Zum 100. Geburtstag Andrej Sacharows

Andrej Sacharow veränderte die Sowjetunion – als Wissenschaftler genauso wie als Menschenrechtler. Am 21. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden.

Sacharow
Andrej Sacharow im Jahr 1988 (Foto: Boris Kaufman/ RIA Novosti)

Andrej Sacharow führte ein Leben der Extreme. Wie in einer Achterbahn erlebte der Wissenschaftler und Menschenrechtler Höhen und Tiefen. Sacharow war einer der anerkanntesten Akademiker der Sowjetunion, Erschaffer einer der schrecklichsten Waffen der Menschheit und Träger des Friedensnobelpreises. „Mein Schicksal war auf eine gewisse Art und Weise außergewöhnlich“, sagte er über sich selbst. 

Eigentlich hatte der am 21. Mai 1921 in Moskau geborene Sohn eines Physiklehrers nur die Wissenschaft im Sinn. Und machte nach dem Physik-Abschluss an der Lomonossow-Universität schnell Karriere. Mit gerade einmal 32 Jahren entwickelte Sacharow die sowjetische Wasserstoffbombe mit und wurde im selben Jahr (1953) zu einem der jüngsten Mitglieder der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Es folgten weitere Auszeichnungen mit Stalin- und Leninpreisen und der dreifachen Ernennung zum Held der sozialistischen Arbeit. Mehr konnte man nicht erreichen.

Früher wissenschaftlicher Ruhm

Doch allmählich kamen Zweifel in Sacharow auf, ob seine Arbeit dem richtigen Zweck dient. „Ich schlage vor, darauf zu trinken, dass unser Werk so erfolgreich wie heute über Versuchsgeländen explodiert, aber niemals über Städten“, soll er im November 1955 nach einem erfolgreichen Bombentest als Toast ausgesprochen haben. Die Überzeugung, dass der nächste Krieg ein atomarer werden könnte, wuchs.   

In den 1960ern wandelte sich Sacharow endgültig vom Wissenschaftler zum Menschenrechtler und geriet damit ins Visier des KGB. 1966 unterschrieb er einen offenen Brief an Staats- und Parteichef Leonid Breschnew, in dem sich 25 Kulturschaffende gegen die Rehabilitierung Stalins aussprachen. Zwei Jahre später veröffentlichte er sein „Memorandum: Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und Geistige Freiheit“, in dem er sich für internationale Abrüstung und Kernwaffen-Kontrolle aussprach. Kurz darauf wurde Sacharow aus dem Atomprogramm entlassen. 

Wandlung vom Wissenschaftler zum Menschenrechtler

1970 gründete Sacharow mit zwei Mitstreitern das Menschenrechtskomitee der UdSSR. „Ich bin überzeugt, dass der Schutz der Menschenrechte die einzige Grundlage ist, die Menschen ungeachtet ihrer Nationalität, ihres politischen Glaubens, ihrer Religion oder ihres sozialen Status vereinen kann“, schrieb er später in seinen Memoiren. Das Engagement blieb auch im Ausland nicht unbemerkt. 1975 erhielt Sacharow für die Unterstützung Andersdenkender und dem Streben nach einer rechtsstaatlichen und offenen Gesellschaft den Friedensnobelpreis.

Die Proteste gegen den Einmarsch in Afghanistan waren für die Staatsführung zu viel. Sacharow wurde 1986 nach Gorki (Nischnij Nowgorod) verbannt und erst sechs Jahre später vom neuen starken Mann Michail Gorbatschow persönlich nach Moskau zurückgeholt. Dort machte er sich daran, die sowjetische Verfassung zu reformieren. Doch dazu kam es nicht mehr. Am 14. Dezember 1989 starb Andrej Sacharow an einem Herzinfarkt. 

Seit Sacharows Tod sind mehr als 30 Jahre vergangen. In Russland ist eine neue Generation herangewachsen, die die Sowjetunion nur noch aus Erzählungen kennt. Das Land hat sich nach einer wilden Freiheitsphase wieder in eine gewisse Stagnation manövriert. 

Gedenken in Ost und West

Vergessen ist der Name Sacharow nicht. In Europa und den USA sind mehrere Auszeichnungen nach ihm benannt. Und auch in Russland ist er vielen Menschen ein Begriff, zumindest denen, die sich auch heute noch oder wieder für Menschenrechte engagieren. 

Zum Jubiläum haben sowohl die russische Regierung als auch Europäische Union Veranstaltungen angekündigt. Letztere setzt dabei vor allem auf die Zusammenarbeit mit dem Sacharow-Zentrum. Seit seiner Gründung 1996 ist das Haus, welches 2014 als ausländischer Agent eingestuft wurde, Anlaufpunkt für politisch interessierte Moskauer.

Es ist ein Ort für Diskussionen, Vorträge, Ausstellungen und vor allem des Austauschs. Ein Ort, den Sacharow in seinem Memorandum beschrieb: „Die menschliche Gesellschaft braucht geistige Freiheit – die Freiheit, Informationen zu bekommen und zu verbreiten, die Freiheit unvoreingenommener und furchtloser Diskussionen, die Freiheit vom autoritären Druck und Vorurteilen.“

Daniel Säwert

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