Ein Wochenende im Öko-Camp „Babuschka Holle“

Anja Pabst lebt seit fast 20 Jahren in Russland. In dieser Zeit gründete sie ein Unternehmen und schlug Wurzeln in einem Dorf bei Pereslawl-Salesski. Dort, inmitten eines Waldes, Scharen von Mücken und an einem Flüsschen, möchte sie alt werden. Anja kann man besuchen und bei ihr im Öko-Camp übernachten, was MDZ-Redakteurin Ljubawa Winokurowa auch tat.

Anja Pabst und ihre Spezialität – Obsttorte (Foto: Ljubawa Winokurowa)


Ich verlasse Russland erst, wenn hier alles den Bach runtergeht, aber wie das aussehen soll, kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Anja Pabst, während sie die Johannisbeertorte auf die Teller verteilt. Die Beeren stammen aus dem Vorjahr aus eigener Ernte.

Anja lebt in ihrem eigenen Haus im Dorf Krasnogor in der Nähe von Pereslawl-Salesski. Sich in der dörflichen Umgebung einen Coach vorzustellen, der sich auf die Schulung und Weiterbildung von Führungskräften spezialisiert hat, ist nicht einfach. Anja führt sozusagen ein Doppelleben: An Werktagen fährt sie zwischen Moskau und dem Dorf hin und her, und an den Wochenenden mäht sie Gras, heizt die Banja und bäckt Kuchen. Man zweifelt ein bisschen daran, ob sie wirklich eine Deutsche ist. Anja meint, dass der Storch sich offensichtlich geirrt hat und sie im falschen Land fallen ließ.

Die Eltern sind daran schuld

Anja Pabst wurde im Osten Deutschlands, in der kleinen Stadt Schwedt an der Oder, geboren. „Ich denke, dass meine Eltern daran schuld sind, dass ich die russische Sprache lieben lernte. Sie sprachen zwar nicht Russisch, waren aber mit einer Familie aus Rostow am Don befreundet, die einen ungefähr gleichaltrigen Jungen hatte, mit dem ich viel Zeit verbrachte“, erinnert sich Anja. Die Eltern fuhren mehrmals mit Anja in die Sowjetunion in den Urlaub: „Ich habe noch irgendwo ein Foto, wo ich als Kind vor dem Hintergrund des Elbrus stehe.“

In der DDR wurde in allen Schulen ab der 5. Klasse Russisch unterrichtet, aber in Schwedt gab es eine Schule, wo der Russischunterricht schon in der 3. Klasse begann. Anja besuchte diese Schule, in den oberen Klassen ging sie auf eine Schule für künftige Russischlehrer, danach studierte sie an der Uni in Dresden slawische Sprachen und absolvierte ein einjähriges Teilstudium in Kaluga. „Ich habe noch eine nicht eingelöste Lebensmittelmarke von November 1991. Es gab weder Eier noch Nudeln, kein Mehl und auch keinen Wodka. Aber im Dezember gelang es mir, Wodka zu ergattern. Den habe ich gegen 10 Kilo Zucker getauscht und ihn meiner Russischlehrerin gebracht, die wie eine zweite Mutter für mich war“, erzählt Pabst.

Nach Kaluga kehrte sie nach Dresden zurück. Im vereinten Deutschland bestand für Rus­sischlehrer kein großer Bedarf. Anja unterrichtete Ausländer in Deutsch und Englisch. „Das waren vor allem russischsprachige Spätaussiedler, in den 1990ern sind ja viele nach Deutschland gekommen“, erklärt sie. In den 2000ern erhielt Anja das Angebot, im Deutsch-Russischen Haus in Moskau als Leiterin des methodisch-didaktischen Zentrums zu arbeiten und die Deutschlehrer in Russland zu unterrichten. 2009 kaufte sie das Franchise BEITRAINING und eröffnete eine Vertretung dieser Firma für Personalschulungen in Russland.

Ein idyllischer Ausblick

In das Dorf bei Pereslawl-Salesski kam Anja 2012. Ihre „zweite Hälfte“ wollte unbedingt in einem Landhaus wohnen, umgeben von Wald und an einem Fluss, mit der Möglichkeit, Tiere zu halten. Das anderthalb Hektar große Grundstück fanden sie mit Hilfe des Bruders einer Kundin.

Anja unterhält zu nahezu allen Bewohnern des Dorfes freundschaftliche Beziehungen. Der Bau des geräumigen Holzhauses nahm fast zwei Jahre in Anspruch. Aus dem Küchenfenster eröffnet sich ein idyllischer Blick auf den Fluss Nerl. Das ist eher ein Bach, aber im Frühling überschwemmt er teilweise die Häuser im Dorf. Fließend Wasser gibt es im Haus nicht, eine Wasserleitung zu installieren ist zu teuer, deshalb pumpt sie das Wasser aus dem Brunnen. Eine Dusche gibt es nur in der „Sommervariante“, wenn man sich richtig waschen will, wird die Banja geheizt. Für das Internet gibt es einen Router, auf dem Handy ist schlechter Empfang. Dafür kann man mit der Hausherrin unbegrenzt Tischspiele spielen, sie hat einen ganzen Schrank voll davon.

Das Öko-Camp „Frau Holle“ besteht aus vier dieser Hütten. (Foto: Ljubawa Winokurowa)


Nach den Bauarbeiten blieben kleine Hütten auf dem Grundstück, das auch ein Stück Wald umfasst. Vor ein paar Jahren beschlossen Anja und ihre „zweite Hälfte“, die Häuschen in Ordnung zu bringen, sie zu streichen, Möbel und notwendingen Hausrat (Teekessel, Kochplatte) zu kaufen und sie im Sommer zu vermieten. So entstand das Öko-Camping „Babuschka Holle“. Als Gäste kommen gern Gruppen mit Gitarren und Familien mit Kindern. Das ist eine gute Variante für diejenigen, die befürchten, dass die Nachbarn durch ihre Lieder gestört werden, denn hier stören einen nur Mücken und Vögel, manchmal schaut ein Fuchs vorbei. Anja ist umgeben von treuen Gefährten – jetzt leben mit ihr zusammen der bezaubernde Samojede Tolja (vom deutschen Wort herumtollen), die Mischlingshündin Rada und der Kater und Mäusefänger Hugo.

Früher wurden die Häuschen über Airbnb vermietet, deshalb kamen sogar Deutsche hierher (die Touristenrouten des Goldenen Rings sind ja gleich in der Nähe), jetzt kommen hauptsächlich gute Bekannte Anjas oder Stammgäste.

Hugo, Tolja und Rada (Foto: Ljubawa Winokurowa)

Nicht alles lief nach Plan

Bis zum Beginn der „Spezialoperation“ hielten sie Kaninchen, Hühner und Schafe, die den Rasen hervorragend „mähten“. Das Paar wollte sich davon ernähren, was sie selbst anbauen und aufziehen konnten. Aber die Freundin beschloss, Russland für immer zu verlassen. Die impulsiv getroffene Entscheidung wurde zur Gewissheit. Allein konnte Anja so eine große Wirtschaft nicht unterhalten, deshalb sind von den Haustieren nur Tolja, Rada und Hugo übriggeblieben.

Auf die Frage, ob sie auch ausreisen möchte, schüttelt Anja energisch den Kopf. „Ich verstehe das alles sehr gut: Kampfhandlungen, Opfer, aber ich weiß nicht, wo ich sonst leben könnte. Ich möchte in meinem Alter nicht noch einmal irgendwo ganz von vorne anfangen müssen.“

Anja ist gut in die lokale Business-Community integriert. Zusammen mit Unternehmern aus Jaroslawl nimmt sie am sozialen Leben der Stadt teil. So hilft Pabst der örtlichen Schule, Unterricht in Berufsorientierung aufzubauen, spielt von Zeit zu Zeit die Rolle einer Psychologin, um die Konflikte der Lehrer beizulegen.

Die „Spezialoperation“ hat ihr Unternehmen nicht besonders beeinflusst. „Ich bin es gewohnt, dass bei mir alles in Schüben vor sich geht. Ich weiß, dass die Firmen gewöhnlich in erster Linie die Ausgaben für Personalschulungen und Marketing kürzen, aber ich habe zu tun. Ich helfe weiterhin, Führungsstrategien zu erarbeiten.“

Über ihre Lebensstrategie zu sprechen, fällt Anja jetzt schwer. Aber was die lebenswichtigen Dinge angeht, möchte sie eine Wasserleitung ins Haus legen lassen, den Rechtsstreit mit dem Nachbar beenden, der die Dorfstraße okkupiert hat (das wäre eine aufregende Geschichte für einen völlig anderen Artikel) und möglicherweise das Öko-Camping einer anderen Person übergeben, jemandem aus dem engeren Freundeskreis.

Aber in diesem Sommer ist Anja Pabst noch die Gastgeberin. Man kann hierherkommen, Johannisbeeren pflücken und Geißblatt, Tolja den Bauch kraulen und das einfache ländliche Leben genießen. Anja ist über den Telegram-Kanal „BabHolle“ zu erreichen.

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