Der ziemlich weitläufige Konferenzraum wirkt eher kühl in seiner dominierend schwarz-weißen Farbgebung und einer großflächigen Glaswand. Doch auch designerisch klar, hochwertig und elegant. Ein stilvoller Ort, an dem gut und gerne gewichtige Geschäfte verhandelt werden können – so professionell wie nüchtern.
Hier passt er irgendwie nahtlos rein. Aber gleichzeitig kommt mit Stefan Teuchert auch wärmendes Leben in die kühle Atmosphäre. Eine sofort ansprechende Erscheinung, durchtrainiertes Gardemaß, strammer Schritt, nicht mehr ganz so jung, aber jugendlich. Attraktiv grau-meliertes, korrekt-kurz geschnittenes Haupthaar, leicht gesund-gebräunte Gesichtsfarbe, vor allem aber ein offener, spontan sympathischer Gesichtsausdruck. Blauer, perfekt sitzender Anzug, weißes Hemd, passende Krawatte und dekoratives Einstecktuch, glanzpoliertes Schuhwerk.
Von Leipzig nach „Hollywood“
„Würden Sie von diesem Mann ein Auto kaufen?“ „Aber ja!“ In seinem Fall wäre das ein BMW. Denn für diese deutsch-bayerische Edelmarke macht er die gute Figur, der steht er vor. Seit mehr als drei Jahren ist er President und CEO der BMW Group Russia. Dass sich die Münchner Vorzeigefahrzeuge aller Klassen mit den sprichwörtlich sportlichen Genen – zusammen mit dem Kult-Mini und der klassischen Motorradmarke – hierzulande entgegen aller möglichen Krisen so erfolgreich geschlagen haben, dafür hat Stefan Teuchert schon von 2010 bis 2013 als Sales Director und Vice President der Gruppe mitverantwortlich die Weichen gestellt.
Er redet wie gestochen-scharf Hochdeutsch, kaum erwartungsgemäß; denn geboren und bis zum zwölften Lebensjahr aufgewachsen ist er im sächsischen Leipzig, um dann mit seiner Mutter 1981 nach überraschender DDR-staatlicher Genehmigung in die Bundesrepublik, auszureisen. Sein erster westlicher Wohnort wurde Günzburg, auch nicht gerade eine Wiege des Hochdeutschen. Günzburg in „Hollywood“ wie er lachend das verbreitete Trugbild seiner damaligen Landsleute beschreibt.
Ein automobiler Lebenslauf
Schnell hatte er aber selbst realisiert, dass auch im „goldenen Westen“ nicht alles nur Glanz und Glimmer ist. Vor allem sei ihm seine langjährige Mitgliedschaft im Kinderchor Leipzig schmerzhaft abgegangen. Der hatte zu Zeiten einige Berühmtheit durch Auftritte in Funk und Fernsehen, selbst einmal „live“ vor Erich Honecker, erlangt. Der junge Stefan war aktiver Jungpionier und im Freundschaftsrat mit dem großen Bruder Sowjetunion, lernte Russisch schon in der Grundschule, davon sei aber nur das größere Sprachverständnis übriggeblieben, bedauert er.
Seine automobiler Lebenslauf liest sich nach einem Anfang auf dem falschen Fuß gradlinig und lupenrein – ein Kurzabriss: Erst ein Praktikum in einem Hotel, aber nein, das war nicht seins. Folgerichtig wechselte er, gerade 19, rein ins Automobilgeschäft. Das Verkaufen lernte er bei einem Händler im bayerischen Feldkirchen von der Pike auf und gleich im ganz großen Stil: SCANIA-„heavy trucks“. „Wer Lkw verkaufen kann, kann alles verkaufen“, erinnert er sich mit einem Schuss Dankbarkeit. Prospekte von BMW waren schon in Jungenzeiten seine spannendste Lektüre gewesen.
Weltweit unterwegs für BMW
Nun denn, er bekam nach den Schwerlastern 1993 mit 24 Jahren die Chance, genau diese Marke unter die Leute zu bringen, direkt bei der BMW-Niederlassung in München. Von da an ging’s bergauf. Er wechselte von 1993 bis Ende 2009 in verschiedene Manager-Funktionen in der Niederlassung, dann ins Hauptquartier der Gruppe, und im Januar 2010 zu seiner ersten Russland-Verwendung.
Zurück in der Münchner Zentrale leitete er 2013 bis 2016 erst die süddeutsche, danach die ostdeutsche BMW-Gebietsregion, im Herbst 2016 wieder raus in die Welt als Thailand-Chef und nach anderthalb Jahren im März 2018 wieder nach Russland. Dort überraschte ihn als erstes, wie schnell sich hier alles in so kurzer Zeitspanne zum immerhin optisch besseren entwickelt hatte und heute, dass Moskau der für Bürger am weitesten digitalisierte Wohnort Europas ist.
Noch viel zu entdecken im Land
Nun, Ende November, verlässt er den Osten, wo die Sonne aufgeht. Nicht gerade aus freien Stücken, aber loyal nach Ruf von oben aus der Zentrale: Stefan Teuchert wird die gesamte Vertriebsverantwortung für den deutschen Heimatmarkt mit rund fünfmal so hohen Absatzzahlen übernehmen. Und was kommt dann? Mit Elan und Energie verrät Stefan Teuchert, dass ihm – wie bewiesen – so alle drei bis vier Jahre nach einer neuen beruflichen Herausforderung sei. Da hat der heute erst 53-Jährige schon so einige visionäre Vorstellungen: Wenn’s denn so kommen sollte, dann würde ihn Asia-Pacific oder die USA mit den „Americas“, durchaus reizen.
Ja, BMW auf jeden Fall, aber nein, ein beruflicher Weg zurück nach Russland, den wird’s für ihn wohl nicht geben. Persönlich aber schon eher, er sagt „auf jeden Fall“. Wenigstens private Urlaubs- und Entdeckungsreisen in die noch weißen Flecken auf seiner Karte des größten nationalen Territoriums der Erde sind fest in der privaten Planung.
Von Alpin auf Langlauf umtrainiert
An Russland reize ihn die schiere Größe, die maximalen Kontraste, das Klima von Permafrost bis subtropisch. Und er ahne schon jetzt, was er von hier vermissen werde, irgendwie wohl auch eine Reminiszenz an seinen DDR-Ursprung: Familien- und Freundeszusammenhalt, mehr Respekt und Solidarität untereinander und vor der Kultur, die „russische Seele“, die ihm noch nie irgendjemand schlüssig erklärt habe, die man nur fühlen könne. Und die positive Grundhaltung gerade auch gegenüber den Deutschen, die aus westlicher Sicht gegenüber den Russen doch leider eher negativ sei.
Immerhin hat er auf einige seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen auch in Russland garnicht erst verzichten müssen. Fürs Reisen ist die Russische Föderation schon aus rein beruflichen Gründen ja wahrhaft groß genug, fürs Motorradfahren auch. Anstelle einer weiteren Leidenschaft, dem alpinen Skilaufen, hat er hier auf Langlauf umtrainiert: „Schwieriger als gedacht“, erinnert er sich.
Im nächsten Leben ein Sänger
Kochen tut er selber gerne und mit feinstem Essen in stilvoller, oft in kreativer Designerumgebung und entsprechendem Service sind die hauptstädtischen Moskowiter wie er (noch) schon länger reichlich verwöhnt. Ausgerechnet jetzt, nach über fünf Jahren fachlich-penibler Recherchen der Schleckermäuler von der Gourmet-Bibel „Michelin“, wurden stolze neun der Vorzeigerestaurants in der Kapitale mit den weltweit anerkannt-begehrten „Sternen“ ausgezeichnet. Obwohl Stefan Teuchert gern zugibt, dass ihm hier oft eher mal nach einer schmackig-echten Bratwurst und zur rechten Zeit einem süffigen Glühwein gewesen sei. Ja, nicht gerade eine Mannestugend, aber Shopping, das liebt Stefan Teuchert gerade in dieser Metropole auch. Da belohne er sich auch manchmal sogar selber, hier sei die Modewelt mutiger und bunter.
Vor allem aber ist er in Moskau wieder seiner vielleicht größten Hobby-Liebe, der Musik, wieder ganz nahe gekommen. Dreimal hat er als Chef des Unternehmenssponsors BMW von den Bühnenbrettern des weltbekannten Bolschoi-Opernhauses in Moskau Ansprachen gehalten. Wenn er die Melodie der russischen Volkshymne „Wetschera“ klingen höre, schmelze er förmlich dahin, sagt er. Obwohl seine persönlichen Dauerbrenner immer noch zwei US-amerikanische Klassiker sind: „My Way“ und „New York, New York“ von Frank Sinatra, aber die intoniert er von Fall zu Fall auch mal gerne selbst: In einem nächsten Leben würde er am liebsten ein Sänger sein, träumt er freimütig.
Stefan Teuchert, auch im Vorstand der Deutsch-Russischen Handelskammer (AHK) und bei anderen Gremien aktiv gewesen, verlässt ein Land, das er über alle beruflichen Erfolge hinaus unmissverständlich und weit offen ausgesprochen schätzen und lieben gelernt hat. Und im Unternehmen ein bestelltes Feld: „Eine neue Generation von europäisch gepolten Russen, die überall auf der Welt arbeiten könnten.“ Seine Verantwortung übernimmt nach seinem Vorschlag eine Russin, eine „ehrgeizige, verlässliche Frau”, die schon 20 Jahre bei BMW zuhause ist. Daheim in Deutschland wird er wegen seiner ungeteilten Zuneigung und Zuwendung auch gern schonmal der „russische Botschafter“ genannt, schmunzelt er – und so einen kann Russland in diesen ostwestlichen Eiszeiten doch wahrlich gut gebrauchen. „Spasibo, do swidanja“, Stefan Teuchert.
Frank Ebbecke