Die alte Herangehensweise
Ein deutscher Volkszugehöriger (hier ist hauptsächlich die Rede von den Deutschen im postsowjetischen Raum) muss seine Zugehörigkeit zum deutschen Volk nachweisen, um als Spätaussiedler nach Deutschland zu kommen. Dafür muss er gemäß §6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigen. Das Gesetz nennt zwei Möglichkeiten, das Bekenntnis auszudrücken: die Nationalitätenerklärung oder „auf andere Weise, insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B1“.
Die jetzige Praxis
Im April 2022 hat das Bundesverwaltungsamt (BVA) ein Merkblatt für Antragsteller herausgegeben. Darin wird erklärt, was das „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ bedeutet. Es gibt eine prinzipielle Änderung: Wenn in den Urkunden der Antragsteller früher eine nichtdeutsche Nationalität eingetragen war, gilt das als „Gegenbekenntnis“. „Dann sind die Nachweispflichten an Ihr Bekenntnis erhöht“, heißt es im Merkblatt. Die Autoren des Merkblattes berufen sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Januar 2021. Demzufolge reicht der bloße Erwerb deutscher B1-Sprachkenntnisse nicht, um von einem ausdrücklichen Bekenntnis zu einem anderen als dem deutschen Volkstum abzurücken.
Seit dieser Zeit erhalten die Deutschen, in deren Urkunden vorher einmal eine andere Nationalität gestanden hat, Ablehnungen, was die Erlaubnis zur Übersiedlung angeht. Im Verlaufe eines halben Jahres ist die Zahl der Ablehnungen erheblich gewachsen. Die Betroffenen wandten sich an die Presse, was große Resonanz hervorrief. Im März 2023 kündigte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser die Rückkehr zur „alten Aufnahme“ an.
Die angebotene Praxis
Am 28. September fand im Bundestag die erste Erörterung der neuen Gesetzesvorlage statt. Sie wurde von der Bundesbeauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Natalie Pawlik (SPD) vorgetragen. Nach ihren Worten ist die vorliegende Ergänzung ein „Meilenstein für die Betroffenen“. Die Politikerin meint: „Die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichtes werden der Lebensrealität der Menschen nicht gerecht. Eine einmal vorgenommene Eintragung nichtdeutscher Volkszugehörigkeit kann verschiedene Gründe haben. Sie bedeutet keineswegs, dass die betroffenen Personen sich nicht als deutsche Volkszugehörige fühlen.“
Alle Bundestagsabgeordneten sprachen an diesem Abend die Worte aus, welche die Betroffenen hören wollten. Es wurde gesagt, dass die Spätaussiedler „eine Bereicherung“ für Deutschland seien. Die Rückkehr zur alten Aufnahmepraxis sei notwendig, und es müsse so schnell wie möglich geschehen, gerade unter den Umständen des geopolitischen Konfliktes. Diejenigen, die eine Ablehnung erhielten, haben das Recht, erneut einen Antrag einzureichen.
Was schlägt die neue Gesetzesnovelle vor?
Im §6 BVFG, Absatz 2, Satz 1 heißt es: „Vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum gehen früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum voraus. Ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung können im Sinne von Satz 2 genügen“.
Im „Besonderen Teil“ steht: „Dieses Bekenntnis darf nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ausreisewunsch stehen. Voraussetzung eines wirksamen Bekenntnisses ist es vielmehr, dass der Betreffende bereits in den Aussiedlungsgebieten als Deutscher lebt.“
Wünschenswerte Praxis
Alle, die eine Ablehnung erhalten haben, wünschen eine wirkliche Rückkehr zur alten Praxis: Dass man die Zugehörigkeit zum deutschen Volk bestätigt, indem man deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B1 nachweist oder ein Dokument mit eingetragener deutscher Nationalität beibringt, ganz gleich, wann die Eintragung erfolgte. Ohne „nur“: Die Russlanddeutschen von heute sind vorrangig in Mischehen geboren. Und ohne die Formulierung „ernsthafte Bemühungen“ im Gesetzestext, weil jeder den Antrag bearbeitende Beamte auf seine Weise die Ernsthaftigkeit der Versuche, sich als Deutscher eintragen zu lassen, einschätzt.
Die Betroffenen wollen auch andere Worte im „Besonderen Teil“ sehen. Was jetzt dort geschrieben steht, ist für das BVA ein Ablehnungsgrund: Das Amt benutzt dafür das Wort „Lippenbekenntnis“. In den Ablehnungsschreiben wird dieser Begriff wie folgt ausgelegt: Änderung der Nationalitäteneintragung im Zusammenhang mit der Antragstellung. Zahlreiche Antragsteller ändern die Nationalität in ihren Dokumenten, weil es das BVA verlangt. Für niemanden und nichts anderes ist das notwendig. Wenn die Gesetzesnovelle in dieser Form verabschiedet wird, so verschließt sie das „Tor nach Deutschland“ für alle, die auf Gesetzesänderungen hoffen.
Olga Silantjewa