Von Potsdam nach Injutino

In der Nähe von Nischni Nowgorod entsteht langsam, aber stetig die kleine Siedlung RuDe für Deutsche, die gern in Russland leben möchten. Schöpfer und Initiator des Projekts ist der 58-jährige Potsdamer Remo Kirsch. Vor zwei Jahren veränderte er das Leben seiner Familie grundlegend, und jetzt hilft er anderen beim Umzug nach Russland.

Ingenieur Sergei, Remo Kirsch und seine Frau (Foto: Ljubawa Winokurowa)


Von Nischni Nowgorod bis ins Dorf Injutino ist es nur eine Autostunde. Je weiter man von der Stadt wegkommt, umso weniger Häuser sind zu sehen, dafür aber Wälder, Felder und Seen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man eher nicht zum Anwesen von Remo Kirsch, aber das wollte er so – ein ruhiges Landleben, weit ab vom Stress der Großstadt. Aber wenn es sein muss, kann man in den UAZ „Patriot“ springen und ist schnell in der Zivilisation.

Remo Kirsch erwarb vor zwei Jahren bei Nischni Nowgorod acht Hektar Land, um eine Siedlung zu errichten, in der Deutsche, die von ihrer Heimat enttäuscht sind, leben können. Er unterstreicht, dass dies kein gewinnorientiertes Projekt ist, er verdient daran nichts, hat eher Einbußen.

Die Entscheidung zum Umzug

Auf den ersten Blick gibt es nicht so viel, was Remo Kirsch mit Russland verbindet. „Ja, ich bin in der DDR geboren und hatte in der Schule Russischunterricht, den ich gehasst habe! Ich habe zusammen mit meinen Eltern eine kurze Zeit in der Mongolei gelebt und später das Land zu Fuß durchwandert“, erinnert sich Kirsch. In Potsdam hatte er mehrere Baufirmen, ein Haus, eine Familie. „Der Gedanke umzuziehen, kam uns 2017. Das war kein besonders einschneidendes Jahr, aber wir hatten begriffen, dass wir weggehen mussten.“ Die Gründe für den Umzug zählt der Potsdamer der Reihe nach auf. Sie entsprechen dem, was man in Medien einer bestimmten Ausrichtung lesen kann: die Migrationspolitik Deutschlands, steigende Kriminalität, Schwulen- und Lesbenpropaganda auf der Tagesordnung, proamerikanische Stimmung. Nichts davon betraf seine Familie persönlich, aber die gesamte Atmosphäre gefiel ihnen nicht. „Deutschland ist nicht das und wird es auch nicht werden, was die Leute sich darunter vorstellen. Dieses Deutschland gibt es nicht“, konstatiert er.

Über die russische Seele

2019 machte sich Remo Kirsch zusammen mit einem Freund in einem wiederaufgebauten GAZ-66 auf den Weg zu einer Erkundungstour nach Russland. Sie fuhren bis an den Baikal. „Wir sind so vielen wunderbaren Menschen begegnet. Uns hat andauernd jemand geholfen: Sie besorgten Ersatzteile, reparierten das Auto, luden uns nach Hause ein, bewirteten uns. Das ist sie, die russische Seele! Die Russen sollten stolz darauf sein, dass sie so sind. Das unterscheidet sie stark von den Deutschen“, erklärt Kirsch. Nach dieser Reise beschloss er, dass er nirgendwo anders als in Russland leben will. „Hier möchte ich begraben werden“, fügt er ruhig hinzu.

Als die Entscheidung über den Umzug gefallen war, dachten sie darüber nach, in welcher Region sie leben wollten. Moskau war für sie wegen der Größe und des hektischen Lebensstils nicht besonders attraktiv. In Nischni Nowgorod hat der Potsdamer viele Bekannte, die ihm bei der Suche nach Bauland halfen. Blieb noch zu entscheiden, was für eine Firma man gründen kann und auf welcher Grundlage man ins Land einreist. Über die russische Bürokratie kann Remo Kirsch lang und breit erzählen, ebenso darüber, wie dusselig russische Bauarbeiter Häuser bauen und wie schwer es ist, eine gute Baubrigade zu finden. Zum Ende der Pandemie erhielten er und seine Frau ein Visum (mit der Möglichkeit der Verlängerung) als hochspezialisierte Fachkräfte (was der Wahrheit sehr nahe kommt). Seine Firmen in Deutschland und seinen Besitz hatte er verkauft. „Wir haben dort jetzt nichts mehr“, bestätigt Kirsch.

Ein Freund von Remo Kirsch brachte das Schild als Geschenk aus Deutschland mit. (Ljubawa Winokurowa)

Keine Kommune

Im Moment ist in Injutino ein Haus fertig, in welchem eine deutsche Familie wohnt, ein Ehepaar in den mittleren Jahren. Das Haus von Kirsch war im Winter fast fertig, aber aufgrund eines technischen Projektfehlers brannte es ab. Auf die Frage, warum er nicht aufgibt, antwortet er „Warum sollte ich?“ Das neue Projekt ist schon fertig, der Baubeginn steht kurz bevor. Inzwischen baut Remo eine riesige Garage, in der theoretisch auch eine Wohnung abgeteilt werden könnte. Darüber wird er noch nachdenken. Zurzeit wohnt die Familie in einer Wohnung, aber den Sommer über ziehen sie in ein kleines Haus, das sie in Injutino als Übergangslösung gekauft hatten.

Laut Plan sollen in der Siedlung Remo Kirschs acht Häuser entstehen. Das dritte ist in Bau, dort möchte eine Familie einziehen, wo der Mann Deutscher, die Frau Russin und deren Kind bilingual aufwächst. Nicht jeden, der es wünscht, lädt Kirsch zu sich ein, obwohl er pro Tag Dutzende Anfragen zur Beratung bei Fragen des Umzugs erhält. Er findet, dass man die Leute überprüfen sollte, damit sich nicht alles – Gott behüte – in eine Kommune verwandele. „Die Familie, für die das dritte Haus bestimmt ist, kommt hierher, wohnt ungefähr ein Jahr in Nischni-Nowgorod und ist sich dann darüber im Klaren, wollen sie das alles hier oder nicht. Wenn ja, werden wir alles organisieren, damit sie Bewohner von RuDe werden können“, erzählt der Hausherr. Er selbst stellt sich das alles als normale Nachbarschaft vor, jeder lebt sein eigenes Leben, wenn jemand Hilfe braucht, bekommt er sie.

Fertiges Nachbarschaftshaus (Foto: Ljubawa Winokurowa)

„Die Sonderoperetion“ hat nichts geändert

Der militärische Konflikt mit der Ukraine ließ ihn seine Entscheidung, für immer in Russland zu bleiben, nicht ändern. „Ich denke nicht, dass es Menschen gibt, die sagen, dass sie den Krieg befürworten. Ich tue es auch nicht, aber ich verstehe, dass Russland nicht anders handeln konnte, es war unausweichlich. Wenn man jemanden ständig piesackt, wird er sich früher oder später wehren, um dann als Schuldiger angesehen zu werden.“

Mit Russisch sieht es bei dem Ehepaar bisher nicht gut aus. Mit den Baubrigaden sprechen sie über Vermittler, in ihrer Umgebung gibt es zufällig viele Russen, die sich Deutsch ausdrücken können. „Wenn das Haus fertig ist und Ruhe einkehrt, dann werden wir Russisch lernen“, verspricht Remo Kirsch.

Das Gefühl der Freiheit

Er hat übrigens kein Heimweh nach Deutschland, nur nach bestimmten Gerichten der deutschen Küche, wie zum Beispiel Leberwurst. Manchmal bringen Bekannte sie als Geschenk mit. Seine Frau sagt auch, dass sie sich in Russland sehr wohl fühle, ohne ins Detail zu gehen. Die Natur um Nischni-Nowgorod gefällt auch ihrem Terrier Jackson, der den Ziegen, die sich auf das Grundstück verirrt haben, hinterherjagt. Den ganzen Sommer wird die Familie auf der Baustelle verbringen. Auf dem YouTube-Kanal „Iwan on Tour“ kann man das Baugeschehen verfolgen.

Seine Zukunft sieht das Paar im einfachen ländlichen Leben, mit angenehmen Nachbarn und absoluter Freiheit, wo man tun und lassen kann, was man will. „Ich mache hier alles, was ich will“, sagt der Deutsche begeistert. An einem sonnigen Tag summen auf dem Grundstück die Hummeln, fliegen die Späne beim Bau der Garage aus Kiefernholz, beschnuppert Jackson die Ziegen, weht auf dem Dach der deutschen Nachbarn die russische Fahne – als ob alles aus der Wirklichkeit gefallen wäre. Aber genau das ist die Wirklichkeit hier. Aber genau das ist die Wirklichkeit. Aber sie dauert nur so lange an, bis du zum Bahnhof nach Nischni Nowgorod kommst und die Soldaten mit ihren Rucksäcken siehst.

Ljubawa Winokurowa

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