Ausländer weg? Viele ja, die meisten nicht

Russland ist seit dem vergangenen Jahr kein wirklich normaler Arbeitsplatz mehr, wo auch Ausländer ihr Geld verdienen, als sei nichts passiert. Oder doch? In der höchsten russischen Fußballliga RPL, die dieses Wochenende ihren Spielbetrieb nach der Winterpause wieder aufnimmt, sind die meisten Ausländer jedenfalls noch da.

Bei Spartak Moskau glücklich: der Holländer Quincy Promes mit seinen drei Kindern (Foto: Spartak Moskau)

Mathias Normann hat einiges Unverständnis geerntet, als er letzten September bei Dynamo Moskau anheuerte. Der ambitionierte russische Hauptstadtklub, für den von 2010 bis 2015 auch Kevin Kuranyi spielte, dürfte dem 26-jährigen Norweger neben einem fast neuen Stadion auch ein attraktives Salär geboten haben. Doch in der Heimat gab es statt Glückwünschen Kritik. Nationaltrainer Stale Solbakken und der norwegische Verband teilten mit, dass der Mittelfeldspieler bis auf Weiteres nicht mehr zur Nationalelf um Erling Haaland eingeladen werde. Bisher hat Normann zwölf Länderspiele absolviert.

Russland oder Nationalmannschaft

Grundsätzlich sei es zwar nicht Aufgabe des Verbandes, die Entscheidung eines Spielers für diesen oder jenen Verein zu bewerten. Doch es sei eben eine außergewöhnliche Situation, in der man sich befinde, so Verbandspräsidentin Lise Klaveness. Der norwegische wie überhaupt der europäische Fußball wollten Druck auf Russland ausüben. Ein Profi, der in Moskau kicke, könne unter diesen Vorzeichen nicht gleichzeitig Norwegen repräsentieren.

Der Norweger Mathias Normann (M.) kam trotz Ärger mit der Nationalelf vor der Saison zu Dynamo Moskau. (Foto: Dynamo Moskau)

Normann hatte 2019 einen Vertrag beim FK Rostow am Don unterschrieben. Dort entwickelte er sich zum Stammspieler, wurde nach zwei Spielzeiten von Norwich City ausgeliehen. Mit dem Premier-Lea­gue-Aufsteiger stieg er nach einer Saison wieder in die Championship ab. Im Sommer folgte deshalb die nächste Leihe, diesmal zu Dynamo Moskau, das die Spielzeit 2021-22 als Dritter abgeschlossen hatte, noch mit dem Deutschen Sandro Schwarz (heute Hertha BSC) am Ruder. Fürs internationale Geschäft qualifizierte sich Dynamo damit trotzdem nicht: Die russischen Klubs wurden wie auch die Nationalmannschaft nach dem 24. Februar 2022 von der FIFA und UEFA für alle Wettbewerbe gesperrt.

FIFA erleichtert Wechsel

Ausländer, die in Russland unter Vertrag stehen, mussten und müssen sich Fragen gefallen. Wie sportlich oder unsportlich ist es, unter den gegebenen Umständen weiter seiner Arbeit nachzugehen? Der Weltverband FIFA räumte ausländischen Spielern und Trainern das Recht ein, ihre Verträge bis zum Sommer 2023 nicht zu erfüllen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Viele gingen. Der deutsche Trainer Daniel Farke, erst im Januar 2022 zum FK Krasnodar gewechselt, packte seine Koffer, ohne ein einziges offizielles Spiel mit seinem neuen Klub bestritten zu haben. Sein Kollege Markus Gisdol verschwand bei Lok Moskau praktisch über Nacht. Er habe sich nicht einmal von der Mannschaft verabschiedet, heißt es. Bei Lok ist man auf Gisdol, unter dem es auch sportlich nur sehr bedingt erfolgreich lief, bis heute schlecht zu sprechen.

Von rund 120 bei den 16 Klubs der Russischen Premier Liga (RPL) angestellten ausländischen Spielern suchten im Frühjahr 2022 gut 40 das Weite. Besonders betroffen waren Rubin Kasan, Rostow und Krasnodar, die auf einen Schlag alle oder fast alle ihre Ausländer verloren (einige kehrten später zurück). Selbst Ex-Nationaltrainer Leonid Sluzki konnte Kasan, das mit ihm und Toptalenten wie Chwitscha Kwarazcheli eigentlich an glorreichen Zeiten (Meistertitel 2008 und 2009) anknüpfen wollte, am Saison­ende vor dem Weg in die Zweitklassigkeit bewahren.

Klubs sehr unterschiedlich betroffen

Auch bei Dynamo Moskau lichteten sich die Reihen. Neben Trainer Schwarz, der immerhin mit dem Verein noch die Saison beendete (und von den Fans so verabschiedet wurde), musste bereits deren zweite Hälfte ohne Co-Trainer Andri Woronin und Innenverteidiger Iwan Ordez bestritten werden, beides Ukrainer. Ordez legte im Einklang mit der Ausländer-Regel seinen Vertrag auf Eis und ist seit Juli für ein Jahr vom VfL Bochum ausgeliehen. Beim Bundesligisten wurde er neuer Abwehrchef.

Doch nicht alle russischen Klubs wurden dermaßen gebeutelt. Die großen Namen wie Zenit St. Petersburg, Spartak und ZSKA Moskau hatten kaum oder keine Abgänge zu verzeichnen. Und dass zwischenzeitlich ein Drittel aller Liga-Ausländer weg war, heißt ja auch: Der Großteil ist geblieben.

Leistungsträger bei Zenit, seit Januar in Lyon: der Kroate Dejan Lovren (Foto: Zenit St. Petersburg)

Viele machen sich die Entscheidung nicht leicht und kommen zu unterschiedlichen Schlüssen. Während sich der ukrainische Verteidiger Jaroslaw Rakizki im März 2022 mit Zenit St. Petersburg auf eine Vertragsauflösung einigte, ist der ukrainische Co-Trainer Anatoli Timoschtschuk bis heute für den amtierenden Meister tätig. Er erteilte allen Aufrufen aus der Ukraine, Russland zu verlassen, eine Absage. Der ukrainische Fußballverband reagierte auf diese Weigerung, indem er Timosch­tschuk, in dessen Spielerbiografie sich sowohl Schachtjor Donezk als auch Zenit und Bayern München sowie 144 Länderspiele für die Ukraine finden, sämtliche Titel aberkannte und seine Trainerlizenz annullierte.

Dejan Lovren hat es zumindest nicht geschadet, dass er immerhin 50 Mal für Zenit auflief. Der Abwehrspieler fuhr diesen Winter mit Kroatien zur Fußball-WM und wurde Dritter. Anschließend wechselte er zu Olympique Lyon nach Frankreich.

Publikumsliebling Promes

Aber wohl kein Ausländer hat in Russland einen Stellenwert wie Quincy Promes, der Stürmer von Spartak Moskau. Die Fans lieben den Holländer (47 Länderspiele) und der lässt keinen Zweifel daran, wie wohl er sich bei Spartak fühlt. Der 31-Jährige hat inzwischen über 160 Spiele für den Traditionsklub absolviert, der 2017 mit ihm nach 16 Jahren wieder Meister wurde. Ein Jahr später wechselte Promes zum FC Sevilla, zwei weitere Jahre verbrachte er bei Ajax Amsterdam. Seit er danach zu Spartak zurückkehrte (damals mit Domenico Tedesco als Trainer), genießt er bei den Rot-Weißen endgültig Heldenstatus.

Promes ist mit 99 Pflichtspieltoren der beste Torjäger unter allen Legionären der Klubgeschichte. Auch in der laufenden Saison hat er in 16 Meisterschaftsspielen schon wieder 14 Mal getroffen. Aber sein vielleicht umjubeltstes Tor erzielte er zum 2:1-Endstand im hochemotionalen letztjährigen Pokalfinale gegen Dynamo Moskau vor 69.000 im Luschniki-Stadion. Der Treffer ist hier ab Minute 13:00 zu sehen, das Standing von Promes in der Kabine wird ab 3:50 deutlich. Für Spartak war es der erste Pokalsieg nach 19 Jahren.

Trainerjobs wieder an Ausländer vergeben

Für die beiden Trainer – Sandro Schwarz auf Seiten von Dynamo und den Italiener Paolo Vanoli bei Spartak – endeten damit ihre Engagements in Russland. Dynamo wird mittlerweile vom Serben Slavisa Jokanovic trainiert, Spartak vom Spanier Guillermo Abascal, er kam vom Schweizer Vizemeister FC Basel.

Am ersten März-Wochenende geht in der RPL nun die aktuelle Saison weiter. Der bisher letzte Spieltag datiert noch vom 6.  November und liegt damit fast vier Monate zurück. Anfang Juni wird der neue Meister feststehen, womöglich aber schon früher. Denn vieles deutet daraufhin, dass Zenit St. Petersburg wieder vorzeitig das Rennen macht. Der Tabellenführer hat sechs Punkte Vorsprung auf Spartak und sieben auf Rostow.

Tino Künzel

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