In einem kleinen Moskauer Park unweit des Kursker Bahnhofs steht ein Stück Berliner Mauer. Ohne das Loch in der Mitte würde der graue Betonklotz wohl noch immer bedrohlich wirken. Aber die Spuren der Mauerspechte machen ihn zum Artefakt einer glücklich überwundenen Zeit, in der Andersdenkende ständig gegen Mauern liefen.
Nur ein paar Meter weiter: das Sacharow-Zentrum (2014 in Russland zum „ausländischen Agenten erklärt) mit Museum und Ausstellungssaal. Es zog 1996 in die Räume einer alten Villa ein, die Andrej-Sacharow-Stiftung (seit 23. Januar eine „unerwünschte Organisation“) hatte das erreicht. Ihr Anliegen sind der Erhalt und die Pflege des Erbes von Andrej Sacharow, des sowjetischen Atomphysikers, Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers von 1975. Doch damit ist nun wohl Schluss.
Vorgehen gegen Bürgerrechtsorganisationen
Das Sacharow-Zentrum muss binnen drei Monaten alle von ihm genutzten drei Standorte räumen. Die Stadt folgte damit einer Novelle zum Gesetz über die „ausländischen Agenten“: Sie dürfen seit 1. Dezember keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhalten. Deshalb wurde der langjährige kostenlose Pachtvertrag aufgekündigt. Ein Arbeitsverbot bedeutet das formal nicht. Aber die Vorzeichen für solche NGOs stehen schlecht.
Kürzlich gab das Moskauer Stadtgericht einem Antrag des Justizministeriums zur Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe statt, der ältesten Menschenrechtsorganisation in Russland. Sie hatte seit 1976 bestanden. Jetzt wurde den Aktivisten zur Last gelegt, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, indem sie auch außerhalb der Moskauer Region tätig gewesen seien. Außerdem entspreche ihre Satzung nicht der Gesetzgebung.
Verpflichtende Markierung
Ende 2021 war bereits die NGO Memorial (seit 2014 „ausländischer Agent“) aufgelöst worden. Sie hatte sich vorrangig der Aufarbeitung der Verbrechen der Stalinzeit gewidmet. „Ausländische Agenten“ müssen sich nicht nur selbst als solche deklarieren, sonst drohen empfindliche Strafen. Auch wir sind zu einer Markierung verpflichtet.
Der Hinweis kann direkt im Text erfolgen wie in diesem Artikel. Viele Medien bevorzugen ein Sternchen mit einer entsprechenden Erklärung am Ende des Beitrags. So fällt erst recht auf, wie oft das mittlerweile praktiziert werden muss. Momentan spricht wenig dafür, dass sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändert.
Tino Künzel