Quadratmetern ist es aktuell das berufliche Zuhause von 764 der insgesamt 6000 Lamoda-Angestellten. Alle erst um die 30 und zu drei Vierteln weiblich, alle sorgsam festgeschriebenen Werten bindend verpflichtet.

Das ausgeklügelte Lastenheft liest sich in seinen 25 Einzelforderungen wie ein akademischer Schnellkurs in Führungsverhalten. Von der Wahrnehmung der Gesamtverantwortung fürs Unternehmen über die geschickte Balance zwischen Perfektion und Schnelligkeit, scharfen Fokus auf Kundenerwartungen, respektvolle Kritikfähigkeit, grundehrliches Kommunikationsverhalten bis zur aktiven Entwicklung der eigenen Persönlichkeit wie die der anderen Teammitglieder.

Der erste Kontakt mit Russland war in der Jugend

Bei all der respektablen Unternehmerleistung kommt der gerade Mittdreißiger Burkhard Binder mit dem adrett flach gescherten Backenbart eher wie ein ewiger Student daher. Nun, belehren lassen hat er sich auch reichlich lange, an die zehn Jahre. Bis seine Eltern, beide promovierte Juristen, ihn nun doch mal zu selbstständigem Broterwerb rieten. Wie das Leben so spielt, war er da schon in russischen Landen. Und hier genau am richtigen Platz – und das nicht zum ersten Mal, aber der Reihe nach.

Der kleine Burkhard wurde in New York geboren, wuchs dann aber nach drei Jahren bis zum Grundschulalter in Tokio auf, um dann schließlich in Frankfurt am Main zu landen. Dort, wo sein Vater nach seinen Auslandsstationen ins Management der Firmenzentrale einer ehemaligen Metallgesellschaft zurückberufen worden war.

Sein Gymnasiallehrer für Latein sei ein wahrer Kommunist gewesen, erinnert er sich. Wer wollte, den nahm er sogar auf eine Exkursion nach Moskau mit. Burkhard Binders erste Berührung mit seiner späteren Wahlheimat, die er noch heute als „spannend und anders“ empfindet. Nach Wehrpflicht bei den Gebirgsjägern folgten Jahre des Studiums der Geschichte, Politik- und Wirtschaftswissenschaften an renommierten Hochschulen in London bis zur Master-Reife.

2007 zog es ihn wieder gen Osten: am Moskauer MGIMO arbeitete er an seinem Doktor, Thema: „Ethnischer Nationalismus am Beispiel Tschetschenien“. Die Modewelt, den Modehandel, hat er beim Aufbau von Lamoda Schritt für Schritt inhaliert. Richtig gelernt hat er ihn ja nie, obwohl „Mode, Ästhetik und Shopping“ schon ewig auf seinem individuellen Radar gewesen seien.

Immer auf der Suche nach Herausforderungen

Genau“ scheint sein Lieblingswort zu sein, dann, wenn er seine Antwort auf eine Frage einleitet und sicher auch, wenn ihm schon wieder eine neue Idee im Hirn herumschwirrt. Burkhard Binder sieht sich als einen Getriebenen auf der Suche nach immer neuen Herausforderungen – ob beruflich oder privat – erklärt er zufrieden und lächelt sympathisch. Mit seiner donnernden Harley Davidson verschreckt er gern mal die Leute. Einen Privatpilotenschein und eine Jagdlizenz hat er auch.

Seit einiger Zeit trainiert er für die Teilnahme an dem internationalen WTC „Half Ironman“ Triathlon-Wettbewerb im kommenden Mai auf Mallorca – wie es sich stereotypisch deutsch gehört mit Plan und Disziplin: sechs Tage die Woche ab 7.30 Uhr vor der meist zwölfstündigen Lamoda-Führungsarbeit. Auch das wird er schaffen, so wie er nunmal ist.

Es verwundert nicht, dass der geborene Unternehmergeist schwärmt: „Ich liebe das Land, für das ich brenne“, wohlwissend, dass er seine Talente und seinen Schaffensdrang ja auch am richtigen Ort, zur rechten Zeit mit den richtigen Partnern ausgelebt hat, weiter ausleben kann und wird. Denn das große Russland ist im besten Sinne ein Entwicklungsland, in dem noch so vieles auf so vielen Gebieten aufzuholen gibt und zu holen ist: „Hier wird man in jungen Jahren ernst genommen“, vergleicht er den Osten mit dem Westen. Zu Burkhard Binders Glück gehört eigentlich nur noch ein ganz privates, wie er selber hofft: „Eine eigene Familie.“

Frank Ebbecke

 

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