Ein Platz an der Sonne: Wo machen die Russen Urlaub?

In den Zeiten vor Corona machten Millionen von Russen Urlaub am Mittelmeer. Aber in diesem Sommer, wie auch in den zwei Sommern zuvor, können nur wenige zu den europäischen Urlaubsorten gelangen. Die MDZ erkundigte sich bei russischen Reiseveranstaltern, wo in diesem Jahr Urlaubsreisen gebucht werden.

Am Strand in Anapa (Foto: Tino Künzel)

Kürzlich schrieb das türkische Blatt „Turizm Günlüğü“ über die Beschwerden der Russen, die in der Türkei Urlaub machten, über die  Deutschen. Umgekehrt klagten auch die Deutschen über die Russen. Nach den Beobachtungen der Türken sind die Urlaubsgäste aus Russland unzufrieden damit, dass die Deutschen viel und laut lachen, viel Alkohol trinken und nicht auf ihre Kinder aufpassen. Die Touristen aus Deutschland beschuldigen die Russen, dass sie sich am Buffet zu große Portionen auftun und „sich zu sehr gehenlassen“, wenn sie Alkohol trinken.

Am tiefsten Punkt

Die wechselseitigen Beschwerden der Russen und Deutschen in türkischen Urlaubsorten sind wahrscheinlich das einzige, was sich für russische Touristen in Europa seit den Zeiten vor der Pandemie nicht geändert hat. Aber es werden ja sowieso in diesem Sommer weitaus weniger Erholungssuchende aus Russland dort zu finden sein.

Direktflüge kann man an zwei Händen abzählen: Direkte Flugverbindungen mit Europa gibt es nur in der Türkei und Serbien. Und russische Kreditkarten werden kaum angenommen. Die Preise sind gestiegen, sodass sich nur noch wenige einen Urlaub im Ausland leisten können. Viele schreckt die antirussische Stimmung ab. Das alles beeinflusste nach Meinung des Europäischen Touristikverbandes (ETC) die Tatsache, dass der Wunsch der Russen, nach Europa zu reisen, am tiefsten Punkt seit den sechs Jahren, in denen es das „Barometer für Fernreisen“ gibt, angekommen ist.

Es sei daran erinnert, dass 2019 der Hauptstrom der Touristen aus Russland mit ungefähr 7 Millionen auf die Türkei entfiel, nach Deutschland reisten 1,4 Millionen, nach Italien 1,36 Millionen. Zu den Top Ten gehörten auch Spanien, Zypern und Griechenland.

Ans Meer nach Europa und Asien

In welchen Urlaubsorten können die Europäer heute noch mit den Russen am Strand um freie Liegen kämpfen? Vor allem in der Türkei. „Das liegt hauptsächlich an den bequemen Direktflügen und einer vergleichsweise breiten Auswahl an Flügen“, sagte Victoria Khudaeva, die PR-Chefin des Reiseveranstalters Anextour der MDZ. Die Firma ist schon 25 Jahre auf dem russischen Markt tätig. „In diesem Jahr wird das Angebot erweitert, es gibt Flüge nach Izmir, Antalya wird aus mehreren Städten angeflogen, zudem gibt es noch Programme nach Bodrum und Dalaman.“

Die Firma Fun&Sun (bis März firmierte sie unter dem Namen TUI) nannte noch einen Spitzenreiter – die Vereinigten Arabischen Emirate. Bei der Pac Group, die es seit 1990 gibt, nannte man gleich mehrere favorisierte Urlaubsziele. Neben der Türkei und den VAE gibt es noch die Malediven, Griechenland, Italien, Frankreich, Serbien und Kreuzfahrten. „Die Russen können praktisch in jeden beliebigen Urlaubsort reisen, wo die Corona-Maßnahmen abgesetzt oder abgeschwächt wurden“, meint die Firma.

Auf der Website von Coral Travel kann man zum Beispiel eine Reise nach Zypern buchen. Aber für den 10-tägigen Familienurlaub in einem Hotel mit Frühstück muss man eine Million Rubel (16 600 Euro) hinblättern. Der Reiseveranstalter Space Travel stellte einen merklichen Anstieg der Touristenzahlen auf den Malediven, in teure Hotels der Emirate und in der Türkei fest. Der Reiseveranstalter ister einer der führenden Spieler im Premiumsegment des russischen Tourismus. Die Nachfrage sei größer als vor Corona.

Die Möglichkeit der Wahl also bleibt bestehen, man muss nur wollen und Geld haben. Das braucht man vor allem für die Flugtickets, deren Preise gestiegen sind.

An den postsowjetischen Stränden

Europäer und Russen könnten sich auf „neutralem“ Gebiet treffen, in den GUS-Ländern. Die Reiseveranstalter beobachten eine positive Dynamik in diese Richtung. „Badeurlaub in Kasachstan nimmt an Popularität zu“, sagte die PR-Managerin von Fun&Sun, „Reisen nach Bela­rus, Armenien, Aserbaidschan und Kirgisien erfreuen sich einer regen Nachfrage.“

Auf der Website des Unternehmens kann man einen Wochenurlaub am kirgisischen See Issyk-Kul ab 60 000 Rubel (etwa 1000 Euro) pro Person inklusive Flug buchen. „In dieser Saison sind Reisen nach Kasachstan beliebt geworden. Man kann die Orte Borowoje und Aktau besuchen“, bestätigte man uns bei Anextour. Russische Touristen werden auch im kaukasischen Abchasien aufgenommen.

Am Schwarzen Meer in Russland

Urlaub im eigenen Land war bei den Russen immer beliebt. Aber auch hier gibt es Veränderungen. Das hängt damit zusammen, dass viele Flughäfen im Süden Russlands und auf der Krim geschlossen sind. Man kann in diese Urlaubsorte mit dem Auto, mit dem Zug oder über die Flughäfen in Sotschi und Stawropol reisen, und von da aus dann bis zu zehn Stunden mit Bussen oder Vorortzügen bis zum Reiseziel gelangen.

Ungeachtet dessen versuchen die Russen, sich in die Sonne zu legen. Sergej Romaschkin, der Direktor des Reiseveranstalters „Delphin“, der sich auf Inlandstourismus spezialisiert, teilt uns seine Statistik mit: „Die Top 5 sind das Gebiet Krasnodar (38%), Abchasien (18%), die Krim (9%), St. Petersburg (6%), Mineralwasser-Kurorte (3,5%) und das Moskauer Gebiet (2%). Die durchschnittliche Dauer des Strand­urlaubs hat sich von 12 auf 10 Tage verkürzt, das hat möglicherweise wirtschaftliche Gründe. Wir können im Durchschnitt von einer 10%-igen Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr sprechen. Der Durchschnittspreis einer sommerlichen Badereise beträgt 38000 – 44 000Rubel pro Person (die Anreise und 10 Tage Aufenthalt in einem Drei-Sterne-Hotel, umgerechnet 630–730 Euro). Im Moment gibt es überall noch freie Plätze. Aber eine Reihe von beliebten Hotels, sagen wir mal in Sotschi, ist bis Ende des Sommers ausgebucht.“

Die Urlaubsorte Dagestans

Russland hat noch ein südliches Meer, genauer gesagt einen See. Das ist das Kaspische Meer. Reisen nach Dagestan werden im Moment immer beliebter. Die MDZ fragte bei Reiseveranstaltern nach, ob die Republik Dagestan auf lange Sicht ein beliebtes Reiseziel für Badeurlaube werden könnte.

„Im Reiseangebot für Dagestan haben wir Derbent und Machatschkala. Es ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt schwer einzuschätzen, ob diese Orte bei Badeurlaubern beliebt werden“, gab Victoria Khudaeva an. Die Vertreterin von Fun&Sun ist der Meinung, dass „Dagestan in der Zukunft ein beliebtes Reiseziel werden kann, aber dazu muss die Infrastruktur entwickelt werden.“ Damit erklärt sich auch Sergej Romaschkin einverstanden: „Dagestan wächst schnell und wird in diesem Jahr 1,5–2 Millionen Urlauber aufnehmen, auf den Badeurlaub entfallen ungefähr 25–30% der Touristen. Die Hotelkapazitäten am Kaspischen Meer sind sehr begrenzt. Es ist verfrüht, hier von Massentourismus zu sprechen. Es ist notwendig, neue Hotels zu bauen und die Urlaubsorte zu entwickeln. Das ist die Zukunft Dagestans.“

Olga Silantjewa

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