Ein Lotse geht von Bord

In Brasilien geboren, deutscher Abstammung, als Manager in der Welt zuhause, verabschiedet sich Jürgen König, über Jahre in Russland Statthalter des deutschen Pharma- und Chemie-Weltkonzerns Merck, in den sogenannten Ruhestand – aber wohl nicht ganz.

Jürgen König leitete sieben Jahre den deutschen Pharmakonzern Merck in Russland. (Foto: Merck)

Im klassisch-eleganten Manager-Outfit, mit straff-energischer Positur und seriös-ernstem Mienenspiel wirkt er eher ein bisschen verkleidet. Gestreiftes Hemd, Strickweste und Jeans, seine lebhafte Körpersprache, sein fröhlich-offenes Lächeln aus den Augen und um die Lippen, passen da schon besser zu ihm. Aber beides spiegelt eben wider, was diesen Menschen ausmacht: seine südamerikanische Lebensart gepaart mit einer guten Portion germanischem Mentalitätserbe. Der Vater war kurz vor dem Zweiten Weltkrieg aus Berlin nach Brasilien ausgewandert, die Mutter stammt aus einer Salzburger Familie, die dort ebenfalls eine neue Heimat gefunden hatte.

Erste Geschäfte mit Papierdrachen

1954 geboren, bewies er schon mit acht Jahren einen ausgeprägten Geschäftssinn, im Verein mit seiner Schwester Ursula. Erst bastelten sie Papierdrachen, verkauften bis zu 100 Stück an einem Tag auf Märkten, dann auch anderes für Kinder Nützliches wie batteriegespeiste Fahrradhupen. Sein sonstiger beruflicher Werdegang im Schnelldurchlauf: Seinen Finanz- und Marketing-Master schaffte er an einer respektierten Universität in São Paulo. Nach anschließender dreijähriger Lehrtätigkeit in Finanzwirtschaft an einer anderen örtlichen Hochschule machte er stolze 24 Jahre lang Manager-Karriere bei BASF in Südamerika und Europa bis zum Managing Director von BASF Pharma in Pakistan.

Nach dem Wechsel zu Merck im Jahr 2001 in gleicher Position im selben Land ging die Weltreise weiter nach Korea, ab 2013 dann zur letzten Station für Merck nach Russland. Seit Jahrzehnten begleitet ihn dabei seine Ehefrau Carolina, studierte Übersetzerin für vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Portugiesisch, Spanisch – mit einem ähnlichen Familienhintergrund: Schweizerin mit österreichischen Wurzeln, geboren in Peru, Mutter der gemeinsamen Söhne Diego Esteban (38) und Marcus Rafael (34).

Jürgen König gehört zu einer Expat-Wirtschaftselite, die neben ihrer Verantwortung für die geschäftliche Prosperität ihres Unternehmens immer auch die menschliche Entwicklung der Mitarbeiter, den Aufbau eines mehr internationalen Geschäftsverständnisses, die nationale Öffnung zu einer global-gesellschaftlichen Einstellung leben. Nicht gerade landestypisch für Russland, aber eine hochaktuelle Forderung an zeitgemäßes, zukunftsorientiertes Führungsverhalten: Er hat bis ganz oben in der Moskauer Zentrale, die er von anfänglich knapp 100 Mitarbeitern auf über 450 hochgefahren hat, Diversität geschaffen, sie vom Repräsentationsbüro zum eigenständigen Unternehmen aufgebaut.

Er selbst ist Brasilianer, der oberste Finanzchef Argentinier. Da haben genauso ein Österreicher, ein Deutscher und nicht zuletzt Russinnen das Sagen. Obendrein hat er einen firmeneigenen Feiertag im Jahr aufgelegt, den „Diversity Day“. Da wird sich über unterschiedliche Wertevorstellungen und überlieferte Kulturen offen ausgetauscht. 

Auf eine Tasse Tee mit dem Chef

Einmal im Monat bat er als Firmen-Präsident eine Gruppe von Mitarbeitern zum Tee. „Da konnte mich jeder fragen, was er wollte, geschäftlich wie persönlich.“ Zu dieser Art Ideen sah er sich vom ersten Tag an geradezu gezwungen. Denn das hierzulande immer noch streng hierarchisch-verschlossene Kommunikationsverhalten – „Je größer der Schreibtisch, desto wichtiger, der dahinter sitzt“ – nein, das liegt ihm nun gar nicht. Eher doch „alle ziehen am selben Strang“. Diese Einsicht habe die Merck-Mannschaft zu merklich zufriedeneren Mitarbeitern gemacht, freut er sich. 

Bei dem gelungenen Aufbau einer firmenverschworenen Gemeinschaft haben ihm seine russischen Sprachkenntnisse nicht gerade viel helfen können, denn nur verstehen tue er manchmal mehr, als manchem lieb sei, gibt er verschmitzt zu. Englisch sei nicht nur die Firmen-, sondern auch die globale Geschäftssprache, und da hätte inzwischen auch hier, besonders unter den Jüngeren, kaum einer mehr Probleme. 

Eine Ohrfeige für Portugiesisch

Schließlich sei er selbst damit bestens durchgekommen, umgeben von Urdu-Sprachigen in Pakistan, unter Koreanern und wo er in der Welt auch immer herumgekommen ist. Aufgewachsen ist er in Brasilien mit Deutsch – jedenfalls zuhause. Wenn er da mal ins Portugiesische verfiel, immerhin ja die Sprache während seiner Ausbildung und auf der Straße, gab es vom Vater eine spontane Ohrfeige, erinnert er sich lächelnd. Sein Vater Günter, in Bank-Führungspositionen tätig, sei immer „Deutscher als Deutsch“ gewesen. Nikolaus, Weihnachten und Ostern wurden zum Beispiel stets nach treudeutscher Art gefeiert.

Eine andere strategische Notwendigkeit aufgrund der geopolitischen, sanktionserschwerten Umfeldbedingungen während seiner hiesigen Merck’schen Regierungsjahre löste er genauso schnell wie erfolgreich. Lokalisierung hieß bei ihm nicht ein rein bürokratisch diffiziler, langwieriger Aufbau firmeneigener Werkstätten, sondern die zielgenaue Identifizierung ortsansässiger Produktionspartner, passgenau zu den hohen Merck-Qualitätsanforderungen. Längst hat sich diese geschickte Entscheidung bewährt und ausgezahlt. In allen Fachsparten der Weltfirma, ob „Health Care“, „Life Science“ für die biotechnologische Branche, „Performance Materials“ wie Flüssigkeitskristalle.

„Russen können genauso gute ,Driver‘ sein wie andere auch, das wird in Deutschland oft unterschätzt“, bricht der polyglott-tolerante König eine Lanze für eine neue, aufstrebende Generation von Arbeits- und Führungskräften im großen Osten. Ja, er habe es in Russland nicht nur ausgehalten, sondern ehrlich gemocht. Offiziell markiert das vorletzte Jahr das 120-jährige Jubiläum des Pharma- und wissenschaftlichen Forschungsunternehmens Merck,  bereits 1668 in Darmstadt gegründet, in Russland. Aber Jürgen König weiß es besser: „Wir waren schon immer hier“. Schon ein Karl-Heinz Merck war dem Ruf Katharina der Großen gefolgt – als Hospitalarzt im sibirischen Irkutsk. 

Saxofon und Jazz im Ruhestand

Dass er jetzt in den Ruhestand geht, kann nicht ganz ernst gemeint sein. Das würde wohl auch kaum zu seinem quirligen Naturell passen. Für einen wie ihn mit seiner lateinamerikanisch gespeisten Lebhaftigkeit, seiner Neugier und Energie, seinem Schaffens- und Erlebnisdrang schon gar nicht. Körperlich fit wie ein Turnschuh, wie so gesagt wird, spürt der 65-Jährige den Drang, das Hirn in ebensolcher Form zu halten. Er erscheint auch als ein feinfühliger, kunstsinniger Mensch. Erst vor drei Jahren hat er sich musikalisch aktiv seiner Neigung zum Jazz verschrieben und begonnen, Saxophon zu spielen. Daheim umgeben sich die Königs mit Artefakten und Antiquitäten, die sich aus all seinen weltweiten Wirkungsbereichen angesammelt haben. Kochen und viele Gäste bewirten sowie das Golfspielen sind ebenso geteilte Leidenschaften der beiden. 

Mit der Entscheidung, den Familiensitz nun zurück nach Deutschland, in den Raum Mannheim/Ludwigshafen, nahe von BASF, in deren Zentrale er sieben Jahre lang gewirkt hat, zu verlegen, schließt sich für ihn ein Kreis – zurück zu seiner deutschstämmigen Herkunft, der umgekehrte Weg seiner Eltern. Jürgen König ist eine Begegnung mit einer menschlich gesteuerten Führungskraft, einer, der seine Mannschaft, wo auch immer die auch war, zu einer Gemeinschaft zusammenschweißen konnte und sie in Freundschaft nach oben wie unten hinterlässt. Seine weltläufige Erfahrung und sein Motto haben sicher dabei geholfen: „Die Wahrheit ist immer dazwischen.“

Frank Ebbecke

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