Tatjana Filistowitsch
Tatjana Filistowitsch wurde in Kansk, Region Krasnojarsk, in einer Lehrerfamilie geboren. Sie schloss ihr Studium am Irkutsker Pädagogischen Institut für Fremdsprachen mit Auszeichnung ab. Seit 1979 arbeitet Tatjana Filistowitsch an der Altaier Staatlichen Pädagogischen Universität am Lehrstuhl für deutsche Sprache. Zu ihren Forschungsinteressen gehören die Untersuchung der ethnokulturellen Komponenten in der interkulturellen Kommunikation und der Sprachausbildung. Während ihrer Tätigkeit im Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) war Tatjana Filistowitsch an der Gründung der ersten Zentren der deutschen Kultur in Dörfern und Städten der Region Altai beteiligt. Sie wirkte bei der Verteilung von Büchern und Ausrüstung für diese Zentren mit, die als humanitäre Hilfe aus Deutschland kamen. Seit 1994 ist Tatjana Filistowitsch ständige Moderatorin der Radiosendung „Altaier Weiten“.
Wir haben zwei Anlässe für unser Treffen. Erstens hat sich die MDZ nach Barnaul aufgemacht, was nicht oft geschieht, und zweitens ist dieses Jahr für Sie ein Jubiläumsjahr.
Ja, in diesem Jahr sind es 30 Jahre, dass ich beim Radio arbeite.
Beim Radio überhaupt oder in der Sendung „Altaier Weiten“?
Meine Tätigkeit beim Radio hat eben gerade mit diesem Programm zu tun. Es geschah in gewisser Weise zufällig. Ich arbeitete in der Organisation „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (Der VDA setzte zu Beginn der 1990er Jahre im Auftrage der Bundesregierung Projekte zur Unterstützung der Russlanddeutschen um, Anm.d.Red.). Eines Tages bat mich Iwan Schellenberg, der von 1960 bis 1975 Chefredakteur der „Roten Fahne“ und in den 1980er Jahren Redakteur der „Altaier Welten“ war, um Hilfe. Er sagte, dass die Moderatorin der Sendung „Altaier Weiten“ Emma Rische plötzlich nach Deutschland ausgereist sei und die Sendung ohne Moderator dastünde. Schellenberg und der Direktor des Senders baten mich, einige Sendungen vorzubereiten. Das habe ich getan, ging zum Direktor und legte Rechenschaft über die geleistete Arbeit ab. Aber man antwortete mir, dass ein paar Sendungen die Situation nicht retten würden und dass es gut wäre, wenn ich weitermachen könnte. Und dieses Weitermachen dauert nun schon 30 Jahre.
Wie ist die Sendung „Altaier Weiten“ überhaupt entstanden?
Das Chruschtschowsche Tauwetter hatte schon begonnen, im Altaier Gebiet erschien die deutschsprachige Zeitung „Rote Fahne“, aber die Menschen wollten auch noch eine Radiosendung haben. Die russlanddeutschen Schriftsteller und Dichter baten die Parteileitung in Barnaul um die Erlaubnis für ein solches Programm. Seit 1965 gibt es diese Sendung.
Sie kamen zu diesem Projekt hinzu, als die Deutschen massenhaft nach Deutschland übersiedelten.
Ja, das war eine traurige Zeit. Mit allen Kräften versuchte ich, sie in der Sendung davon zu überzeugen, in Russland zu bleiben. Damals öffneten deutsche Kulturzentren, Sprachkurse wurden angeboten. Es gab Vieles. Trotzdem reisten die Leute aus. Manch einer kam später zurück, jetzt kehren immer mehr zurück. Ich arbeite an der Pädagogischen Universität. Wir führen ständig Spracholympiaden durch, an denen immer mehr junge Leute teilnehmen, die in Deutschland geboren wurden und dort gelebt haben, aber dann kehrten ihre Familien hierher zurück. Sie haben hervorragende Sprachkenntnisse, sie sind bilingual. Diese jungen Leute nehmen an den Spracholympiaden teil.
Die MDZ hat vor kurzem darüber geschrieben. An den Olympiaden nehmen auch diejenigen teil, die hier geboren und aufgewachsen sind und Deutsch als Fremdsprache gelernt haben. Sie sind jedoch motivationslos, wenn es um die Teilnahme an den Olympiaden geht. Wozu teilnehmen, wenn es unmöglich ist, gegen die Bilingualen anzukommen?
Dieses Problem existiert. Darüber habe ich mehrfach mit den Lehrkräften, die diese Olympiaden organisieren, gesprochen. Ich finde, dass man für die hier aufgewachsenen Kinder einen besonderen Wettbewerb durchführen sollte. Das ist sehr wichtig. Unsere Kinder, die Deutsch in der Schule lernen, können nicht auf diesem Niveau kommunizieren. Aber ich bekomme zur Antwort, dass diese Bilingualen Bürger Russlands sind und das Recht haben, nach allgemeinen Richtlinien teilzunehmen. Damit ist die Sache beendet. Ich kann absolut nichts dagegen machen, obwohl ich ständig dieses Problem anspreche.
Ist „Altaier Weiten“ eher eine Kolumne des Redakteurs oder legen Sie den Schwerpunkt auf Interviews?
In der Sendung kommt alles vor. Viele Interviews, Reportagen über verschiedene Veranstaltungen. Jetzt sind wir beide gerade zusammen auf einer Veranstaltung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, über die ich eine Reportage mache. Wir haben viele Gespräche mit Lehrkräften über die deutsche Sprache. Ich mache Programme über Schriftsteller, über große Persönlichkeiten Deutschlands und Russlands. Das sind themengebundene Sendungen. Es gab zum Beispiel einen großen Zyklus von Sendungen, der dem Jubiläum des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg gewidmet war. Studenten lasen Auszüge aus literarischen Werken. Diese Sendereihe lief ein Jahr lang. Es gab auch eine Sendereihe über die Geschichte der Russlanddeutschen von Professor Lew Malinowski. Da ich an der Universität an der Fremdsprachenfakultät arbeite, kommen viele Themen aus diesem Bereich. Mit den Studenten inszenieren wir Hörspiele.
Wir verfolgen nicht nur das Geschehen in mehr als 40 Begegnungszentren der Russlanddeutschen in unserer Region, sondern berichten auch über das Leben der Russlanddeutschen in ganz Russland und im nahen Ausland. Insgesamt hat die Redaktion eine Fülle von Material zusammengetragen. Unsere Phonothek enthält auch Aufnahmen von ehemaligen Arbeitssoldaten, die für Historiker von großem Interesse sein können.
Worauf gibt es die meisten Reaktionen der Hörer? Was kommt am besten an?
Das ist unterschiedlich. Die Deutschlehrer achten stets auf den Grad der Sprachbeherrschung meiner Gäste in der Sendung. Die Hörer lieben aber auch Musiksendungen. Die mache ich an Feiertagen – zu Weihnachten, zu Ostern. Danach erhalten wir viele Zuschriften.
Wie bekommen Sie das Feedback?
Sie rufen an, schreiben auf WhatsApp oder per Mail.
Kommen auch wütende Kommentare?
Nein. Es gab kritische. Besonders zu Beginn meiner Arbeit. Professor Malinowski kritisierte die Wortwahl: „Sprich einfacher, warum nimmst du schwierige Begriffe?“ Man bat mich auch, stets die nächste Sendung anzukündigen, aber das ist schwieriger. Immer kommt etwas dazwischen, geschieht etwas Wichtiges, sodass man vom ursprünglichen Plan abweichen muss.
Im Vergleich zu den 1990er Jahren ist die Anzahl der Deutsch Sprechenden merklich gesunken. Wie wirkt sich das auf die Sendung aus?
Natürlich gibt es jetzt weniger Deutsch Sprechende, aber wir haben trotzdem ein Auditorium. Man hört uns.
Wer sind Ihre Hörer? Für wen machen Sie die Sendung?
Erstens für die Jugend. Ich habe viele junge Leute in meiner Sendung. Für die Kleinen wird viel gemacht – Märchen, Skizzen, Gedichte. Wir setzen das auch jetzt fort. Ungeachtet dessen, dass die deutsche Sprache aus den Schulen verschwindet, lernt die Jugend die Sprache. Unter anderem in den deutschen Kulturzentren. Und natürlich hört auch die ältere Generation die Sendungen.
Hören denn die jungen Leute noch Radio?
Sie hören uns in den sozialen Netzen. Ich stelle eine Sendung fertig, sie wird am Donnerstag um 19:43 Uhr gesendet, dann wird sie in die sozialen Netze gestellt. 50 Sendungen im Jahr. Sie dauert eine Viertelstunde, aber manchmal geht es auch länger, wenn ich die Zeit dafür bekomme. Vieles hängt vom Stoff ab.
Bearbeiten Sie den Stoff allein?
Ich zeichne selbst auf, schreibe die Texte. In Deutsch und in Russisch, weil ich eine Übersetzung vorweisen muss. Danach schneide ich alles und übergebe es dem Regisseur, der alles zu einem Ganzen zusammenfügt.
Was muss getan werden, damit es die Sendung auch weiterhin geben kann? Was möchten Sie gerne?
Dass Deutsch gelehrt wird. Es ist sehr bedauerlich, dass Deutsch aus den Schulen genommen wurde. Wie kann man Deutsch nicht mehr lehren? Ja, Deutschland ist jetzt ein unfreundliches Land, aber irgendwann einmal endet diese Zeit der Unfreundlichkeit. Wir hatten enge Beziehungen zu Deutschland, und sie zu zerstören, ist ein großer Fehler. Wie viele Kinder sind zum Austausch, zur Weiterbildung gefahren! Lehrer und Schüler aus Deutschland kamen zu uns. Wir hatten Partnerschaftsbeziehungen zur Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder. Rund zwanzig Jahre arbeiteten wir eng zusammen. Viele Frankfurter Lehrkräfte haben bei uns gearbeitet. Unsere Studenten studierten dort. Das war ein guter Karrierestart. Wie kann man Deutsch nicht lehren? Das werde ich nie verstehen.
Das Gespräch führte Igor Beresin.