Deutsches Kultur- und Sprachfestival in Wladiwostok

Bis Anfang Juni findet in Wladiwostok das Festival der deutschen Kultur und Sprache statt. Die Veranstaltung schafft nicht nur neue temporäre Begegnungsräume mitten im Zentrum der Stadt, sondern leistet auch einen Beitrag zur Schaffung neuer künstlerischer Räume abseits der Metropolen.

Kultur zwischen Schienenstrang und Hafenkante: das Pop-up-Goethe-Institut in Wladiwostok (Foto: Wadim Martynenko)

Noch vor zwei Jahren hätte man sich das Deutschlandjahr wohl anders ausgemalt: volle Säle, Künstlerreisen und großformatige Veranstaltungen sind nach wie vor kaum möglich. Die Organisatoren des Festivals der deutschen Kultur und Sprache in Wladiwostok jedoch nehmen die pandemiebedingten Einschränkungen zum Anlass, innovative Möglichkeiten zur Begegnung und Zusammenarbeit zu suchen.

„Wir mussten im Konzept umsatteln.“ So beschreibt es Per Brandt, Leiter des federführenden Goethe-Instituts Nowosibirsk. „Die Frage war: Satteln wir um auf digitale Formate, geben wir das Projekt ganz auf, oder können wir vielleicht etwas komplett anderes machen?“ Aus dem Gedanken heraus, eine Veranstaltung für das Publikum vor Ort in Wladiwostok zu kuratieren, fiel die Entscheidung für letztere Option mittels einer einzigartigen Lösung: In bester Hafenlage wurde ein temporärer Raum für Freiluftveranstaltungen geschaffen.

Pandemie bringt kreative Lösung

Eigens für das Festival entwarfen das Berliner Kollektiv Raumlabor und das Wladiwostoker Pusk Team einen Pavillon, der das Hafenkai in einen kulturellen Begegnungsraum verwandelt und selbst zum Wahrzeichen der Veranstaltungsreihe wird. Unter dem so geschaffenen Dach können so tagsüber Sprachkurse für Deutschinteressierte und Fortbildungen für Lehrkräfte stattfinden. Abends bietet das Konstrukt Raum u.a. für Theater- und Literaturveranstaltungen, Filmvorführungen und Diskussionsveranstaltungen.

Vor allem aber wird der Hafen als urbaner Begegnungsraum erschlossen und auch über die Veranstaltungen hinaus belebt. Der Wunsch nach solchen Möglichkeiten des gemeinsamen Lebens von Kultur war laut Brandt stark spürbar: Der Pavillon selbst wurde mit Hilfe von Freiwilligen errichtet, von denen über 20 auch an der Durchführung des Festivals beteiligt sind.

Eine Mischung aus digitalen und Offline-Formaten

Die Veranstaltungen im Hafen werden außerdem von zwei Seiten flankiert: Neben digitalen Formaten, wie Übertragungen von Podiumsdiskussionen oder online verfolgbarer Lesungen, finden an verschiedenen Partnerorten in der Stadt Ausstellungen statt, die aus einer besonderen Kooperation heraus entstanden sind. Seit 2019 arbeitet das Goethe-Institut Nowosibirsk zusammen mit der Vladivostok School of Contemporary Arts und dem ebenfalls in der Stadt ansässigen Zarya Zentrum an der Fortbildung sibirischer und fernost-russischer Kuratoren.

Der Kern dieses Projektes liegt aber nur zum Teil in der Durchführung von Workshops und Vermittlung von Expertise. Zentral ist vor allem auch die Vernetzung kultureller Akteure aus den russischen Regionen, die untereinander oft schlechter verbunden sind als mit ihren Moskauer oder Petersburger Kollegen. „Kulturschaffende aus Chabarowsk, Wladiwostok oder Krasnojarsk haben untereinander oft viel weniger Kontakt“, erklärt Per Brandt.

Das liege schon allein daran, dass Flüge zwischen den Regionen und Moskau oft deutlich günstiger sind als zwischen den viel näher beieinander gelegenen Regionen selbst. „Es ist u.a. die Strukturschwäche dieser Orte. Zudem gibt es kaum Fördermittel für den Austausch zwischen regionalen Zentren, deshalb lernt man sich oft erst gar nicht kennen. Dabei haben sich Künstler von dort unheimlich viel zu sagen, ihre Lebenswelten ähneln sich stark.“

Organisatoren schaffen Kontaktraum

Die gemeinsame Arbeit dieser Künstler und Kuratoren ist nun während des Festivals in einer Reihe von Ausstellungen zu sehen. In ihren Themensetzungen reichen sie von der Präsentation der Arbeit weiblicher Kulturschaffender in den Regionen („Wovon Meerjungfrauen singen“) über die prekäre Situation der Regionen in Zeiten des Klimawandels („Trepang-Syndrom“) bis hin zu dekolonisierenden Auseinandersetzungen mit Praktiken kulturellen Erinnerns („Gedächtnismonopol“). Alumni des Projekts waren in einem Closed Call aufgerufen, gemeinsame Ideen einzureichen, aus denen dann die vielversprechendsten ausgewählt wurden.

Hauptsächlich lag die Rolle der Organisatoren aber in der Schaffung eines Kontaktraums, in dem lokale Akteure ohne Umweg über die Metropolen gemeinsame Ansätze entwickeln konnten. Vielleicht liegt hierin der größte Wert eines solchen Festivals. Es birgt die Möglichkeit, über Lesungen und Filmvorführungen hinaus temporäre und – im besten Falle – dauerhafte Infrastrukturen und Netzwerke zu schaffen, die Kulturschaffenden vor Ort neue Möglichkeiten der Begegnung eröffnen.

Thomas Fritz Maier

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