An der Grenze: Russen kommen nicht in die Nachbarländer

Die Ukraine hat im vergangenen Jahr so vielen Russen an der Grenze abgewiesen wie nie zuvor. Die Betroffenen stellen eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar, ist Kiew überzeugt. Und auch Georgien weist immer wieder Russen ab. Aus Angst vor Moskau, wie manche glauben.

Die Ukraine schickt immer mehr Russen an der Grenze zurück. (Foto: dpsu.gov.ua)

Leute, die haben mich nicht reingelassen. Ich bin ein Feind. Man hat uns zurückgeschickt“, klagte der Videoblogger Danja Milochin Mitte Januar seinen mehr als drei Millionen Instagram-Followern sein Leid. Kurz zuvor wurde der 20-Jährige am Kiewer Flughafen Borispol von den Grenzschützern festgehalten und schließlich des Landes verwiesen. Milochin war, mangels Direktverbindungen, aus Istanbul gekommen und musste nun umständlich wieder nach Moskau zurückkehren.

Der Blogger habe nicht glaubhaft belegen können, warum er denn unbedingt in die Ukraine wolle, begründeten die Grenzer seine Abschiebung. Damit hatte Milochin noch mehr Glück als die Sängerin Mary Gu, die im Dezember auf dem Weg zu einem Konzert in Kiew abgewiesen wurde und zusätzlich eine dreijährige Einreisesperre verhängt bekam. Dass Gu wegen der Ausweisung anschließend auch noch von rus­sischen Grenzpolizisten festgehalten und in die Türkei zurückgeschickt wurde, schockierte die 28-Jährige nur noch zusätzlich.

Neuer Rekord an Ausweisungen

Immer wieder verweigert die Ukraine Russen die Einreise. Im vergangenen Jahr meldeten die Grenzbehörden einen neuen Rekord. „Da Russland ein Aggressor ist, wurde seit Jahresbeginn 6600 russischen Bürgern die Einreise verweigert“, erklärte der Sprecher der Grenztruppen Andrej Demtschenko dem ukrainischen Nachrichtenportal „Obozrevatel“ im Dezember. Bereits in den Vorjahren war die Zahl der Abweisungen an der Grenze gestiegen. Betraf es 2019 noch 4500 Russen, waren es 2020 schon 6500. Und es könnten bald noch mehr werden. Man werde an den Grenzübergangsstellen die Kontrolle verstärken, um Menschen ausfindig zu machen, die eine Gefahr für die Ukraine seien, so Demtschenko.

Eine äußerst schwammige Begründung, die bis heute nirgendwo rechtlich festgehalten wurde. Wer in die sogenannten Volksrepubliken im Donbass oder auf die 2014 an Russland angegliederte Schwarzmeerhalbinsel Krim gereist ist, hat keine Chance auf Einreise in die Ukraine. Das musste grade erst der Rapper Basta erfahren. Und wer, wie Milochin, die Uniformierten an der Grenze nicht von sich überzeugen kann, wird auch abgewiesen.
Seit 2017 führt das ukrainische Kulturministerium eine schwarze Liste mit Namen von Künstlerinnen und Künstlern, die „eine Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellen. Ende November umfasste diese Liste bereits 208 Namen. Darunter viele Schlagersänger und auch Schauspieler.

Wie genau man zur Bedrohung für die nationale Sicherheit wird, wissen teilweise nicht einmal die Verantwortlichen, musste ein ukrainischer Abgeordneter gegenüber der „Deutschen Welle“ zugeben. Neben russischen Größen wie dem Chanson-Sänger Alexander Rosenbaum und reichlich B-Prominenten fand sich auch der italienische Schlagersänger Al Bano für gut zwei Jahre auf dieser Liste wieder. Und schaffte es als einer der wenigen auch wieder herunter. „Ich hoffe, zu einem großen Fest des Friedens und der Musik in die Ukraine eingeladen und em­­pfangen zu werden“, erklärte er der Nachrichtenagentur dpa nach der Aufhebung des Einreisebanns.

Nationalisten wollen Einreisestopp

Derweil wird es für Russen immer komplizierter, die Grenze zum Nachbarland zu überqueren. So müssen sie einen Monat vor der Einreise ein Formular auf der Homepage des ukrainischen Außenministeriums ausfüllen. Das sei immer noch ein viel zu freundlicher Umgang mit dem Aggressor (wie Russland in der Ukraine genannt wird), meinen zumindest einige nationalistische Ukrainer. Mitte November vergangenen Jahres forderte der ehemalige Anführer des Regionalablegers Odessa des Rechten Sektors* Sergej Sterpenko seinen Präsidenten Wolodymir Selenskyj in einer Online-Petition dazu auf, Russen die Einreise ins Land generell zu verbieten, oder zumindest eine Visapflicht einzuführen.

Bereits nach ein paar Tagen kamen die 25 000 benötigten Unterschriften zusammen, damit sich der Präsident mit der Forderung beschäftigen muss. Der meinte zwar, dass man das Problem genauer untersuchen und mögliche Szenarien analysieren müsse. Doch anstatt direkt auf Sterpenkos Forderung einzugehen, reichte Selenskyj das Gesuch an Ministerpräsident Denys Schmyhal und den Chef des Sicherheitsrates Oleksij Danilow weiter. Russische Medien werteten den Schritt Selenskyjs als Ignorieren der Petition. Vermutet wird zudem, dass der ukrainische Präsident nicht zu sehr auf Konfrontationskurs mit Moskau gehen wolle. Schließlich würde eine Antwort der russischen Regierung rund drei Millionen Ukrainer dazu zwingen, Russland zu verlassen oder Visa zu beantragen.

Ärger auch im Kaukasus

Auch in Georgien bekommen Russen immer mehr Probleme an der Grenze. So musste Ende Januar der Oppositionspolitiker Dmitrij Gudkow erleben, dass die Kaukasusrepublik ihn wieder wegschickte. Gudkow war von 2011 und 2016 Abgeordneter der Duma und verließ das Land vergangenes Jahr Richtung Kiew. In Tiflis wollte er sich mit Diplomaten und Aktivisten treffen. Doch am Flughafen war Schluss. Das wurde alles auf staatlicher Ebene entschieden, erklärte Gudkow und sprach von einer „politischen Entscheidung“. Das Innenministerium berief sich hingegen schlicht auf das Gesetz. Ohne Begründung wurde im vergangenen Oktober bereits die Politikerin Ljubow Sobol (steht auf der Liste von Terroristen und Extremisten von Rosfinmonitoring) und an der Einreise gehindert.

Dabei habe sie überhaupt nichts getan, was in Georgien als staatsfeindlich aufgenommen werden könnte. Vielmehr wolle es sich die georgische Regierung trotz aller Differenzen nicht mit dem Kreml verscherzen, vermutete Sobol. Kurz vor der versuchten Einreise wurde sie in Russland zur Fahndung ausgeschrieben. Ein Einknicken vor Moskau vermutet auch ein Journalist der „Nowaja Gaseta“, der im Juli 2021 nicht einreisen durfte. Offiziell wurde ihm der Besuch in der abtrünnigen Republik Abchasien vorgeworfen. Das ist laut georgischem Verständnis illegal, wird normalerweise aber nicht geahndet.

Währenddessen arbeiten auch die russischen Behörden an neuen Maßnahmen gegen Ausländer. Am 1. Februar veröffentlichte das Innenministerium einen Gesetzentwurf, demzufolge die Einstufung als unerwünschte Person keiner Frist mehr unterliegt. Bisher musste die innerhalb eines Monats erfolgen. Damit mache man sich die Arbeit leichter, kommentierte der erste stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für GUS-Angelegenheiten Konstantin Satulin das Projekt gegenüber der Tageszeitung „Wedomosti“. Gut möglich, dass Russland so künftig mehr Menschen abschiebt.

Daniel Säwert

*Der Rechte Sektor ist in Russland als extremistische Organisation eingestuft und verboten.

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