Gedanken über die Zukunft: Warum uns Unsicherheit nicht schrecken sollte

Ist unsere Welt verrückt geworden? 2016 ist gefühlt das Undenkbare passiert: vom Ausgang der US-Wahlen bis zum Terror mitten in Berlin. Im neuen Jahr sollten wir deshalb überlegen, ob unser Verhältnis zur Zukunft nachjustiert werden muss. Die MDZ hat dazu auch prominente Zukunftsforscher befragt.

2017. Die Sowjetunion schickt sich an, den 100. Revolutionsgeburtstag zu feiern, als die letzten Imperia­listen bei der Erprobung einer neuen Superwaffe versehentlich ihre Insel im Indischen Ozean in die Luft jagen und das Wetter auf dem Erdball durcheinander bringen. Aber die sowjetischen Wissenschaftler wissen, wie man die Natur besiegt, und haben die Lage schnell unter Kontrolle. 2017. Die rote Fahne ist eingeholt, als Blogger heute einen sowjetischen Comics von 1960 aus der Versenkung holen. In 45 Dias schaut er in 57 Jahre in die Zukunft. Fliegende Wetterstationen, unterirdische Städte, ein Staudamm über die Bering­straße? Es gibt noch viel zu tun. / Studio Diafilm

2017. Die Sowjetunion schickt sich an, den 100. Revolutionsgeburtstag zu feiern, als die letzten Imperia­listen bei der Erprobung einer neuen Superwaffe versehentlich ihre Insel im Indischen Ozean in die Luft jagen und das Wetter auf dem Erdball durcheinander bringen. Aber die sowjetischen Wissenschaftler wissen, wie man die Natur besiegt, und haben die Lage schnell unter Kontrolle.
2017. Die rote Fahne ist eingeholt, als Blogger heute einen sowjetischen Comics von 1960 aus der Versenkung holen. In 45 Dias schaut er 57 Jahre in die Zukunft. Fliegende Wetterstationen, unterirdische Städte, ein Staudamm über die Bering­straße? Es gibt noch viel zu tun. / Studio Diafilm

Aus russischer Warte ist mit größtem Interesse zu beobachten, wie eine kritische Masse im demokratischen Westen den Eindruck hat, regiert zu werden, ohne Einfluss auf die Dinge nehmen zu können. Der Brexit und Trump scheinen hilflose Versuche zu sein, ein Stück Selbstbestimmung zurückzugewinnen.

Die Russen kennen das: Sie sind gar nicht erst schockiert, wenn über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Das war immer so. Und anstatt Mitbestimmung einzufordern, richten sie sich lieber so gut wie möglich in den Verhältnissen ein. Das Ideal eines Großteils, wenn nicht der Mehrheit, ist nicht die Demokratie, sondern die Breschnew-Ära, als die Zeit praktisch stillstand. Solche Gewissheiten, die „Verlässlichkeit des morgigen Tags“, stehen nach wie vor hoch im Kurs.

Vergessen wird dabei, dass das eine trügerische, eine zeitweilige  Sicherheit war, die damit endete, dass das gesamte Sowjetsystem zu Grunde ging, als die Käseglocke über ihm gelüftet wurde. Dass Russland anschließend ungebremst in die anarchischen 90er Jahre schlitterte. Eine offene Gesellschaft mit vielen Akteuren und Einflüssen wird im Normal­modus von einer größeren Unsicherheit gekennzeichnet sein. Dafür aber ist sie weniger anfällig für extreme Erschütterungen. Wer die nicht will, der wird Veränderungen aushalten müssen, auch wenn sie das Leben etwas weniger berechenbar machen.

Die gute Nachricht ist: Die Zukunft steht, wie wir gelernt haben, weder bei Lenin noch im Maya-Kalender, bei den Meinungsforschern oder im „Spiegel“. Die Zukunft ist, was wir gemeinsam daraus machen – im Guten wie im Schlechten.

Wird die Zukunft immer weniger vorhersehbar? Sollten wir mit mehr Mut nach vorn schauen, so gut, wie es uns heute geht? Das hat die MDZ die beiden prominentesten deutschen Trend- und Zukunftsforscher gefragt. Das haben sie geantwortet.

 

Matthias Horx (horx.com), 61 Jahre:

Wie Menschen Veränderungen wahrnehmen, hängt stark von individuellen und kollektiven Erfahrungen ab. Je nachdem, ob man Opfer oder Handelnder bei Wandlungsprozessen war, tendieren unsere Zukunftsbilder in Richtung Angst oder Zuversicht. Deutsche und Russen haben hier eine gemeinsame historische Erfahrung: Die Zukunft kam immer in gewaltsamen Akten von oben, als historischer Bruch, als Katastrophe. Die Oktoberrevolution hat die Gesellschaft mit Gewalt radikal zu verändern versucht und dabei Millionen Opfer erzeugt. Die Naziherrschaft war ein ähnlicher Versuch.

In dieser Erfahrung entstanden Traumata, die über Generationen andauern können. Durch gewaltsamen despotischen Wandel geht das  Vertrauen in die Zukunft verloren. Das äußert sich meist in Nostalgie nach einer imaginären Vergangenheit, die es so nie gab, die man aber verklärt.

Die Zukunft ist nicht unberechenbarer geworden, aber sie erscheint uns so. Viele Dinge auf dem Planeten entwickeln sich durchaus positiv, aber wir nehmen nur die Brüche und Unsicherheiten wahr. Das wird durch die neue, hysterisierende Rolle der Medien verschärft, das Internet und seine Möglichkeit zur schnellen Erregung und effektiven Propaganda spielen eine weitere Rolle. Wir leben heute eher in einer „kognitiven Krise“.

Langfristige Prozesse lassen sich manchmal  besser voraussagen als kurzfristige. In 50 Jahren wird der Weltwohlstand viel höher sein als heute. Die Frauen werden eine machtvollere Rolle haben, die globale Erwärmung wird weitgehend gestoppt sein und es gibt eine Kolonie auf dem Mars. In fünf Milliarden Jahren verschlingt die Sonne die Erde, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Ich empfehle angesichts dieser Aussichten mehr Gelassenheit.

 

Lars Thomsen (future matters AG), 48 Jahre:

Wenn wir in 20, 30 oder 40 Jahren an die jetzige Gegenwart zurückdenken, werden wir uns in der Retrospektive wundern, wie wir eigentlich unseren Alltag gemeistert haben, als wir noch so viel selber machen mussten: Auto fahren zum Beispiel oder Aufräumen. Wir können uns ja schon heute kaum noch vorstellen, wie wir ohne das Internet zurechtgekommen sind.

Aber technische Prozesse lassen sich in der Tat leichter prognostizieren als Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Die Frage ist dann nur, wie die Menschen auf Umbrüche reagieren, die vom technischen Fortschritt hervorgerufen werden. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Als die Dampfmaschine erfunden wurde, die 90 Prozent der Muskelkraft von Mensch und Tier ablösen konnte, hat das den Meisten extreme Angst gemacht. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Neudefinition von Arbeit. Im Moment ist die verbreitete Reaktion darauf eher protektionistisch, man möchte sich einigeln. Doch ich hoffe, dass das nur eine kurze Phase der Depression ist und man im Gegenteil nach multinationalen Antworten sucht, denn der Wandel betrifft Menschen in Ost und West, über alle Ländergrenzen hinweg.

Ich bin Optimist. Das hat auch damit zu tun, dass ich von Berufs wegen mit Innovatoren zu tun habe. Das sind Leute, die nichts Böses im Schilde führen, die etwas Gutes beabsichtigen und natürlich nicht sagen: Hoffentlich kommt das nicht.

Tino Künzel

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