Ein Befreier kehrt zurück

Er kämpfte in der Schlacht um Berlin, organisierte das Leben in der zerstörten Hauptstadt und verzichtete auf Vergeltung: Vor 75 Jahren starb Nikolai Bersarin bei einem tragischen Verkehrsunfall in Berlin. Nun hat der Militär ein Denkmal bekommen.

Nikolai Bersarin organisierte den Wiederaufbau in Berlin. (Foto: historygreatrussia.ru)

War es Unaufmerksamkeit, Übermüdung oder einfach nur Übermut? Was der genaue Grund für den schweren Unfall an jenem Morgen des 16. Mai 1945 war, wird wohl nie mehr mit letzter Sicherheit herausgefunden werden. Nur eines steht fest: Der Mann, der auf der Wilhelmstraße in Berlin-Friedrichsfelde die Kontrolle über sein Zündapp-Motorrad verlor und mit hoher Geschwindigkeit in einen sowjetischen Militärkonvoi raste, hatte keine Chance. Er war sofort tot. Gerade mal einen Tag hatte der Fahrer die Maschine lenken können, die er tags zuvor aus Wehrmachtsbeständen bekommen hatte.

Der verunglückte 41-Jährige war Nikolai Bersarin, Generaloberst der Roten Armee und erster sowjetischer Stadtkommandant von Berlin. Der in St. Petersburg geborene Militär hatte während des gesamten Zweiten Weltkrieges als Kommandeur gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft. Im April 1945 nahm er schließlich an der Berliner Operation von Marschall Georgi Schukow teil, um die Hauptstadt des deutschen Reiches endgültig in die Knie zu zwingen. Mit seinen Soldaten erreichte Bersarin am 21. April als erster die östliche Stadtgrenze in Berlin-Marzahn. Drei Tage später – die Kämpfe im Zentrum der Stadt tobten noch – ernannte Oberbefehlshaber Schukow den Militär zum Stadtkommandanten von Berlin.

Bersarin wählt den Weg der Vergebung

Auf seinem neuen Posten bewies Bersarin großen Tatendrang und setzte auf Wiederaufbau statt Rache. Hart griff er gegen plündernde sowjetische Soldaten durch und untersagte jegliche Vergeltungsakte gegenüber den besiegten Deutschen. In seiner nur wenige Monate währenden Amtszeit organisierte der Militär die Trinkwasserversorgung sowie die Ausgabe von Lebensmittelkarten an die Bevölkerung. Auch der Aufbau von Stadtverwaltung und Gesundheitswesen geht auf Bersarins Initiative zurück.

Wichtig war für den sowjetischen Offizier zudem das kulturelle Leben in der besiegten Hauptstadt. So eröffnete er Schulen, Theater und Orchester und ließ Religionsunterricht und Glaubensfreiheit zu. Auch der Berliner Rundfunk durfte wieder Sendungen ausstrahlen, erste Zeitungen wurden herausgegeben. In der DDR wurde Nikolai Bersarin für sein Engagement um den Wiederaufbau 1975 posthum die Berliner Ehrenbürgerschaft verliehen. Außerdem trugen ein Platz und eine Straße in der DDR-Hauptstadt seinen Namen.

Doch nach der Wiedervereinigung war Schluss mit den Ehrungen. Bersarins Name sollte aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. Der Offizier habe Übergriffe sowjetischer Soldaten gegen die Zivilbevölkerung nicht verhindert, lautete der Vorwurf. Eine Behauptung, die Historiker längst widerlegt haben. Dennoch wurde der Generaloberst 1992 einfach nicht in die neue Ehrenbürgerliste des wiedervereinten Berlins übernommen und die Bersarinstraße in Petersburger Straße umbenannt. Eine Entscheidung, die bei vielen Ostberlinern auf ein geteiltes Echo stieß. Erst mehr als zehn Jahre später wurde die Ehrenbürgerwürde Bersarins 2003 durch einen Beschluss des Senats wiederhergestellt.

Neues Denkmal in Berlin-Lichtenberg

Seit Mitte Juni dieses Jahres erinnert im Stadtbezirk Lichtenberg nun auch eine neue Gedenkstele an den früheren Stadtkommandanten. Die Tafel mit einem Foto Bersarins und einem kurzen Infotext steht an der Alfred-Kowalke-Straße – wie die frühere Wilhelmstraße seit dem Jahr 1976 heißt – und wurde vom Lichtenberger Fonds für Erinnerungskultur umgesetzt.

„Mit Bersarin ehren wir einen Militär, der sich unmittelbar nach Kriegsende für die Wiederherstellung wichtiger Lebensbereiche der Stadt Berlin einsetzte“, zitiert das Berliner Abendblatt aus der Eröffnungsrede von Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke). Bersarin habe auf eine Siegerpose verzichtet und stattdessen auf praktische Taten gesetzt. Zu der Einweihung kamen unter anderem Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), der Leiter des Deutsch-Russischen Museums Jörg Morré, Vertreter der Russischen Botschaft sowie rund 100 Gäste und Anwohner.

Auch im Russischen Haus in der Berliner Friedrichstraße erinnert anlässlich des 75. Todestages Bersarins eine Ausstellung an den ersten sowjetischen Stadtkommandanten. Im Turgenjew-Saal der Einrichtung können Besucher eine Porträtbüste Bersarins bewundern, welcher der sowjetische Bildhauer Iwan Perschudtschew anfertigte. Videoclips und Bekanntmachungen dokumentieren das Wirken Bersarins. Auf Infotafeln lässt sich der Lebenslauf des Militärs nachvollziehen.

Birger Schütz

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